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Ausgabe 158 • 16.8.2024

Ordnungsgemäße Verwaltung

Das flüchtlingsrechtliche Sommerquiz 2024 geht in die nächste Runde, in der es in dieser Woche darum geht, die jenseits bloßer Worthülsen richtige Auslegung des Begriffs der erheblichen Wahrscheinlichkeit zu finden. Außerdem werden Überstellungen nach Italien in absehbarer Zeit für möglich gehalten, darf ein Folgeverfahren nicht ohne Anhörung durchgeführt werden, muss für den Chancen-Aufenthalt keine Arbeitsmarktintegration prognostiziert werden, gibt es Prozesskostenhilfe manchmal auch bei einer Klagerücknahme und ist es nicht so einfach, eine einmal abgegebene Verpflichtungserklärung wieder aus der Welt zu schaffen.

Dublin-Verfahren usw.

Überstellung nach Italien in absehbarer Zeit

Das Verwaltungsgericht Kassel entscheidet in seinem Urteil vom 24. Juli 2024 (Az. 7 K 2760/18.KS.A) immerhin schon über eine Klage aus dem Jahr 2018, in der in einem Anerkannten-Fall eine Überstellung nach Italien im Raum stand. An der Überstellung hatte das Verwaltungsgericht nichts auszusetzen und hielt auch den Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a AsylG für rechtmäßig. § 34a AsylG setze voraus, dass feststehen müsse, dass die Abschiebung durchgeführt werden könne, womit jedoch lediglich ein „relatives Feststehen“ gemeint sei, dass nach dem derzeitigen Verfahrensstand und der Erkenntnislage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge die Abschiebung mit großer Wahrscheinlichkeit durchgeführt werden könne. Zwar akzeptiere Italien seit Dezember 2022 keine Überstellungen mehr, es sei aber in absehbarer Zeit mit dem Wegfall dieses Hindernisses zu rechnen. Wie es zu dieser Einschätzung kommt, hat das Verwaltungsgericht leider nicht mitgeteilt.

Asylverfahrensrecht

Erhebliche Wahrscheinlichkeit bei bloßer Möglichkeit

Für eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer günstigeren Entscheidung als Voraussetzung zur Durchführung eines Folgeverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylG in der durch das Rückführungsverbesserungsgesetz geänderten Fassung reicht es aus, dass die neuen Elemente und Erkenntnisse für die Beurteilung der Begründetheit eines Folgeantrags relevant sind bzw. maßgeblich erscheinen und deshalb die Möglichkeit einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung besteht, sagt der Verwaltungsgerichtshof München in seinem Beschluss vom 24. Juli 2024 (Az. 13a ZB 24.30535). Hingegen sei nicht erforderlich, dass vieles oder eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine günstigere Entscheidung spreche.

Asylverfahrensrecht

Erhebliche Wahrscheinlichkeit nicht bei Geringfügigkeit

Auch das Verwaltungsgericht Düsseldorf versucht sich in seinem Beschluss vom 30. Juli 2024 (Az. 28 L 1670/24.A) an einer Definition des Begriffs der erheblichen Wahrscheinlichkeit in § 71 Abs. 1 AsylG. Der Begriff setze schon vom Wortlaut her voraus, dass das neue Element oder die neue Erkenntnis die Möglichkeit einer positiven Bescheidung im Rahmen eines erneuten Asylverfahrens beträchtlich steigere, ohne dass schon eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gegeben sein müsse. Das sei der Fall, wenn die Wahrscheinlichkeit nicht nur geringfügig sei, sondern ins Gewicht falle, d.h. beachtlich sei. Dabei müsse sich die Wahrscheinlichkeit sowohl auf das tatsächliche Vorliegen des Umstands beziehen, also auf die Wahrhaftigkeit des neuen Vortrags, als auch auf die Möglichkeit der Entscheidungserheblichkeit.

Asylverfahrensrecht

Anhörung im Folgeverfahren zwingend

Wenn die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens vorliegen und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Zulässigkeit des Folgeantrags bejaht, wird das Verfahren ohne besondere Verfügung als Asylverfahren nach den allgemeinen Vorschriften fortgesetzt und gelten daher grundsätzlich die allgemeinen Regeln des Asylgesetzes, meint das Verwaltungsgericht Düsseldorf in seinem Beschluss vom 2. August 2024 (Az. 28 L 2037/24.A). Eine dann erfolgende Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet ohne persönliche Anhörung des Antragstellers sei in einem solchen Fall nur dann verfahrensfehlerfrei möglich, wenn ein in §§ 24 und 25 AsylG normierter Ausnahmefall vorliege. Die Vorschrift des § 71 Abs. 3 S. 3 AsylG, wonach bei einem Folgeantrag von einer Anhörung abgesehen werden könne, gelte ausschließlich für die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Folgeantrags und nicht mehr im danach durchgeführten Folgeverfahren.

Aufenthaltsrecht

Beim Chancen-Aufenthalt keine Positivprognose erforderlich

Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hält in seinem Beschluss vom 2. August 2024 (Az. 12 S 1610/23) die Annahme für unzutreffend, dass ein Chancen-Aufenthalt gemäß § 104c AufenthG die Positivprognose für eine Integration in den Arbeitsmarkt voraussetzt. Die eine solche Annahme vertretende Behörde gehe insoweit von dem nicht zutreffenden Ansatz aus, dass positiv festgestellt werden müsse, dass die Titelerteilung zur Integration und zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 25b AufenthG führen werde. Hingegen sei im Rahmen der Prüfung allein die Frage nach einer Negativprognose zu beantworten, weil eine andere Sichtweise dem Vertrauensvorschuss nicht gerecht werden würde, den der Gesetzgeber mit § 104c AufenthG pauschal gewährt habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat außerdem entscheiden, dass das für die Erteilung eines Chancen-Aufenthaltsrechts gemäß § 104c AufenthG erforderliche Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zwar aktiv abgegeben werden muss und nicht ein lediglich formales Bekenntnis sein darf, dass aber im Rahmen eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes ein solches formales Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung regelmäßig ausreicht. Es spreche vieles dafür, dass die Norm so konzipiert sei, dass die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen für die Ausländerbehörden auch im Rahmen einer Massenverwaltung handhabbar bleiben solle und dass eine Überprüfung eines formal abgegebenen Bekenntnisses nur dann für notwendig erachtet werde, wenn es Anhaltspunkte dafür gebe, dass das Bekenntnis nicht von den Überzeugungen der Person getragen werde.

Aufenthaltsrecht

Prozesskostenhilfe auch bei Klagerücknahme

Nimmt ein Ausländer seine auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Untätigkeitsklage allein deshalb zurück, weil die Ausländerbehörde erklärt hat, dass dies Voraussetzung für eine zeitnahe Entscheidung und Aushändigung des elektronischen Aufenthaltstitels sei, so liegt ein im Rahmen der Billigkeit anzuerkennender triftiger Grund vor, der eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe rechtfertigt, meint der Verwaltungsgerichtshof Mannheim in seinem Beschluss vom 31. Juli 2024 (Az. 11 S 1117/24). Die Klagerücknahme sei ein legitimes Ziel, um die beantragte Aufenthaltserlaubnis nach über einem Jahr endlich zu erhalten; auf die Frage, wie das Verhalten der Ausländerbehörde unter dem Aspekt einer ordnungsgemäßen Verwaltung zu bewerten sei, komme es für die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht an.

Aufenthaltsrecht

Feinheiten der aufenthaltsrechtlichen Verpflichtungserklärung

Mit einer Reihe von Einwänden gegen den Umfang einer Verpflichtungserklärung gemäß § 68 AufenthG hatte sich das Oberverwaltungsgericht Magdeburg in seinem Beschluss vom 31. Juli 2024 (Az. 2 L 135/23.Z) zu befassen. Gegenüber einer deutschen Auslandsvertretung werde eine Kostenübernahmeerklärung auch dann abgegeben, wenn sie zwar unmittelbar an den betroffenen Ausländer adressiert, aber zur Vorlage bei der Auslandsvertretung bestimmt sei, weil der Ausländer dann als Erklärungsbote auftrete, der dazu in aller Regel auch zumindest konkludent ermächtigt sei. Die nachträgliche Anfechtung einer Verpflichtungserklärung wegen eines Erklärungsirrtums über den zeitlichen Umfang der eingegangenen Verpflichtung sei gemäß § 121 BGB jedenfalls unverzüglich zu erklären, was eine Umdeutung eines aufenthaltsrechtlichen Widerspruchs in eine wirksame Anfechtungserklärung wohl ausschließe. Eine Verpflichtungserklärung sei auch nicht dann unwirksam, wenn sie nicht auf dem dafür vorgesehenen Formular abgegeben worden sei, weil ein Verstoß gegen bloße verwaltungsinterne Vorschriften nicht zu einer Unwirksamkeit wegen eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Formerfordernis führe.