In seinem Urteil vom 8. Januar 2025 (Az. 17 K 248/23 A) geht das Verwaltungsgericht Berlin davon aus, dass LGBTQI+-Personen in der Türkei keine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht. Die LGBTQI+-Gemeinschaft in der Türkei sehe sich einer erheblichen erniedrigenden Behandlung ausgesetzt, dabei bildeten gewalttätige Übergriffe nur den schwerwiegendsten Ausschnitt einer weit verbreiteten homophoben und transphoben Grundhaltung, die in der türkischen Gesellschaft fest verankert sei, in nahezu allen Bereichen des täglichen Lebens zu teilweise massiven Problemen führe und von staatlichen Akteuren noch aktiv befeuert werde. Soweit teilweise „liberalere“ Stadtviertel einiger türkischer Großstädte als interne Fluchtalternativen genannt würden, stellten solche Stadtviertel bereits keinen „Teil des Zielstaates“ im Sinne von § 3e Abs. 1 AsylG dar, in denen Betroffene hinreichend vor Verfolgung geschützt wären. Außerdem sei unter Berücksichtigung des Mietniveaus in diesen Stadtvierteln nicht zu erwarten, dass Betroffene ihr Existenzminimum dort sichern könnten.
Eine auf § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung darf nicht ergehen, wenn im Zielstaat der Abschiebung Folter oder unmenschliche und erniedrigende Behandlung und Strafe drohen und damit ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt, meint das Verwaltungsgericht Hannover in seinem in einem Eilverfahren ergangenen Beschluss vom 10. Februar 2025 (Az. 12 B 3422/24). Wohl jedenfalls dann, wenn ein betroffener Ausländer zuvor kein Asylverfahren durchlaufen hat, müsse die zuständige Ausländerbehörde solche Abschiebungsverbote selbstständig prüfen und dürfe den Betroffenen nicht auf ein Asylverfahren verweisen. Soweit das Oberverwaltungsgericht Lüneburg dies in seinem Beschluss vom 14. November 2023 (Az. 13 ME 177/23) anders gesehen habe, sei diese Entscheidung durch die zeitlich spätere Änderung des § 59 Abs. 1 S. 1 AufenthG und durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 17. Oktober 2024 (Rs. C-156/23) überholt.
Aus denselben Erwägungen sei außerdem die gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG an sich erforderliche Erfüllung der Passpflicht als Voraussetzung für die Verlängerung eines Aufenthaltstitels unzumutbar, wenn materielle Asylgründe entgegenstünden. Ein anderslautender Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 20. April 2015 (Az. 13 LA 157/14) sei wiederum überholt, weil aufgrund der Änderung von § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs einer (aufenthaltsrechtlichen) Abschiebungsandrohung nunmehr auch ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot entgegengehalten werden könne, das materiell ein Asylbegehren enthalte, und dieser Sachverhalt dann auch bei jeder anderen aufenthaltsrechtlichen Prüfung zu berücksichtigen sein müsse.
In dem Verfahren ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass der Antragstellerin in der Türkei politisch motivierte Strafverfolgung droht und sie nicht mit einem fairen rechtsstaatlichen Strafverfahren rechnen kann, sondern ihr als vermeintlicher Regimegegnerin eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung droht; einen Asylantrag wollte die Betroffene offensichtlich nicht stellen.
Das Verwaltungsgericht Berlin bejaht in seinem Urteil vom 28. Februar 2025 (Az. 24 K 116/24) einen aus § 5 AufenthV folgenden Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer, wenn dem Ausländer in seinem Herkunftsstaat Verfolgung droht. Dies gelte auch dann, wenn der Ausländer in Deutschland keinen Asylantrag gestellt habe, weil die Ausländerbehörde im Rahmen der Prüfung, ob der Ausländer einen Reiseausweis nicht auf zumutbare Weise von seinem Herkunftsstaat erlangen könne, selbstständig eine mögliche flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung prüfen müsse.
Im entschiedenen Verfahren hatte der Kläger geltend gemacht, dass in der Türkei in einem Geheimverfahren wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gegen ihn ermittelt werde, die beklagte Ausländerbehörde wollte ihn insoweit auf ein Asylverfahren verweisen. Dies hielt das Verwaltungsgericht für falsch, weil der Kläger nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern die Erteilung eines Reiseausweises begehre; zudem sei es für ihn angesichts der gegen ihn erhobenen Vorwürfe unzumutbar, sich weiter bei türkischen Behörden um die Ausstellung eines Reisepasses zu bemühen.
Der Verwaltungsgerichtshof München berichtet in einer Pressemitteilung vom 18. März 2025 über sein noch nicht im Volltext vorliegendes Urteil vom 17. März 2025 (Az. 10 BV 24.700), wonach die Personenkontrolle eines österreichischen Staatsbürgers an der deutsch-österreichischen Grenze im Juni 2022 rechtswidrig war. In erster Instanz war die Klage vor dem Verwaltungsgericht München noch mit der Begründung als unzulässig abgewiesen worden (Urteil vom 31. Januar 2024, Az. M 23 K 22.3422), dass es am erforderlichen Fortsetzungsfeststellungsinteresse fehle. Das scheint der Verwaltungsgerichtshof nun anders gesehen zu haben; in der Sache hatte bereits das Verwaltungsgericht die Personenkontrolle für rechtswidrig gehalten, weil Binnengrenzkontrollen den Schengener Grenzkodex verletzten, wenn sie fortlaufend mit migrations- und sicherheitspolitischen Aspekten sowie Sekundärmigration begründet würden.
In Niedersachsen gab es das auch schon mal (siehe zuletzt HRRF-Newsletter Nr. 72), nun ist offenbar Mecklenburg-Vorpommern an der Reihe, wenn es um unklare Behördenzuständigkeiten für aufenthaltsrechtliche Durchsuchungsanordnungen geht. Das Oberlandesgericht Rostock geht in seinem Beschluss vom 17. Februar 2025 (Az. 6 W 49/24) davon aus, dass in Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls nicht die Landkreise für Durchsuchungsanträge gemäß § 58 Abs. 8 AufenthG zuständig sind, weil die entsprechende untergesetzliche landesrechtliche Zuständigkeitsnorm mangels einer Ermächtigungsgrundlage nichtig sei. Gemäß § § 71 Abs. 1 S. 4 AufenthG sei für die Vollziehung von Abschiebungen in den Ländern jeweils eine zentral zuständige Stelle zu bestimmen. Sofern die Länder davon gemäß Art. 84 Abs. 1 S. 2 GG abweichen wollten, müssten sie eine gesetzlich bestimmte Ermächtigungsgrundlage für eine untergesetzliche Abweichung von dieser ausdrücklichen bundesrechtlichen Vorgabe schaffen, an der es in Mecklenburg-Vorpommern aber fehle. Das Oberlandesgericht hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen, weil das Verwaltungsgericht Schwerin die Rechtslage offenbar anders beurteilt.
Die Europäische Asylagentur (EUAA) hat Ausgabe 1/2025 ihres vierteljährlichen, thematisch gegliederten Updates zur Asylrechtsprechung in der Europäischen Union veröffentlicht, das auf 45 Seiten den Zeitraum Dezember 2024 bis Februar 2025 abdeckt.