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Ausgabe 154 • 19.7.2024

Überschießende Sachausführungen

In dieser Woche sind zwar keine spektakulären Entscheidungen zu verzeichnen, gleichwohl werden in den Entscheidungen der Woche durchaus reizvolle Rechtsfragen aufgeworfen und beantwortet. Es geht um die Anforderungen an die Ablehnung von Asylanträgen als offensichtlich unbegründet, um überflüssige überschießende Sachausführungen in verwaltungsgerichtlichen Urteilen, um das Schicksal von noch nicht bestandskräftigen Dublin-Bescheiden nach Überstellung und Rückkehr nach Deutschland, um Schwarzarbeit in Griechenland sowie um kroatische Pushbacks. Außerdem geht es um aufenthaltsrechtliche Wohnsitzauflagen und um einen vermeintlichen Visumsanspruch aus § 25 Abs. 3 AufenthG.

Asylverfahrensrecht

Erhöhte Anforderungen an qualifizierte Ablehnung eines Asylantrags

Das Verwaltungsgericht Köln wirft dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in zwei Beschlüssen vom 12. Juli 2024 (Az. 22 L 1245/24.A und 22 L 1256/24.A) handwerkliche Fehler bei der Ablehnung von Asylanträgen als offensichtlich unbegründet vor und hat die aufschiebende Wirkung der Klagen angeordnet. Wenn das Bundesamt zur Begründung seines Offensichtlichkeitsurteils lediglich ausführe, dass eine Antragstellerin keine eigenen Gründe vorgetragen und sich auf Vorfälle bezogen habe, die ihren Ehemann beträfen, habe es die Vorschrift des § 26 AsylG zum Familienflüchtlingsschutz offensichtlich übersehen (Az. 22 L 1245/24.A). Außerdem erfülle das Bundesamt die erhöhten Begründungsanforderungen bei der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nicht, wenn es lediglich den Gesetzeswortlaut wiederhole und wenn eine Subsumtion vollständig fehle (Az. 22 L 1256/24.A).

Asylverfahrensrecht

Aufhebung der Begründung eines Asylbescheids bei Austausch der Offensichtlichkeitsgründe

Ein Austausch von Offensichtlichkeitsgründen durch das Verwaltungsgericht bei der Ablehnung eines Asylantrags kann die Aufhebung der Begründung der Antragsablehnung im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge erforderlich machen, um den unterschiedlichen ausländerrechtlichen Folgen verschiedener Offensichtlichkeitsgründe Rechnung zu tragen, so das Verwaltungsgericht Schleswig in seinem Urteil vom 4. Juli 2024 (Az. 10 A 161/24). Habe das Bundesamt den Asylantrag etwa nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 bis 7 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt, so untersage die absolute Titelsperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG strikt, dem Ausländer vor der Ausreise einen Aufenthaltstitel zu erteilen. Da diese spezifische ausländerrechtliche Sanktionswirkung nicht eintrete, wenn die qualifizierte Ablehnung des Asylantrags auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt werde, müsse das Gericht gegebenenfalls auch die hier mit einer eigenen rechtlichen Beschwer verbundene Begründung des Bescheids aufheben, etwa wenn es die qualifizierte Ablehnung stattdessen auf § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG stütze. Die Titelerteilungssperre greife nämlich nicht ein, wenn dem Bescheid durch die Aufhebung der Begründung nicht mehr eindeutig zu entnehmen sei, dass die qualifizierte Ablehnung auf einen Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 3 bis 7 AsylG gestützt sei.

Das Verwaltungsgericht hat sich außerdem zu der Frage geäußert, ob die Aufenthaltsgestattung eines Kernfamilienmitglieds eines Schutzsuchenden und damit das jedenfalls potentielle Eingreifen von Familienflüchtlingsschutz gemäß § 26 AsylG die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet ausschließt (siehe zu dieser Frage etwa den oben erwähnten Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln, wo das unproblematisch bejaht wird), und will diese Frage verneinen, weil die Berücksichtigung familiärer Belange voraussetze, dass die insoweit relevanten Familienmitglieder über ein gesichertes Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland verfügten. Diese Aussage und der Verweis des Verwaltungsgerichts auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11. März 2021 (Rs. C-112/20) deuten darauf hin, dass da in der Argumentation vielleicht etwas durcheinander geraten ist, nämlich die Ablehnung eines Asylantrags mit dem Erlass einer Abschiebungsandrohung.

Asylverfahrensrecht

Vereinfachte Berufungsbegründung nach Prozessurteil

Wird eine Klage durch das Verwaltungsgericht als unzulässig und unbegründet abgewiesen, erfordert § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO nicht, dass sich die Berufungsbegründung mit den Erwägungen zur Unbegründetheit auseinandersetzt, meint der Verwaltungsgerichtshof Mannheim in seinem Beschluss vom 27. Juni 2024 (Az. A 12 S 290/24). Grundsätzlich müsse eine Berufungsbegründung erkennen lassen, aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig sein soll und geändert werden müsse. Einer ausdrücklichen Begründung bezüglich des verfolgten Sachbegehrens bedürfe es aber ausnahmsweise nicht, wenn das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft in eine Sachprüfung eingetreten sei und Ausführungen zur Begründetheit der Klage gemacht habe, obwohl es gleichzeitig deren Zulässigkeit verneint habe. Solchen „überschießenden“ Sachausführungen eines Prozessurteils komme keine materielle Bindungswirkung zu und sie dürften dem Betroffenen nicht entgegengehalten werden. Dies werde in der Rechtsprechung vielfach mit der Formulierung zum Ausdruck gebracht, dass die verfahrensfehlerhaft beigefügten Begründungserwägungen als „nicht geschrieben“ gälten.

Dublin-Verfahren usw.

Teilweise Aufhebung eines Dublin-Bescheids nach Überstellung und Rückkehr

Das Verwaltungsgericht Hamburg setzt sich in seinem Urteil vom 4. Juli 2024 (Az. 12 A 4989/22) ausführlich mit einigen praxisrelevanten Fragen auseinander, die sich nach Ablehnung des Asylantrags eines Schutzsuchenden wegen der Zuständigkeit eines anderen Dublin-Staats und der Überstellung in diesen Dublin-Staat ergeben, wenn der Schutzsuchende anschließend nach Deutschland zurückkehrt, und die von deutschen Verwaltungsgerichten bislang nicht einheitlich beantwortet werden (siehe etwa das zu einem vergleichbaren Sachverhalt ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 26. Mai 2020, Az. 22 K 12322/17.A). Danach sei bei der gerichtlichen Entscheidung über eine gegen die Unzulässigkeitsentscheidung noch anhängige Klage nicht ausnahmsweise auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Überstellung abzustellen, sondern in Übereinstimmung mit § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, und setze eine erneute Überstellung in den anderen Mitgliedstaat in diesem Fall die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs nach Art. 24 Dublin-III-VO voraus. Stelle das Bundesamt ein solches Wiederaufnahmegesuch nicht innerhalb der Fristen des Art. 24 Abs. 2 Dublin-III-VO, so gehe die Zuständigkeit für das Asylverfahren des Schutzsuchenden in entsprechender Anwendung von Art. 24 Abs 3 Dublin-III-VO auch dann auf Deutschland über, wenn der Schutzsuchende nach seiner Rückkehr keinen neuen Antrag beim Bundesamt gestellt habe; die insoweit in aller Regel einschlägige Frist des Art. 24 Abs 2 UAbs 2 Dublin-III-VO beginne zu laufen, sobald das Bundesamt von der Rückkehr der Person ins Bundesgebiet Kenntnis erlangt habe. Dabei erledige sich die im ursprünglichen Bescheid enthaltene Abschiebungsanordnung, sobald der Schutzsuchende ins Bundesgebiet zurückkehre, jedoch erlösche ein ebenso angeordnetes Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht dadurch, dass Deutschland nach der Überstellung für das noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Asylverfahren des Schutzsuchenden zuständig werde und dessen Aufenthalt im Bundesgebiet somit gemäß § 55 Abs. 1 S. 1 AsylG gestattet sei.

Dublin-Verfahren usw.

(Noch) keine grundsätzliche Bedeutung kroatischer Pushbacks

In seinem Beschluss vom 4. Juli 2024 (Az. 11 A 2105/23.A) hat das Oberverwaltungsgericht Münster die Zulassung der Berufung gegen ein Urteil abgelehnt, in dem das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen das Vorliegen systemischer Mängel im kroatischen Asylsystem verneint hatte. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sei nicht ausreichend dargelegt worden, so das Oberverwaltungsgericht, weil der Antrag auf Zulassung der Berufung sich überwiegend auf die wörtliche Wiederholung weiter Teile von Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Braunschweig, Freiburg und Stuttgart beschränkt habe. Es wäre vielmehr erforderlich gewesen, durch die Benennung bestimmter begründeter Informationen, Auskünfte, Presseberichte oder sonstiger Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern gegenteilige Behauptungen zutreffend seien. Außerdem könne der bloße Hinweis auf abweichende Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte außerhalb Nordrhein-Westfalens auch deshalb nicht zur Zulassung der Berufung führen, weil eine grundsätzliche Klärung von Tatsachenfragen immer nur durch das jeweilige Obergericht für seinen Bezirk erfolgen könne.

Dublin-Verfahren usw.

Schwarzarbeit in Griechenland zumutbar

Der Umstand, dass Schwarzarbeit in Griechenland verboten ist, macht eine Beschäftigung in der Schattenwirtschaft für international Schutzberechtigte nicht unzumutbar, auch wenn dies möglicherweise die Bemühungen der EU und ihrer Mitgliedstaaten zur Bekämpfung der Schwarzarbeit untergräbt, meint das Verwaltungsgericht Hamburg in zwei Urteilen vom 28. Juni 2024 (Az. 12 A 4048/22 und 12 A 4023/22). Soweit teilweise angenommen werde, dass Dublin-Rückkehrer bzw. zurückkehrende international Schutzberechtigte angesichts der Bemühungen der EU und ihrer Mitgliedstaaten zur Bekämpfung der Schwarzarbeit grundsätzlich nicht auf eine verbotene Schwarzarbeit verwiesen werden dürften, sei dies falsch, weil rechtlicher Prüfungsmaßstab allein die Frage sei, ob Betroffenen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh drohe. Ob eine Tätigkeit in der Schattenwirtschaft, die Betroffene keiner Gefahr einer solchen Behandlung aussetze, die Bemühungen der EU und ihrer Mitgliedstaaten zur Bekämpfung der Schwarzarbeit untergrabe, sei im vorliegenden Kontext mithin irrelevant.

Die beiden Urteile setzen sich ausführlich mit den Lebensbedingungen zurückkehrender international Schutzberechtigter in Griechenland auseinander. Das Verwaltungsgericht sieht jedenfalls bei hinreichend jungen, gesunden, arbeitsfähigen, körperlich belastbaren und mit hinreichender Durchsetzungsfähigkeit und Eigeninitiative ausgestatteten Männern vorbehaltlich außergewöhnlicher Umstände keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie in Griechenland ihre elementarsten Bedürfnisse nicht werden befriedigen können.

Aufenthaltsrecht

Wohnsitzauflage nur bei kumulativer Erfüllung der Integrationskriterien

Eine Wohnsitzverpflichtung nach § 12a Abs. 3 Satz 1 AufenthG setzt voraus, dass die Wohnsitznahme die Erreichung aller drei Integrationskriterien der Nummern 1 bis 3 der Vorschrift (Versorgung mit angemessenem Wohnraum, Erwerb ausreichender mündlicher Deutschkenntnisse und Aufnahme einer Erwerbstätigkeit) erleichtern kann; dies ist nicht der Fall, wenn eines dieser Kriterien bereits erfüllt ist, sagt das Oberverwaltungsgericht Münster in seinem Beschluss vom 8. Juli 2024 (Az. 18 B 379/24). Soweit die Ausländerbehörde geltend mache, dass der Zweck des § 12a Abs. 3 Satz 1 AufenthG dieser Auslegung entgegenstehe, weil der Anwendungsbereich der Vorschrift ansonsten substantiell eingeschränkt würde, könne dies angesichts des eindeutigen Wortlauts der Norm und der Gesetzgebungsmaterialien nicht dazu führen, auf die Voraussetzung zu verzichten, dass jedes der in den Nummern 1 bis 3 genannten Tatbestandsmerkmale durch die Wohnsitzauflage erleichtert werden könne.

Aufenthaltsrecht

Kein Visumsanspruch aus § 25 Abs. 3 AufenthG

Die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG führt in Verbindung mit § 25 Abs. 3 AufenthG nach der freiwilligen Ausreise eines Ausländers nicht zu einem Anspruch auf Erteilung eines Visums zur Wiedereinreise nach Deutschland, sagt das Verwaltungsgericht Berlin in seinem Urteil vom 20. Juni 2024 (Az. VG 8 K 16/24 V). Visa könnten zwar für eine Vielzahl, aber nicht für alle der im Aufenthaltsgesetz geregelten Aufenthaltszwecke erteilt werden, entscheidend sei der jeweilige Aufenthaltszweck. Sei dieser erkennbar darauf gerichtet, den Aufenthalt eines bereits im Bundesgebiet lebenden Ausländers abzusichern, so scheide eine Visumserteilung aus. § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG diene ausschließlich dazu, den Aufenthalt eines bereits im Bundesgebiet lebenden Ausländers abzusichern; sei der Ausländer freiwillig ausgereist, so gehöre er nicht zu diesem von der Regelung erfassten Personenkreis. Auch § 6 AsylG führe zu keinem anderen Ergebnis, weil die durch diese Vorschrift vermittelte Bindungswirkung sich gerade nicht auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes erstrecke.