Das Verwaltungsgericht München lehnt in seinem Beschluss vom 17. März 2023 (Az. M 19 S 23.50039) die Überstellung eines Schutzsuchenden nach Zypern ab, der aus Zypern kommend im Transitbereich des Flughafens München um Asyl nachgesucht hatte. Der Beschluss ist aus drei Gründen informativ.
Zunächst ist es nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin-III-Verordnung keineswegs immer so, dass ein Dublin-Staat, in dem sich ein Schutzsuchender aufgehalten hat, der für die Prüfung des Asylantrags zuständige Staat ist, wenn der Schutzsuchende anschließend in einem anderen Dublin-Staat erstmals um Asyl nachsucht. Insbesondere in einer Konstellation wie im entschiedenen Verfahren, in dem noch in keinem Dublin-Staat ein Asylantrag gestellt wurde, ein legaler Aufenthalt des Betroffenen in Zypern nicht nachweisbar war und damit Art. 12 Dublin-III-Verordnung nicht anwendbar ist, der Betroffene sich aber länger als zwölf Monate ohne Aufenthaltsrecht in Zypern aufgehalten hat und damit Art. 13 Dublin-III-Verordnung ebenso nicht anwendbar ist, kann es durchaus bei der aus Art. 15 Dublin-III-Verordnung folgenden Auffangzuständigkeit des Staates bleiben, in dem der Asylantrag tatsächlich gestellt wurde, nämlich in Deutschland.
Kann nun der zuständige Dublin-Staat seine Zuständigkeit abgeben, indem er ein Aufnahmegesuch an einen nicht zuständigen Dublin-Staat richtet, der darauf nicht reagiert, so dass die Zustimmungsfiktion aus Art. 22 Abs. 7 Dublin-III-Verordnung greift und die Zuständigkeit übergeht? Dieser Argumentation des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge wollte sich das Verwaltungsgericht nicht anschließen. Die „sekundären Zuständigkeitskriterien“ in Kapitel VI Dublin-III-Verordnung seien gegenüber den primären Zuständigkeitskriterien in Kapitel III Dublin-III-Verordnung nachrangig, bei Konflikten zwischen primären und sekundären Zuständigkeitskriterien würden sich die „grundrechtlich aufgeladenen“ primären Zuständigkeitskriterien durchsetzen, so dass es im entschiedenen Verfahren bei der aus Art. 15 Dublin-III-Verordnung folgenden Zuständigkeit Deutschlands bleibe. Das ist im Ergebnis wohl richtig, gemeint ist aber doch etwas anderes, nämlich der Maßstab für die gerichtliche Kontrolle des Verwaltungshandelns in Hinblick auf die Annahme einer Dublin-Zuständigkeit, der richtigerweise nicht eingeschränkt ist.
Das VG München hat schließlich noch festgehalten, dass eine Überstellung des Schutzsuchenden nach Zypern auch schon deswegen nicht in Betracht gekommen wäre, weil Schutzsuchenden dort eine längere Periode der Obdachlosigkeit und damit eine konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK drohe. Das hatte das VG schon in seinem Beschluss vom 15. Dezember 2022 (Az. M 3 S 22.50694) so gesehen, anders sieht es das Verwaltungsgericht Cottbus in seinem Beschluss vom 13. Januar 2023 (Az. VG 5 L 8/23.A).
Das Oberverwaltungsgericht Schleswig hat es in seinem Beschluss vom 10. März 2023 (Az. 4 LA 4/23) abgelehnt, einen Berufungszulassungsantrag des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in einem Verfahren zuzulassen, in dem das erstinstanzlich befasste Verwaltungsgericht die Überstellung einer Familie mit kleinen Kindern nach Italien untersagt hatte. Das BAMF wollte zweitinstanzlich unter anderem wegen grundsätzlicher Bedeutung klären lassen, ob Familien mit minderjährigen Kindern, die in Italien internationalen Schutz erhalten haben, eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK insbesondere durch Obdachlosigkeit droht und ob Familien mit minderjährigen Kindern in Italien spätestens dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Obdachlosigkeit und extreme Armut droht, sobald ihr zeitlich befristeter Aufenthalt in Aufnahmezentren beendet ist. Das OVG sah diese Fragen als nicht entscheidungserheblich an, weil das Verwaltungsgericht entscheidend auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt habe, so dass es nicht darauf ankomme, ob daraus eine generelle Regel abgeleitet werden könne.
In seinem in einem Eilverfahren ergangenen Beschluss vom 1. März 2023 (Az. 6 L 300/22.A) geht das Verwaltungsgericht Potsdam davon aus, dass der bloße Umstand, dass russische Männer im wehrfähigen Alter grundsätzlich mit ihrer Einberufung zum Wehrdienst rechnen müssten, eine Änderung der Sachlage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG darstellt, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gemäß § 71 Abs. 1 AsylG zur Durchführung eines Folgeverfahrens verpflichtet. Es sei nicht von vornherein und nach jeder vertretbaren Betrachtungsweise ausgeschlossen, dass Männer im wehrfähigen Alter bei einer Rückkehr in die Russischen Föderation mit einer legalen Einberufung oder einer extralegalen Einziehung zu einem Militärdienst rechnen müssten und dass dieser Militärdienst mit hoher Wahrscheinlichkeit bedeuten würde, dass sie sich an Verbrechen gegen den Frieden, die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen beteiligen müssten.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) lässt in seinem Urteil vom 6. März 2023 (Az. 10 K 737/17.A) zwar offen, ob die Anforderungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung homosexueller Menschen in der Russischen Föderation erfüllt sind, nimmt aber in dem von ihm entschiedenen Einzelfall Verfolgung an. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die - unter dem Einfluss der staatlich inszenierten Propaganda wegen des völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands auf die Ukraine noch einmal verstärkt - staatlich zumindest hingenommene repressive Stimmung auch gegen sexuelle Minderheiten von weiten Kreisen der Zivilbevölkerung getragen und vom russisch-orthodoxen Klerus besonders unterstützt werde, wonach mit einer Vielzahl gezielter rechtlicher Einzelregelungen Homosexuelle einer gesellschaftlichen Ächtung und im Alltagsleben in vielen Angelegenheiten Diskriminierungen ausgesetzt seien. Unter solchen Umständen drohten ihnen gewalttätige Übergriffe insbesondere durch nichtstaatliche Dritte, die entsprechend dem erkennbaren staatlichen Repressionskonzept kaum bis gar nicht effektiv durch Strafverfolgungsbehörden geahndet würden, und zwar landesweit.