Die neue Textausgabe zum Deutschen Migrationsrecht ist da - jetzt herunterladen oder bestellen!
Ausgabe 168 • 26.10.2024

Rechtsschutzfreier Raum

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt Malta mit deutlichen Worten wegen der Inhaftierung minderjähriger Schutzsuchender, das Verwaltungsgericht Köln hält weiterhin nichts von Dublin-Überstellungen nach Kroatien und ein italienisches Gericht nichts von ausgelagerten Asylverfahren in Albanien. Außerdem geht es um die Voraussetzungen für die Annahme einer missbräuchlichen Folgeantragstellung, einen Zweitantrag ohne erste inhaltliche Prüfung, vermeintlich rechtsfreie Räume im Aufenthaltsrecht und um den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten.

Menschenrechtsschutz

Menschenrechtswidrige Inhaftierung minderjähriger Schutzsuchender in Malta

In einem ungewöhnlich deutlichen Urteil vom 22. Oktober 2024 (Az. 1766/23) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt, dass Malta die Menschenrechte unter anderem minderjähriger Schutzsuchender durch ihre Inhaftierung während ihrer Asylverfahren verletzt hat. Nicht nur seien die Haftbedingungen menschenrechtswidrig gewesen, sondern auch die Inhaftierung als solche, und habe es insbesondere keine Möglichkeit zu einer effektiven gerichtlichen Überprüfung der Inhaftierung gegeben. Die maltesische Regierung müsse dafür sorgen, dass Rechtsvorschriften erlassen würden, damit das für die Überprüfung der Inhaftierung von Schutzsuchenden zuständige „Immigration Appeals Board“ den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention entspreche, und zwar in Hinblick auf die Art und Weise der Ernennung seiner Mitglieder und deren Amtszeit, das Vorhandensein von Garantien gegen Druck von außen und die Notwendigkeit, dass das Gremium den Anschein von Unabhängigkeit erwecke. Der Gerichtshof habe bereits vor neun Jahren gerügt, dass in Malta kein effektiver Rechtsschutz für Beschwerden gegen Haftbedingungen existiere, diese Situation habe sich seitdem nicht verbessert. Malta müsse einen rechtlich und praktisch wirksamen Rechtsbehelf einführen.

Der Gerichtshof berichtet in einer ausführlichen Pressemitteilung vom selben Tag über sein Urteil.

Dublin-Verfahren usw.

Keine Dublin-Überstellung nach Kroatien

Die 22. Kammer des Verwaltungsgerichts Köln bleibt in ihrem Beschluss vom 18. Oktober 2024 (Az. 22 L 1985/24.A) bei ihrer bisherigen Rechtsprechung (siehe etwa HRRF-Newsletter Nr. 143), die einstweiligen Rechtsschutz gegen beabsichtigte Dublin-Überstellungen nach Kroatien gewährt. Die Praxis von Kettenabschiebungen von Kroatien nach Bosnien-Herzegowina auf der Grundlage des zwischen diesen beiden Staaten getroffenen Rückübernahmeabkommens, von dem ausweislich der aktuellen Erkenntnismittel auch in der Praxis derzeit Gebrauch gemacht werde, sei problematisch. Im Rahmen eines Eilverfahrens sei nicht möglich, sich mit den insoweit maßgeblichen tatsächlichen Umständen sowie mit den sich stellenden komplexen Rechtsfragen in hinreichender Weise auseinanderzusetzen, insofern müsse eine abschließende Bewertung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Da die konkrete und ernsthafte Gefahr, einer Kettenabschiebung ausgesetzt zu sein, jedenfalls bei summarischer Betrachtung und unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnismittel nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen sei, dürfe vor Abschluss des Hauptsachverfahrens keine Überstellung nach Kroatien stattfinden.

Asylverfahrensrecht

Einstweilen keine Asylverfahren in Albanien

In einer Pressemitteilung vom 18. Oktober 2024 berichtet das Tribunale Ordinario (Zivilgericht) in Rom über seine Entscheidung vom selben Tag, die Rückholung von zwölf Schutzsuchenden nach Italien anzuordnen, die zuvor von der italienischen Regierung in das von ihr errichtete Migrationszentrum in Albanien verbracht worden waren. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Herkunftsländer der betroffenen Schutzsuchenden vor dem Hintergrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 4. Oktober 2024 (Rs. C-406/22) keine sicheren Herkunftsstaaten seien, so dass ihre Asylverfahren nicht als Grenzverfahren durchzuführen seien, was in der Vereinbarung zwischen Italien und Albanien aber vorausgesetzt werde. Die italienische Regierung versucht derweil, diese Entscheidung mit einem am 23. Oktober 2024 veröffentlichten Dekret auszuhebeln, das eine angepasste Liste sicherer Herkunftsstaaten enthält, offenbar mit der Argumentation, dass sich die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof nur auf solche Herkunftsstaaten beziehe, die nicht ihr gesamtes Territorium kontrollierten, nicht jedoch auch auf Herkunftsstaaten, in denen lediglich bestimmte Gruppen von Menschen von Verfolgung bedroht seien.

Asylverfahrensrecht

Keine vorschnelle Annahme missbräuchlicher Folgeantragstellung

Das Verwaltungsgericht Köln geht in seinem Beschluss vom 18. Oktober 2024 (Az. 27 L 2017/24.A) ausführlich auf die Voraussetzungen ein, unter denen gemäß § 71 Abs. 5 AsylG von einer „missbräuchlichen“ Folgeantragstellung auszugehen ist. Es sei nicht ausreichend, dass ein Folgeantrag kurz vor einer bevorstehenden Abschiebung gestellt wurde, vielmehr müsse er „nur“ aus missbräuchlichen Gründen gestellt werden. Eine solche missbräuchliche Antragstellung setze voraus, dass der Antrag gerade zu dem Zweck gestellt werde, die Abschiebung zu verzögern oder zu behindern, was eine subjektive Komponente beinhalte, nämlich eine Missbrauchsabsicht, die nach einer fallspezifischen Beurteilung sämtlicher relevanter Umstände zu beurteilen sei. Die Annahme einer solchen Absicht sei jedenfalls regelmäßig dann auszuschließen, wenn ein Antrag zwar spät gestellt werde, der Antragsteller aber davon ausgehe, dass dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Entscheidung über den Folgeantrag ggf. unter dessen Priorisierung noch rechtzeitig vor einer bevorstehenden Abschiebung möglich sei.

Asylverfahrensrecht

Kein Zweitantrag ohne erste inhaltliche Prüfung

Im Sinne von § 71a AsylG erfolglos abgeschlossen ist ein Asylverfahren nur, wenn durch den sicheren Drittstaat eine vollständige Prüfung des internationalen Schutzes vorgenommen wurde, sagt das Verwaltungsgericht Düsseldorf in seinem Beschluss vom 8. Oktober 2024 (Az. 29 L 2628/24.A). In dem Verfahren war ein in Griechenland gestellter Asylantrag dort als unzulässig abgelehnt worden, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge betrachtete einen anschließend in Deutschland gestellten weiteren Asylantrag als Zweitantrag. Das, so das Verwaltungsgericht, sei falsch gewesen.

Aufenthaltsrecht

Keine rechtsfreien Räume im Aufenthaltsrecht

Das Verwaltungsgericht Berlin ruft in seinem Urteil vom 10. Oktober 2024 (Az. 4 K 199/23 V) in Erinnerung, dass es im Aufenthaltsrecht keine rechtsfreien Räume gibt. Auch der Beurteilungsspielraum, der dem Bundesministerium des Inneren und für Heimat nach § 22 Satz 2 AufenthG zustehe, wonach eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen sei, wenn das Bundesministerium oder die von ihm bestimmte Stelle zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme eines Ausländers erklärt habe, sei gerichtlich grundsätzlich überprüfbar. In dem Verfahren ging es um afghanische Ortskräfte, die erfolglos die Aufnahme in Deutschland beantragt hatten. Die Ausführungen des Ministeriums, dass Entscheidungen in diesem Bereich gerichtlich nicht überprüft werden könnten, da es sich hierbei um autonome Ausübung staatlicher Souveränität handele, hielt das Verwaltungsgericht für nicht besonders überzeugend. Nach allgemeinen Grundsätzen sei die Ausübung eines Beurteilungsspielraums jedenfalls dann auf eine Verletzung des Willkürverbots überprüfbar, wenn eine staatliche Stelle wie hier beim Ortskräfteverfahren die einzelnen Aufnahmen auf der Grundlage einer abgestimmten und abstrakten Kriterien folgenden Verwaltungspraxis zusage. In der Sache hatte die Klage allerdings keinen Erfolg.

Aufenthaltsrecht

Keine verkürzte Trennungszeit beim Familiennachzug

Das Bundesverwaltungsgericht informiert in einer Pressemitteilung vom 24. Oktober 2024 über sein (noch nicht im Volltext vorliegendes) Urteil vom selben Tag (Az. 1 C 17.23), in dem es eine Verkürzung der Trennungszeit beim Ehegattennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten (§ 36a AufenthG) aufgrund der Sicherung von Lebensunterhalt und des Vorhaltens von Wohnraum abgelehnt hat. Eine Ausnahme von dem Regelausschlussgrund für den Fall, dass die (Wieder-)Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft in dem Aufenthaltsstaat des nachzugswilligen Ehegatten auf unabsehbare Zeit ausscheide, sei regelmäßig erst bei einer mehr als vier Jahre andauernden Trennung der Ehegatten anzunehmen. Atypische Umstände des Einzelfalles müssten geeignet seien, dem Regelausschlussgrund einer nach der Flucht geschlossenen Ehe schon vor dem Ablauf der genannten Fristen ausnahmsweise kein ausschlaggebendes Gewicht beizumessen; von einer derartigen Atypik könne indes weder im Falle der Sicherstellung des Lebensunterhalts der Bedarfsgemeinschaft noch im Falle des Vorhaltens ausreichenden Wohnraums ausgegangen werden.