Kein inlandsbezogener subsidiärer Schutz

Subsidiärer Schutz darf nicht gewährt werden, meint der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 5. Juni 2025 (Rs. C-349/24, Nuratau), wenn der einem Schutzsuchenden drohende ernsthafte Schaden nicht herkunftslandbezogen ist, d.h. nicht gerade (nur) im Herkunftsland droht. Dies folge aus dem herkunftslandsbezogenen Schutzkonzept der EU-Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU und gelte etwa, wenn infolge einer Abschiebung der Abbruch der Bindungen zwischen dem Betroffenen und dem abschiebenden Staat und damit eine Verletzung des Rechts des Betroffenen auf Privatleben drohe. Eine solche Gefahr müsse jedoch gemäß Art. 5 der EU-Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG jedenfalls vor dem Erlass einer Rückkehrentscheidung berücksichtigt werden; außerdem dürften Mitgliedstaaten durchaus Schutz gewähren und ein Aufenthaltsrecht erteilen, solange dieses Aufenthaltsrecht nicht mit dem aus dem Flüchtlingsschutz oder aus dem subsidiären Schutz folgenden Aufenthaltsrecht verwechselt werden könne.

Sonderlich neu ist es nicht, dass Flüchtlingsschutz und subsidiärer Schutz gewissermaßen „exklusiv“ im europäischen Recht definiert werden und dass die Mitgliedstaaten diese Art von Schutzgewährung nicht einfach ausdehnen dürfen (siehe zuerst das Urteil des Gerichtshofs vom 9. November 2010, verb. Rs. C-57/09 und C-101/09). Es gibt da offenbar eine Verwechslungsgefahr, die sich auf „die Möglichkeit einer Verwechslung der Rechtsquelle“ (so der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen in jenem Verfahren, dort Rn. 105) beziehen soll und die im Wortlaut von Art. 2 Abs. 2 EU-Qualifikationsverordnung 2024/1347 nun auch ausdrücklich erwähnt wird. Eine solche Verwechslungsgefahr soll dann nicht bestehen, wenn der „nationale Schutz“ klar vom internationalen Schutz unterschieden werden kann, und eine solche klare Unterscheidbarkeit soll anscheinend voraussetzen, dass der nationale Schutz in einer anderen Rechtsvorschrift als der internationale Schutz geregelt ist (siehe das Urteil des Gerichtshofs vom 12. September 2024, Rs. C-352/23, dort Rn. 52), was im jetzt entschiedenen Verfahren nicht der Fall war.

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ISSN 2943-2871