Es verstößt gegen das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, wenn ein Verwaltungsgericht eine entscheidungserhebliche unionsrechtliche Frage, die im Hauptsacheverfahren voraussichtlich eine Vorlage des dann letztinstanzlich entscheidenden Gerichts an den Europäischen Gerichtshof erfordert, im Eilverfahren bei der Prüfung der Erfolgsaussichten nicht berücksichtigt, sagt das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 13. August 2024 (Az. 2 BvR 44/24) und hat darum einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen aus dem Dezember 2023 aufgehoben. In einer solchen Situation werde nämlich die offensichtliche Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts regelmäßig nicht bejaht werden können; dies gelte auch dann, wenn lediglich in einem anderen Verfahren bereits eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof erfolgt sei.
Die im konkreten Verfahren entscheidungserhebliche Frage, ob § 71a AsylG mit der EU-Asylverfahrensrichtlinie vereinbar sei, sei zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Dezember 2023 höchst umstritten gewesen. Das Verwaltungsgericht habe zwar auf eine Entscheidung des ihm übergeordneten Oberverwaltungsgerichts Lüneburg von Dezember 2022 verwiesen, wonach die Frage bereits geklärt und § 71a AsylG mit europäischem Recht vereinbar sei, habe dabei aber übersehen, dass das Oberverwaltungsgericht keine Kenntnis von den durch das Verwaltungsgericht Minden anhängig gemachten neuen Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof hatte, die erst im Juli 2023 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurden, und diese ebenso wenig berücksichtigen konnte wie die in der Folge ergangene Rechtsprechung von Verwaltungsgerichten aller Instanzen, die sich mit diesen Vorabentscheidungsverfahren auseinandersetzten.
Der ohne eigene erkennbare Prüfung und Begründung erfolgte schlichte Verweis des Verwaltungsgerichts auf die genannte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts übergehe somit die anhängigen Vorabentscheidungsverfahren, ihre möglichen Auswirkungen auf anhängige einstweilige Rechtsschutzverfahren sowie den rechtstatsächlichen Umgang anderer Verwaltungsgerichte mit ihnen. Dies genüge den anwendbaren verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.
Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass das Bundesverwaltungsgericht bereits im August 2023 (Beschluss vom 1. August 2023, Az. 1 C 19.22) ein Revisionsverfahren ausgesetzt hat, in dem die vom Verwaltungsgericht Minden initiierten Vorabentscheidungsverfahren entscheidungserheblich waren und sind (siehe ausführlich HRRF-Newsletter Nr. 109). Vor diesem Hintergrund ist noch weniger verständlich, warum die laufenden Vorabentscheidungsverfahren dem Verwaltungsgericht Göttingen noch im Dezember 2023 offenbar nicht bekannt waren.
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