BVerfG rügt erneut Verpflichtung zur Nachholung des Visumverfahrens

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Beschluss vom 17. April 2024 (Az. 2 BvR 244/24) erneut (siehe zuletzt HRRF-Newsletter Nr. 124 und Nr. 131) kritisch über die Praxis deutscher Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei der Zulassung von Ausnahmen vom Visumverfahren in Fällen geäußert, in denen der verfassungsrechtliche Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG einschlägig ist. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem Verfahren, der Beschwerdeführer könne sich nicht auf Art. 6 Abs. 1 GG berufen, da er mit seiner Lebensgefährtin lediglich nach traditionellem Ritus verheiratet sei und die Tochter seiner Lebensgefährtin nicht seine rechtliche Tochter sei, missachte, dass der Familienschutz des Art. 6 Abs. 1 GG eine rechtliche Verwandtschaftsbeziehung nicht voraussetze, sondern auch gelebte sozial-familiäre Bindungen erfasse. Mit dem nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG gebotenen staatlichen Schutz des Kindeswohls sei nicht in Einklang zu bringen, wenn das Verwaltungsgericht eine Prüfung des Kindeswohls insgesamt unterlasse, weil der Beschwerdeführer sich nicht frühzeitig um einen Termin bei der deutschen Botschaft gekümmert habe, um dadurch die Dauer einer möglichen Trennung von dem Kind möglichst kurz zu halten, und insofern kein „schützenswertes Interesse“ bestehe. Ebenso werde der Umfang des Gewährleistungsbereichs von Art. 6 Abs. 1 GG verkannt, wenn zudem unterstellt werde, dass das Kind im Falle einer Trennung vom Beschwerdeführer wohl „große Traurigkeit und Verlustängste“ erleiden werde, ohne dies weiter aufzuklären. Die Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht gleichwohl nicht zur Entscheidung angenommen, weil der Rechtsweg nicht erschöpft worden sei.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Neueste Newsletter

  • Fortdauernde Flucht

    Ein allgemeiner Erfahrungssatz besagt, dass man zu jeder migrationsrechtlichen Frage Entscheidungen von mindestens zwei Gerichten finden kann, in denen zu dieser Frage gegensätzliche Rechtsauffassungen vertreten werden. Das Verwaltungsgericht Berlin probiert in dieser Woche aus, ob man das nicht auch innerhalb des Gerichts hinkriegt: Die 37. Kammer…

    Weiterlesen..

  • Contra mundum

    Es geht in dieser Woche um die vom französischen Asylgerichtshof angenommene Gruppenverfolgung von Palästinensern im Gazastreifen, um Gefahren in der Zentral- und Westukraine, die das Verwaltungsgericht Berlin für nicht beachtlich hält, und um mögliche Kampfeinsätze in der Ukraine als Gefahr für russische Wehrpflichtige, über die sich…

    Weiterlesen..

  • Schwierige Verhältnisse

    Die Rechtsprechung im Asyl- und Migrationsrecht wird gefühlt auch jede Woche politischer. Das liegt wohl weniger an den Gerichten als vielmehr an der neuen Bundesregierung, die mit juristisch zweifelhaftem Aktionismus aufwartet und aufwarten lässt. In dieser Woche geht es dementsprechend um Zurückweisungen, die vielleicht gar keine…

    Weiterlesen..

  • Fiktiver Aufenthalt

    Was tut die italienische Regierung mit einem leerstehenden Migrationszentrum in Albanien, in dem sie keine Schutzsuchenden unterbringen (d.h. inhaftieren) kann, weil die italienischen Gerichte Einwände haben? Sie widmet das Zentrum einfach in eine Abschiebungshaftanstalt um. Ärgerlich nur aus Sicht der Regierung, dass die italienischen Gerichte schon…

    Weiterlesen..

  • Restriktivere Handhabung

    Mal wieder eine Dublin-Woche im HRRF-Newsletter, in der darum geht, ob die Rechtskraft eines verwaltungsgerichtlichen Urteils einem neuen Dublin-Bescheid im Wege steht (ja), ob Dublin-Überstellungsfristen durch gerichtlichen Eilrechtsschutz unterbrochen werden (man ist sich nicht einig) und ob Schutzberechtigten in Griechenland Menschenrechtsverletzungen drohen (man ist sich ebenfalls…

    Weiterlesen..

ISSN 2943-2871