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Ausgabe 179 • 17.1.2025

Umfassende Beweiserhebungen

Eine Woche ohne sonderlich spektakuläre Entscheidungen, aber immerhin geht es um Verfahrensgarantien für unbegleitete Minderjährige, diplomatische Zusicherungen, unverbindliche Rechtsmeinungen von Oberinstanzen, unterbliebene Belehrungen im Asylverfahren, Zuständigkeitsänderungen und den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge.

Menschenrechtsschutz

Staaten müssen über Verfahrensgarantien für unbegleitete Minderjährige informieren

Es kann einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK konstituieren, wenn in einem Staat zwar Verfahrensgarantien für unbegleitete Minderjährige existieren, diese in der Praxis aber nicht oder nur unzureichend in Anspruch genommen werden können, etwa wenn unbegleitete Minderjährige nicht ausreichend über die sie betreffenden Entscheidung staatlicher Behörden und die ihnen zustehenden Rechte informiert werden, sagt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 16. Januar 2025 (Az. 15457/20). In dem entschiedenen Verfahren hatten französische Behörden im Rahmen einer Altersfeststellung entschieden, den unbegleiteten minderjährigen Beschwerdeführer als volljährig anzusehen, hatten ihre Entscheidung aber nur mit Textbausteinen begründet und den Betroffenen nicht über die ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmittel unterrichtet. Der Gerichtshof nahm mehrheitlich einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK an, er hat zu seinem Urteil auch eine Pressemitteilung veröffentlicht.

Menschenrechtsschutz

Anforderungen an diplomatische Zusicherungen präzisiert

In seinem Urteil vom 14. Januar 2025 (Az. 60811/15 u. 54512/17) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Anforderungen präzisiert, die im Auslieferungsverfahren an diplomatische Zusicherungen zu stellen sind. Unter anderem könne bei Zusicherungen von Staaten, die nicht an die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden seien, eine bloße Bezugnahme auf nationales Recht oder internationale Verträge zum Schutz von Menschenrechten nicht für eine wirksame Zusicherung ausreichen, gerade wenn es Berichte über Menschenrechtsverletzungen in diesem Staat gebe. In dem Verfahren ging es um die Auslieferung eines kasachischen Staatsangehörigen aus der Türkei nach Kasachstan im Jahr 2018, der Gerichtshof stellte einen Verstoß der Türkei gegen Art. 3 EMRK fest.

Asylverfahrensrecht

Keine Bindungswirkung prozessualer Rechtsmeinungen

Die Rechtsmeinung des Verwaltungsgerichtshofs München in seinem Beschluss vom 3. März 2023, (Az. 24 B 23.30101), dass eine Prüfung der aktuellen allgemeinen Lage im Herkunftsland des Klägers und seiner individuellen Situation mit „umfassenden Beweiserhebungen“ verbunden wäre, entfaltet auch nach der Zurückverweisung des Verfahrens gemäß § 79 Abs. 2 AsylG keine Bindungswirkung für das dann wieder zuständige Verwaltungsgericht, sagt das Verwaltungsgericht Würzburg in seinem Urteil vom 23. Dezember 2024 (Az. W 3 K 23.30206). Derartige Beweiserhebungen seien seitens der Parteien nicht beantragt worden und das Verwaltungsgericht habe sie nicht für erforderlich gehalten, so dass kein derartiger Beweis zu erheben gewesen sei.

Asylverfahrensrecht

Keine hohen Anforderungen an Belehrung im Asylverfahren

Die Belehrung über die Möglichkeit zur umfassenden Begründung eines Asylantrags gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchstabe a der EU-Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU in Verbindung mit Art. 4 der EU-Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU muss nicht in schriftlicher Form ausgehändigt werden, meint das Oberverwaltungsgericht Münster in seinem Beschluss vom 9. Januar 2025 (Az. 1 A 1794/22.A). Vielmehr genüge eine mündliche Belehrung vor Beginn der Anhörung, wenn diese durch einen Sprachmittler in eine Sprache übersetzt werde, die von dem jeweiligen Antragsteller gesprochen werde bzw. von der vernünftigerweise erwartet werden könne, dass er sie verstehe. Außerdem verlange die Informationspflicht ohnehin keine konkreten inhaltlichen Hinweise oder gar eine Belehrung, welche weiterführenden Angaben ein Antragsteller in seinem Einzelfall vortragen könnte. Soweit eine Belehrung hinsichtlich der organisatorischen Hinweise betreffend den „Verlauf des Verfahrens“ und die diesbezüglichen Rechte und Pflichten sowie die Folgen bei deren Nichtbefolgung unterblieben sei, sei der darin liegende Fehler nach § 46 VwVfG unbeachtlich, wenn dieser für die mit einer Klage alleine angegriffene verfahrensabschließende Entscheidung erkennbar ohne Bedeutung sei.

Asylverfahrensrecht

Zuständigkeitsänderungen gelten nicht für anhängige Verfahren

Mangels einer möglicherweise zulässigen, aber jedenfalls fehlenden ausdrücklichen Regelung verbleibt es für bereits vor dem Zeitpunkt einer verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeitsänderung rechtshängige asylrechtliche Verfahren nach dem Grundsatz der perpetuatio fori bei der örtlichen Zuständigkeit des bereits zuvor angerufenen Gerichts, meint der Verwaltungsgerichtshof München in einem Urteil vom 12. Dezember 2024 (Az. 13a B 24.30889) und in einem Beschluss vom 7. Januar 2025 (Az. 15 B 24.30892).

Aufenthaltsrecht

Kein Übergang der Verantwortung bei nicht rechtmäßigem Aufenthalt

Der Verantwortungsübergang nach Art. 2 Abs. 1 des Europäischen Übereinkommens über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge (EÜÜVF) setzt voraus, dass ein Flüchtling einen durch den Erststaat ausgestellten Reiseausweis erhalten hat und dass die Behörden des Aufenthaltsstaats seinem Aufenthalt zugestimmt haben, sagt der Verwaltungsgerichtshof Kassel in seinem Beschluss vom 29. November 2024 (Az. 2 A 615/21.Z.A). Eine rein tatsächliche Begründung eines Aufenthalts genüge nicht, auch wenn sie dem Aufnahmestaat bekannt sei und von ihm faktisch hingenommen werde, vielmehr werde eine besondere Beziehung zu dem Flüchtling erst durch die Gewährung eines rechtmäßigen Aufenthalts begründet. Insbesondere stelle eine rein verfahrensakzessorische Gestattung des Aufenthalts während eines laufenden Asylverfahrens nach § 55 Abs. 1 Satz 2 AsylG keine Billigung des Aufenthalts durch den Aufenthaltsstaat dar.

Sonstiges

Vermischtes vom Bundesverwaltungsgericht

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Volltexte seiner Urteile vom 26. September 2024 (Az. 1 C 11.23) sowie vom 24. Oktober 2024 (Az. 1 C 17.23) veröffentlicht. In beiden Verfahren ging es um aufenthaltsrechtliche Fragen, nämlich im Verfahren 1 C 11.23 um die Sperrwirkung von § 36a AufenthG beim Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten (siehe dazu HRRF-Newsletter Nr. 164), im Verfahren 1 C 17.23 um eine Verkürzung der Eheleuten zuzumutenden Trennungszeiten durch Sicherung des Lebensunterhalts und Vorhalten von Wohnraum (siehe dazu HRRF-Newsletter Nr. 168).

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