In seinem Urteil vom 7. Juli 2022 (Az. A 4 S 3696/21) setzt sich der Verwaltungsgerichtshof Mannheim ausführlich mit der Situation von in Italien schutzberechtigten Ausländern auseinander und überträgt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu einer realistischen Rückkehrperspektive bei Prüfung der einem Ausländer bei Abschiebung in den Herkunftsstaat drohenden Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (Urteil vom 04. Juli 2019, Az. 1 C 45.18) auf EU-Drittstaatenfälle. Danach sei auch für Überstellungen innerhalb der EU für die Prognose der bei einer Überstellung drohenden Gefahren bei realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie im Familienverband zurückkehre, was auch dann gelte, wenn einzelnen Familienmitgliedern in Deutschland bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden sei. Der VGH Mannheim beschäftigt sich in diesem Urteil außerdem ausführlich mit der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, nämlich dem Tarakhel-Urteil vom 4. November 2014 (Az. 29217/12) sowie, in Auseinandersetzung damit, den Urteilen vom 18. März 2021 (M.T. gg. die Niederlande, Az. 46595/19) und vom 20. April 2021 (A.B. gg. Finnland, Az. 41100/19).
Familienangehörigen von Männern, die sich dem Wehrdienst in Syrien entzogen haben, droht ohne Hinzutreten gefahrerhöhender Risikomerkmale und mithin allein in Anknüpfung an die Wehrdienstentziehung keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung im Sinne einer Sippenhaft oder Reflexverfolgung, meint das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in seinem Beschluss vom 18. Juli 2022 (Az. 2 LB 218/21).
In seinem Beschluss vom 30. Juni 2022 (Az. OVG 4 N 48/22) hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einen Antrag des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge auf Zulassung der Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 30. März 2022 (Az. 10 K 1863/16.A) abgelehnt, das dem aus Somalia geflohenen Kläger subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts) zuerkannt hatte. Die vom BAMF als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage, ob die schlechten humanitären Bedingungen in Somalia noch auf einen Akteur im Sinne des § 3c AsylG zurückzuführen seien, welcher die schlechten Bedingungen zielgerichtet herbeiführe bzw. fördere, beziehe sich auf die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG (Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung), die im entschiedenen Verfahren aber gar nicht relevant gewesen sei. Zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG dagegen habe das BAMF in seinem Zulassungsantrag nicht substantiiert Stellung genommen.
Das Verwaltungsgericht München sieht für Ungarn in seinem Beschluss vom 18. Juli 2022 (Az. M 10 S 22.50218) nach wie vor ernsthafte Anhaltspunkte dafür, dass dort in zeitlicher Hinsicht auch nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 17. Dezember 2020 (Az. C-808/18) und des Verwaltungsgerichtshofs München vom 31. Januar 2018 (Az 9 B 17.50039) systemische Mängel im Asylsystem bestehen. Es erscheine noch nicht einmal gesichert, dass Dublin-Rückkehrer in Ungarn überhaupt Anträge auf Flüchtlingsschutz stellen können, was auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zugestanden habe. Soweit das BAMF in diesem Zuge angemerkt habe, dass es Überstellungen nach Ungarn nur durchführe, wenn die ungarischen Behörden im Einzelfall zusicherten, dass Dublin-Rückkehrende im Einklang mit der EU-Aufnahmerichtlinie untergebracht und deren Asylverfahren gemäß der EU-Asylverfahrensrichtlinie durchgeführt würden, liege eine solche individuelle Zusicherung der ungarischen Behörden nach Aktenlage gerade nicht vor.
Eine Ausländerbehörde gebraucht ihr Ermessen bei der Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 33 AufenthG für ein in Deutschland geborenes Kind fehlerhaft, wenn sie dabei lediglich darauf abstellt, dass ein Elternteil kein Aufenthaltsrecht in Deutschland hat, und das Aufenthaltsrecht des anderen Elternteils faktisch ignoriert, so das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 22. Juli 2022 (Az. OVG 3 S 6/22). Im entschiedenen Verfahren war der Vater des Kindes Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 38a AufenthG, das OVG ging davon aus, dass die Ausländerbehörde diesem Aufenthaltstitel nur einen „geringen Wert“ beigemessen habe, ohne dass es dafür einen rechtlichen Anknüpfungspunkt gäbe.
In seinem Urteil vom 14. Juli 2022 (Az. M 27 K 22.30330) beschäftigt sich das Verwaltungsgericht München mit einer möglicherweise etwas exotischen Fallkonstellation, in der ein Asylverfahren für eine deutsche Staatsangehörige durchgeführt wurde. In einem solchen Fall, so das VG, verstoßen der Erlass einer Ausreiseaufforderung, einer Abschiebungsandrohung sowie eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gegen das Grundrecht auf Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) und sind daher rechtswidrig, während Verpflichtungsanträge auf Anerkennung als Asylberechtigte, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, des subsidiären Schutzstatus sowie auf eine Feststellung von Abschiebungsverboten mangels Klagebefugnis unzulässig sind.