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Ausgabe 187 • 14.3.2025

Belangloser Vortrag

Auch in dieser Woche ist über ein Panoptikum aktueller flüchtlingsrechtlicher Rechtsprechung zu berichten. Es geht um subsidiären Schutz für russische Wehrpflichtige, eritreische Reueerklärungen, belanglosen Vortrag, diverse Konstellationen von Dublin-Überstellungen, unterlassenen Informationsaustausch, Erstattungsansprüche von Ausländerbehörden, mal wieder um den Beschwerdeausschluss und um Schadensersatz bei rechtswidriger Freiheitsentziehung.

Materielles Flüchtlingsrecht

Subsidiärer Schutz für russische Wehrpflichtige

In drei ausführlichen Urteilen vom 20. Januar 2025 (Az. 33 K 504/24 A und 33 K 519/24 A) und vom 5. März 2025 (Az. 33 K 495/23.A) hat das Verwaltungsgericht Berlin einen Anspruch russischer Wehrpflichtiger auf die Gewährung subsidiären Schutzes bejaht. Danach drohe gesunden, kinderlosen Männern russischer Staatsangehörigkeit im grundwehrpflichtigen Alter bei Rückkehr in die Russische Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Einberufung zum Grundwehrdienst und sei es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sie mit Erfolg einen Antrag auf Ableistung eines alternativen Zivildienstes stellen könnten. Außerdem drohe ihnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, durch Zwang oder Täuschung gegen ihren Willen als Vertragssoldaten rekrutiert, als solche zum Kampfeinsatz in den Ukraine-Krieg entsandt zu werden, in der russisch-ukrainischen Grenzregion Kursk stationiert und dort gegen ihren Willen unmittelbar oder mittelbar an Kampfhandlungen oder völkerrechts- und menschenrechtswidrigen Handlungen der russischen Streitkräfte beteiligt zu werden. Die Entsendung von Grundwehrdienstleistenden in den Ukraine-Krieg stelle eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK dar, unabhängig davon, ob ihr Einsatz auf ukrainischem Territorium oder im russisch-ukrainischen Grenzgebiet in der Region Kursk stattfinde.

Das Verwaltungsgericht hatte diese jetzt vorliegenden Entscheidungen Ende Januar 2025 bereits angekündigt (siehe ausführlich HRRF-Newsletter Nr. 182), es stellt sich damit ausdrücklich gegen die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg aus dem Sommer 2024 (siehe ausführlich HRRF-Newsletter Nr. 165), das sowohl eine Beteiligung von Wehrdienstleistenden an völkerrechtswidrigen Kampfhandlungen als auch eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung für unwahrscheinlich gehalten hatte. Die Verwaltungsgerichte Düsseldorf (siehe HRRF-Newsletter Nr. 181) und Magdeburg (siehe HRRF-Newsletter Nr. 174) haben unlängst wie das Verwaltungsgericht Berlin entschieden, anders sieht es aktuell etwa das Verwaltungsgericht Bayreuth in seinem Beschluss vom 5. Februar 2025 (Az. B 4 S 25.30091), das wie das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eine Beteiligung an Kampfhandlungen oder eine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung im Militär für unwahrscheinlich hält.

Asylverfahrensrecht

Kein belangloser Vortrag bei Fortzug nach unbekannt

Es ist unvertretbar, vom Fortzug eines Schutzsuchenden nach unbekannt auf ein Desinteresse am Ausgang seines Asylverfahrens und auf das Vorliegen lediglich belanglosen Vortrags im Sinne von § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zu schließen, meint das Verwaltungsgericht Köln in seinem Beschluss vom 11. März 2025 (Az. 22 L 472/25.A). Ein „Fortzug nach unbekannt“ habe mit einem belanglosen Vortrag weder sprachlich noch vom Sinn und Zweck der Vorschrift her irgendetwas zu tun; dieser Begründungsansatz passe, wenn überhaupt, nur zu einer Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylG.

Asylverfahrensrecht

Keine Divergenz bei der Reueerklärung

Die Berufung gegen ein Eritrea betreffendes asylrechtliches Urteil ist aus der Sicht des Oberverwaltungsgerichts Hamburg in seinem Beschluss vom 25. Februar 2025 (Az. 4 Bf 83/23.AZ) nicht wegen einer Divergenz von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Oktober 2022 (Az. 1 C 9.21) hinsichtlich der Zumutbarkeit der Abgabe einer sogenannten Reueerklärung zur Erlangung des Diasporastatus zuzulassen, weil die Urteile sich insoweit auf verschiedene Rechtsnormen mit unterschiedlichem Regelungsgehalt beziehen. Das im konkreten Fall angegriffene verwaltungsgerichtliche Urteil stelle die Frage nach der Zumutbarkeit der Abgabe der Reueerklärung im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 AsylG bzw. für die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG. Demgegenüber betreffe das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Oktober 2022 nicht die Beurteilung einer asylrechtlichen Gefahrenlage, sondern § 5 AufenthV und die Frage, ob einem subsidiär schutzberechtigten Ausländer die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer mit der Begründung verweigert werden dürfe, er könne einen Pass seines Herkunftsstaates auf zumutbare Weise erlangen, wenn der Herkunftsstaat die Ausstellung eines Passes an die Unterzeichnung einer Reueerklärung knüpfe.

Dublin-Verfahren usw.

Keine Dublin-Überstellung ohne Sicherstellung erforderlicher medizinischer Behandlung

§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG steht dem Erlass einer Abschiebungsandrohung entgegen, wenn aufgrund einer nicht nur vorübergehenden gesundheitlichen Beeinträchtigung des Ausländers erforderlich ist, dass er im Falle seiner Abschiebung im Dublin-Zielstaat in geeignete Obhut übergeben wird und derartige Vorkehrungen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht getroffen worden sind, sagt das Verwaltungsgericht Hamburg in seinem Beschluss vom 11. März 2025 (Az. 12 AE 1200/25).

Dublin-Verfahren usw.

Einstweiliger Rechtsschutz für weibliche in Griechenland Schutzberechtigte

Jedenfalls im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass mit dem weiblichen Geschlecht von Schutzberechtigten in Griechenland keine erhebliche Erhöhung des Risikos verbunden ist, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh zu erfahren, meint das Verwaltungsgericht Hamburg in seinem Beschluss vom 5. März 2025 (Az. 12 AE 1165/25). Insbesondere könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass es Frauen, anders als Männern, grundsätzlich zumutbar sei, informelle Unterkunftsmöglichkeiten verschiedenster Art in Anspruch zu nehmen, bei denen es sich nach der Erkenntnislage häufig um Unterkünfte ohne Rückzugsräume handele, die ausschließlich von Männern bewohnt würden. Auch erscheine fraglich, ob die für junge Männer angeführten Erwerbsmöglichkeiten im informellen Sektor Frauen tatsächlich in gleichem Maße offenstünden wie Männern; dies erscheine insbesondere im Bereich der Land- und Bauwirtschaft zweifelhaft. Vor diesem Hintergrund bedürfe die Frage der Zumutbarkeit einer Rückkehr alleinstehender Frauen nach Griechenland einer vertieften Prüfung im Hauptsacheverfahren.

Dublin-Verfahren usw.

Rückkehr im Familienverbund bei erwachsenen Familienmitgliedern

Das Verwaltungsgericht Hamburg geht in seinem Urteil vom 3. März 2025 (Az. 12 A 3903/22) davon aus, dass von einer gemeinsamen Rückkehr erwachsener Familienmitglieder auszugehen ist, wenn ein Familienmitglied aufgrund besonderer Umstände auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist. Ein solcher Familienverbund sei nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK besonders schutzwürdig und könne dazu führen, dass einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ausnahmsweise die Gefahr einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh in dem schutzgewährenden Mitgliedstaat entgegenstehe.

Dublin-Verfahren usw.

Unterlassener Informationsaustausch häufig folgenlos

Aus der Sicht des Verwaltungsgerichts Gießen in seinem Beschluss vom 12. Februar 2025 (Az. 8 L 210/25.GI.A) stellt die Nichtdurchführung eines mit einem anderen EU-Mitgliedstaat vorzunehmenden Informationsaustausches durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Rahmen eines Asylverfahrens und die daraus resultierende Nichtberücksichtigung der Entscheidung des anderen Mitgliedstaates einen Verfahrensfehler dar, der jedoch unbeachtlich ist, wenn er die Entscheidung des Bundesamts in der Sache nicht beeinflusst hat. Auf solche Fehlerfolgen sei § 46 VwVfG anwendbar, weil sich im Unionsrecht keine Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die vom Europäischen Gerichtshof in seinem Urteil vom 18. Juni 2024 (Rs. C-753/22, siehe ausführlich HRRF-Newsletter Nr. 150) postulierte Verpflichtung fänden. Im entschiedenen Verfahren sei ausgeschlossen gewesen, dass ein durchgeführter Informationsaustausch zu einer anderen Entscheidung über den Asylantrag des Antragstellers geführt hätte.

Aufnahmebedingungen

Keine schlechthin unerträgliche Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs

Aus dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung folgt für den Verwaltungsgerichtshof Mannheim in seinem Urteil vom 27. Februar 2025 (Az. 11 S 134/22), dass eine Leistungsbehörde keine Erstattungsansprüche gegenüber Personen geltend machen darf, die eine Verpflichtungserklärung gemäß § 68 AufenthG abgegeben haben, wenn die Behörde damit gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt und eine Aufrechterhaltung eines Erstattungsbescheids „schlechthin unerträglich“ wäre. Die Leistungsbehörde habe in anderen Fällen nicht auf die Geltendmachung der Erstattungsforderung bezüglich der in ihrem Zuständigkeitsbereich erbrachten Leistungen bestanden und es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Behörde aus Sachgründen von einer früheren Verwaltungspraxis abzurücken und eine neue ständige Verwaltungspraxis begründen haben wolle.

Aufenthaltsbeendigung

Kein Beschwerdeausschluss bei Ausweisungen

Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, in denen sich der betroffene Ausländer gegen den Sofortvollzug einer gegen ihn verfügten Ausweisung nebst Einreise- und Aufenthaltsverbot wendet, fallen auch dann nicht unter den Beschwerdeausschluss des § 80 Var. 2 AsylG, wenn zuvor eine Abschiebungsandrohung gemäß § 34 AsylG ergangen ist, sagt das Oberverwaltungsgericht Schleswig in seinem Beschluss vom 27. Februar 2025 (Az. 6 MB 2/25). In dem Verfahren seien die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen eine Ausweisung und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen das an die Ausweisung anknüpfende Einreise- und Aufenthaltsverbot streitgegenständlich. Es sei nicht ersichtlich, dass die angefochtenen Maßnahmen die Bemühungen der Ausländerbehörde um eine ggf. notwendig werdende Abschiebung voranbrächten und somit eine in § 80 AsylG genannte „Maßnahme zum Vollzug der Abschiebungsandrohung“ darstellten.

Sonstiges

Entschädigung für immaterielle Schäden bei Nichtausschiffung

Der Kassationsgerichtshof in Rom hat den italienischen Staat mit Beschluss vom 7. März 2025 (Az. 17687/2024) dazu verpflichtet, Schadensersatz an eine Gruppe von Schutzsuchenden zu zahlen, die im August 2018 an Bord des Schiffs Diciotti im Hafen von Catania über zehn Tage festgehalten wurden. Bei der Entscheidung, die Schutzsuchenden an Bord des Schiffs festzuhalten, habe es sich nicht um einen rechtsfreien politischen Akt gehandelt, sondern um einen Verwaltungsakt. Er sei rechtswidrig gewesen, weil gemäß dem SAR-Übereinkommen der für die Rettung von Schiffbrüchigen verantwortliche Staat die Ausschiffung „innerhalb der kürzestmöglichen Zeit“ organisieren müsse, was nicht geschehen sei. Die Höhe des Schadensersatzes steht noch nicht fest.

Sonstiges

Vermischtes vom Bundesverwaltungsgericht

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Volltext seines Urteils vom 28. November 2024 (Az. 1 A 1.23) veröffentlicht, in dem es eine im März 2023 vom Land Berlin gemäß § 58a AufenthG gegen einen irakischen Staatsangehörigen erlassene Abschiebungsanordnung für rechtmäßig gehalten hat (siehe ausführlich HRRF-Newsletter Nr. 173). Eine Gefahr im Sinne von § 58a Abs. 1 Satz 1 AufenthG könne auch dann vorliegen, wenn ein Ausländer zwar nicht selbst ideologisch radikalisiert sei, er sich jedoch von Dritten in dem Wissen um deren ideologische Ziele für entsprechende Gewalthandlungen instrumentalisieren lasse oder er sich im In- oder Ausland in den Dienst einer terroristischen Vereinigung stelle und diese in dem Wissen um deren ideologische Radikalisierung bereitwillig durch die Begehung schwerer Straftaten unterstütze, ohne in der Folge erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand zu nehmen.

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