Das Oberverwaltungsgericht Münster sieht in seinem (in einem Hauptsacheverfahren ergangenen) Beschluss vom 12. November 2024 (Az. 14 A 445/22.A) keine Verfolgung von nicht vorverfolgt ausgereisten syrischen Schutzsuchenden. Weder die illegale Ausreise aus Syrien, ein längerer Aufenthalt im Ausland, eine Asylantragstellung, die Herkunft aus einer bestimmten Region in Syrien, die Religionszugehörigkeit noch eine mögliche Heranziehung zum Militärdienst in der syrischen Armee führe zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer drohenden Verfolgung. Es gebe keine belastbaren Erkenntnisse, dass das syrische Regime Flüchtlingen pauschal eine oppositionelle Gesinnung unterstelle, dies sei angesichts einer Zahl von mehreren Millionen Flüchtlingen, die Syrien während des Bürgerkriegs verlassen haben, auch nicht plausibel.
Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass den Klägern in Griechenland internationaler Schutz zuerkannt worden sei. Diese Entscheidung der griechischen Behörden entfalte keine Bindungswirkung gegenüber dem Bundesamt, das lediglich dazu verpflichtet sei, die positive Entscheidung des anderen Mitgliedstaats und die Anhaltspunkte, auf denen diese Entscheidung beruhe, in vollem Umfang zu berücksichtigen. Das Bundesamt habe ein Informationsersuchen an die griechischen Behörden gerichtet, das zu keinen Erkenntnissen geführt habe, die im Rahmen einer aktualisierten Prüfung einen Anspruch der Kläger auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründeten.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Tatsachenrevision zum Bundesverwaltungsgericht (§ 78 Abs. 8 AsylG) nicht zugelassen, weil mit Blick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Januar 2023 (Az. 1 C 22.21) keine Veranlassung bestehe, eine Revision zur Klärung der Verfolgung von Militärdienstentziehern zuzulassen. Das gelte erst Recht für alle weiteren relevanten fallübergreifenden Tatsachenfragen, etwa Sippenhaft, Verfolgung wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und Aufenthalt im westlichen Ausland, Herkunft aus einem (früher) umkämpften Gebiet oder wegen sunnitischer Religionszugehörigkeit.
Es erscheint jedenfalls im Eilverfahren zweifelhaft, so das Verwaltungsgericht Hamburg in seinem Beschluss vom 22. November 2024 (Az. 12 AE 5345/24), ob gemäß der Dublin-III-Verordnung nach Griechenland überstellte Schutzsuchende, über deren Asylantrag von den griechischen Behörden noch nicht entschieden wurde, tatsächlich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen hinreichenden (erneuten) Zugang zum Asylverfahren erhalten. Wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge von einer solchen hinreichenden Wahrscheinlichkeit ausgehe, so erscheine dies nicht tragfähig, weil es sich auf einen ersichtlich veralteten Erkenntnisstand stütze. Die vorhandenen neueren Erkenntnisquellen begründeten vielmehr nicht unerhebliche Zweifel daran, ob der Zugang von Dublin-Rückkehrern nicht nur zu einer Unterkunft, sondern vielmehr zum Asylverfahren insgesamt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gewährleistet sei. Eine demnach vorzunehmende Folgenabwägung führe zu der Einschätzung, dass das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung das öffentliche Vollziehungsinteresse überwiege.
Das Verwaltungsgericht Berlin kritisiert in seinem Urteil vom 24. Oktober 2024 (Az. 12 K 88/23 A) den früheren Berichterstatter in dem Verfahren, der zunächst eine Betreibensaufforderung gemäß § 81 S. 1 AsylG erlassen und das Verfahren aufgrund der Nichtzustellbarkeit dieser Aufforderung eingestellt hatte. Die Verletzung der Pflicht eines Ausländers gemäß § 10 Abs. 1 AsylG, während der Dauer des Asylverfahrens jeden Wechsel seiner Anschrift dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, der Ausländerbehörde und dem angerufenen Verwaltungsgericht unverzüglich anzuzeigen, rechtfertige nicht stets den Erlass einer Betreibensaufforderung. Vielmehr bedürfe es einer Gesamtschau sämtlicher Umstände des Einzelfalls, die hier zu dem Ergebnis hätte führen müssen, dass kein Anlass für eine solche Betreibensaufforderung vorgelegen hätte. Nach dem Fehlschlagen der Zustellung an die Kläger hätte es nahegelegen, beim Bundesamt oder beim Einwohnermeldeamt eine Erkundigung über eine etwaige neue Anschrift der Kläger einzuholen. Da die Kläger sich nach einem Umzug ordnungsgemäß umgemeldet hätten, hätte ihre aktuelle Anschrift ermittelt werden können.
Es gibt bekanntlich im Migrationsrecht keine Meinung ohne Gegenmeinung, und so verhält es sich nun auch bei der Frage, ob ein laufendes Asylverfahren eines Familienmitglieds dem Erlass einer Abschiebungsandrohung gegen andere Familienmitglieder entgegensteht, und zwar wegen des durch das Rückführungsverbesserungsgesetz neu gefassten § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AsylG. Bejaht hatten das in diesem Jahr bereits unter anderem das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (siehe HRRF-Newsletter Nr. 153) und das Oberverwaltungsgericht Bautzen (siehe HRRF-Newsletter Nr. 172), nun schließt sich das Verwaltungsgericht Düsseldorf in seinem Beschluss vom 25. November 2024 (Az. 3 L 3305/24.A) dieser Auffassung an. Anders sieht es allerdings das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, das in seinem Beschluss vom 14. November 2024 (Az. 3a L 1728/24.A) stets die Umstände des Einzelfalls abwägen will. Dabei komme in Fällen eines nur vorübergehenden Aufenthaltsrechts, wie etwa bei einem laufenden Asylverfahren, einer prognostischen Einschätzung in Bezug auf dessen Beendigung Gewicht zu und sei eine Trennung von Familienmitgliedern auch unter Gesichtspunkten des Kindeswohls nicht grundsätzlich unzumutbar.
Der 9. Senat des Oberverwaltungsgerichts Münster geht in seinem Beschluss vom 20. November 2024 (Az. 9 B 786/24.A) davon aus, dass die Frage nach einer mitgliedstaatübergreifenden Anwendbarkeit des § 71a AsylG auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs jedenfalls nicht ohne Weiteres als „acte clair“ beantwortet werden kann. Die Europäische Kommission habe die Auffassung vertreten, dass ein weiterer Antrag auf internationalen Schutz nur dann als „Folgeantrag“ im Sinne von Art. 2 lit. q) der EU-Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU eingestuft werden könne, wenn er in demjenigen Mitgliedstaat gestellt werde, dessen zuständige Stellen einen früheren Antrag desselben Antragstellers mit einer bestandskräftigen Entscheidung abgelehnt hätten. Vor dem Hintergrund, dass eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-123/23 noch ausstehe, sei im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers höher als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Abschiebungsandrohung zu bewerten.
Einigermaßen skurril ist der Beschluss des Landgerichts Rostock vom 19. November 2024 (Az. 3 T 157/24) schon, nämlich weil das Landgericht zur „Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung zur Dublin-III-Verordnung“ in einer Haftsache ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse der Ausländerbehörde gemäß § 62 Abs. 3 FamFG annimmt und sich zu umfangreichen Ausführungen zum Zustand des schwedischen Asylsystems veranlasst sieht.
In dem Verfahren hatte das Amtsgericht Rostock einen Haftantrag unter anderem mit der Begründung abgelehnt, dass in ihm nicht ausreichend zu möglichen Abschiebungsverboten Stellung genommen worden war, unter anderem zu einem möglichen nationalen Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK, da der Betroffene bei einer Rückführung nach Schweden von dort aus nach Afghanistan abgeschoben werden könnte. Das sei in der Sache falsch gewesen, so das Landgericht, weil die Bewertung des Amtsgerichts bei der Beurteilung der Rückkehrentscheidung von der veröffentlichten jüngeren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte Augsburg, Schleswig, Trier und Magdeburg abweiche. Die Ausländerbehörde habe deswegen gemäß § 62 Abs. 3 FamFG i.V.m. § 70 Abs. 2 FamFG ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, in ihren Rechten verletzt zu sein, nämlich weil ein besonderes Interesse an der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung bestehe. Dabei hätten die genannten Verwaltungsgerichte gerade in jüngeren Entscheidungen keine systemischen Mängel im schwedischen Asylsystem erkannt, sondern Rückführungen „zur dortigen Asylprüfung“ für zulässig gehalten. Im vorliegenden Fall sehe das Landgericht nach Abwägung der verfügbaren Informationen und unter Berücksichtigung des maßgeblichen Zeitpunktes der Entscheidung ebenso keine Anhaltspunkte für systemische Schwächen des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in Schweden, die eine Rückführung des Betroffenen als unzulässig erscheinen ließen.
Es sei an dieser Stelle an die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erinnert, etwa an den ebenfalls im Kontext einer Dublin-Überstellung ergangenen Beschluss vom 17. April 2020 (Az. XIII ZB 53/19), wonach der Haftrichter grundsätzlich nicht zu prüfen hat, ob die Ausländerbehörde eine Abschiebung bzw. Überstellung zu Recht betreibt. Bedenken sollen erst dann zu berücksichtigen sein, wenn dem Haftrichter bekannt wird, dass der Betroffene deswegen um Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte nachgesucht hat, und sich daraus ein der Abschiebung bzw. Überstellung entgegenstehendes Hindernis ergeben könne.
In einer Pressemitteilung vom 28. November 2024 berichtet das Bundesverwaltungsgericht über sein Urteil und seinen Beschluss vom selben Tag, in denen es eine im März 2023 vom Land Berlin gemäß § 58a AufenthG gegen einen irakischen Staatsangehörigen erlassene Abschiebungsanordnung für rechtmäßig hält, hinsichtlich des gleichzeitig gemäß § 11 Abs. 5b AufenthG erlassenen unbefristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots aber nicht so sicher ist.
Eine Abschiebung gemäß § 58a AufenthG sei zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr auch dann ohne vorhergehende Ausweisung zulässig, wenn den Sicherheitsbehörden noch kein konkreter Plan zur Ausführung einer terroristischen Gewalttat bekannt geworden sei. Ausreichend sei eine Bedrohungslage, bei der sich das vom Ausländer ausgehende Risiko einer sicherheitsgefährdenden oder terroristischen Tat jederzeit aktualisieren und in eine konkrete Gefahr umschlagen könne. Abschiebungsverbote hätten einer Abschiebung des Klägers in den Irak nicht entgegengestanden, weil auf der Grundlage mehrerer diplomatischer Zusicherungen der Republik Irak davon auszugehen gewesen sei, dass dem Kläger in seinem Herkunftsstaat weder Folter noch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention drohten.
Zur Frage, ob unbefristete Einreise- und Aufenthaltsverbote mit der EU-Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG vereinbar sind, hat das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshof in der Rechtssache C-446/24 ausgesetzt.
Ein Schutzsuchender aus dem Kongo, der in der Türkei lebt und einen Asylantrag in Griechenland stellen möchte, ist auch vor dem Europäischen Gerichtshof mit seiner Klage gegen die Europäische Grenzschutzagentur Frontex gescheitert, mit der er die Frontex-Aktivitäten in der Ägäis einstellen lassen wollte. Er hatte unter anderem argumentiert, dass eine Einstellung der Frontex-Aktivitäten seine beabsichtigte Überfahrt von der Türkei nach Griechenland sicherer machen würde, weil er dann nicht der Gefahr ausgesetzt wäre, schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch Frontex-Beamte zu erleiden. Mit Beschluss vom 11. Oktober 2024 (Rs. C-62/24 P, ST gg. Frontex) hat der Europäische Gerichtshof, wie zuvor schon das Gericht der Europäischen Union in seinem Beschluss vom 28. November 2023 (Rs. T-600/22), die Klage aus verschiedenen prozessualen Gründen zurückgewiesen. Im Verfassungsblog kommentiert Joyce De Coninck diese Entscheidung und die bisherigen anderen vergeblichen Versuche, Frontex vor den Gerichten der Europäischen Union zur Verantwortung zu ziehen.