In einem Urteil vom 21. März 2025 hat der griechische Staatsrat, das oberste Verwaltungs- und Verfassungsgericht des Landes, die griechische Einstufung der Türkei als sicheren Drittstaat für Schutzsuchende aus Syrien, Afghanistan, Somalia, Pakistan und Bangladesch aufgehoben. Bei der Einstufung der Türkei sei gar nicht geprüft worden, ob die Türkei die für eine solche Einstufung erforderlichen Kriterien tatsächlich erfülle, außerdem verweigere die Türkei seit März 2020 die Rücknahme von Schutzsuchenden. Nach der Entscheidung dürfen Asylanträge von Schutzsuchenden aus den fünf Ländern, die über die Türkei nach Griechenland eingereist sind, nicht mehr als unzulässig abgelehnt werden, sondern müssen inhaltlich geprüft werden. Über die Entscheidung berichten etwa auch Pro Asyl (hier und hier) und die griechische NGO RSA Refugee Support Aegean.
Das Oberverwaltungsgericht Greifswald meint in seinem Urteil vom 17. März 2025 (Az. 4 LB 474/23 OVG), dass die Defizite im griechischen Aufnahmesystem nicht für alle anerkannten Schutzberechtigten die besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die eine menschenrechtswidrige Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC durch eine systemische Schwachstelle begründet. Sofern das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag eines zuvor in Griechenland anerkannten Flüchtlings nicht als unzulässig abgelehnt, sondern in der Sache geprüft und dann abgelehnt habe, sei das falsch und sei der Bundesamtsbescheid schon deswegen aufzuheben, weil in ihm die Abschiebung in den Herkunftsstaat statt nach Griechenland angedroht werde. Das Oberverwaltungsgericht hat die Tatsachenrevision zugelassen, weil es in der Beurteilung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage in Griechenland von deren Beurteilung durch mehrere andere Oberverwaltungsgerichte abweicht.
Angehörigen der yezidischen Glaubensgemeinschaft droht in der Provinz Ninive im Irak aktuell weder durch den Islamischen Staat noch durch sonstige nichtstaatliche Dritte mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ihre Religionszugehörigkeit anknüpfende Verfolgung als Gruppe, sagt das Oberverwaltungsgericht Magdeburg in seinem Beschluss vom 13. März 2025 (Az. 2 L 2/25.Z). Dieser Personengruppe drohe im Fall ihrer Rückkehr auch kein ernsthafter Schaden in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder in Gestalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts; außerdem begründeten die Lebensbedingungen und humanitären Verhältnisse in der Provinz Ninive nicht für jeden dorthin zurückkehrenden Yeziden mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit ein ernsthaftes Risiko eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK.
Ein erstinstanzliches nationales Gericht, das über einen Rechtsbehelf gegen die Ablehnung eines Asylantrags entscheiden soll, muss über die Befugnis verfügen, eine ärztliche Untersuchung des Antragstellers anzuordnen, wenn es die Inanspruchnahme dieser Untersuchung für die Beurteilung des Antrags für erforderlich oder sachdienlich erachtet, sagt der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 3. April 2025 (Rs. C-283/24). Eine solche Befugnis ergebe sich aus Art. 46 Abs. 3 der EU-Asylverfahrensrichtlinie, die eine umfassende Ex-nunc-Prüfung durch das nationale Gericht vorsehe und die sich auch auf Tatsachen erstrecke. Nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie sei es zwar Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, die Verfahrensmodalitäten für eine solche Prüfung zu regeln, jedoch unter der Voraussetzung, dass diese Modalitäten die Ausübung des aus Art. 46 der EU-Asylverfahrensrichtlinie folgenden Rechts des Antragstellers auf einen wirksamen Rechtsbehelf nicht praktisch unmöglich machten oder übermäßig erschwerten. Sollte sich eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts als unmöglich erweisen, seien Unionsnormen wie Art. 46 Abs. 3 der EU-Asylverfahrensrichtlinie unmittelbar anzuwenden.
Kommt die Ausländerbehörde bei der Erteilung des Chancenaufenthaltsrechts ihren Hinweispflichten nach § 104c Abs. 4 AufenthG nicht oder unvollständig nach und ist dieser Verstoß für die Nichterlangung des Anschlusstitels ursächlich, so kommt die Erteilung einer Ermessensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG für eine Dauer von bis zu 18 Monaten in Betracht, sagt der Verwaltungsgerichtshof München in seinem Beschluss vom 6. März 2025 (Az. 19 CE 24.1915). Ausländer seien spätestens bei der Erteilung des Chancenaufenthaltsrechts auf die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG und ggf. § 25a AufenthG hinzuweisen. In dem von der beklagten Ausländerbehörde verwendeten Hinweisblatt würden jedoch die Voraussetzungen für die Erteilung des Anschlusstitels in der Aufzählungspunktliste bereits nach eigenem Verständnis nicht vollständig aufgezählt und fehlten Hinweise zu § 25b Abs. 1 Nr. 1 (Mindestaufenthaltszeit), Nr. 2 (Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung), Nr. 4 (Hinreichende Deutschkenntnisse) und Nr. 5 (Nachweis des Schulbesuchs) AufenthG. Außerdem mangele es dem Hinweisblatt an der von § 104c Abs. 4 Satz 2 AufenthG vorausgesetzten Bezeichnung konkreter Handlungspflichten. Ein probates Mittel, um die Pflichtverletzung der Behörde nicht zum Nachteil des Ausländers folgenlos zu lassen, sei die Erteilung einer Ermessensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Volltexte seiner Urteile vom 21. November 2024 (Az. 1 C 23.23) und vom 19. Dezember 2024 (Az. 1 C 3.24) veröffentlicht, in denen es über Italien betreffende Tatsachenrevisionen entschieden hatte, die die Aufnahmesituation von nicht-vulnerablen anerkannten Flüchtlingen bzw. einer alleinerziehenden Mutter mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren in Italien betreffen. Zu beiden Entscheidungen hat das Bundesverwaltungsgericht im Herbst 2024 auch Pressemitteilungen veröffentlicht (siehe hier und hier), der HRRF-Newsletter hatte ebenfalls berichtet (siehe Newsletter Nr. 172 und Nr. 177).