Der Europäische Gerichtshof beantwortet in seinem Urteil vom 19. Dezember 2024 (Rs. C‑185/24 und C‑189/24) die Vorlagefragen des Oberverwaltungsgerichts Münster zu den italienischen Dublin-Rundschreiben und sagt, dass systemische Schwachstellen in einem Dublin-Staat nicht allein deswegen festgestellt werden können, weil der zuständige Mitgliedstaat die Überstellungen von Asylbewerbern einseitig ausgesetzt hat; eine solche Feststellung könne vielmehr nur nach einer Prüfung aller relevanten Daten auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben getroffen werden. Der Gerichtshof hat sein Urteil in einer Pressemitteilung zusammengefasst.
Das Verwaltungsgericht Gera geht in seinem Urteil vom 12. Dezember 2024 (Az. 6 K 1178/24 Ge) davon aus, dass Italien nicht zur (Wieder-)aufnahme von Schutzsuchenden im Rahmen von Dublin-Überstellungen bereit ist, und hat eine gemäß § 34a AsylG vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlassene Abschiebungsanordnung deswegen aufgehoben. Zum Selbsteintritt hat das Gericht das Bundesamt aber nicht verpflichtet, weil es den betroffenen Schutzsuchenden zuzumuten sei, den Ablauf der Dublin-Überstellungsfrist abzuwarten. Durch den dann eintretenden Zuständigkeitsübergang werde die Situation eines „refugee in orbit“, nämlich das dauerhafte Auseinanderfallen von Aufenthaltsstaat und für die Prüfung zuständigem Staat, verhindert. Die Klage gegen den Bescheid des Bundesamts war in dem Verfahren am 27. September 2024 erhoben worden, das gerichtliche Hauptsacheverfahren hat also weniger als drei Monate gedauert.
Das Bundesverwaltungsgericht berichtet in einer Pressemitteilung vom 19. Dezember 2024 über sein noch nicht im Volltext vorliegendes Urteil vom selben Tag (Az. 1 C 3.24), wonach es über eine weitere Tatsachenrevision zur Situation von Schutzberechtigten in Italien entschieden hat. Danach drohten alleinerziehenden international schutzberechtigt anerkannten Elternteilen mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren aktuell bei einer Rückkehr nach Italien keine erniedrigenden oder unmenschlichen Lebensbedingungen, die eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 4 der EU-Grundrechtecharta zur Folge haben könnten.
Ein Zweitantrag darf nur dann als unzulässiger Folgeantrag abgelehnt werden, wenn im Zeitpunkt der Stellung des zweiten Asylantrags das Asylverfahren im ersten Mitgliedstaat bereits bestandskräftig abgeschlossen war, sagt der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. Dezember 2024 (Rs. C‑123/23 und C‑202/23); werde ein Asylverfahren wegen einer angenommenen stillschweigenden Rücknahme des Asylantrags eingestellt, so sei es erst dann bestandskräftig abgeschlossen, wenn es nicht mehr wiedereröffnet werden könne. Zum gleichen Ergebnis kommt übrigens das Verwaltungsgericht Köln in seinem Beschluss vom 11. Dezember 2024 (Az. 22 L 2285/24.A), das solche in Deutschland gestellten Anträge als Erstanträge behandeln will, d.h. weder als Zweit- noch als Folgeanträge.
In einer Pressemitteilung vom 20. Dezember 2024 berichtet das Bundesverfassungsgericht über seinen Beschluss vom 12. Dezember 2024 (Az. 2 BvR 1341/24), in dem es eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen hat. Die Verfassungsbeschwerde des in Griechenland schutzberechtigten Beschwerdeführers hatte sich dagegen gewandt, dass in einem verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren die aufschiebende Wirkung der Klage nicht angeordnet wurde, obwohl beim Bundesverwaltungsgericht eine Griechenland betreffende Tatsachenrevision anhängig ist. Es sei nämlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, so das Bundesverfassungsgericht, wenn ein Verwaltungsgericht eine beim Bundesverwaltungsgericht anhängige Tatsachenrevision nicht abwarte, weil § 78 Abs. 8 AsylG eine Ausweitung des Suspensiveffekts über das als Revision anhängige Verfahren hinaus nicht zu entnehmen und auch sonst nicht geboten sei. Die mit der Einführung von § 78 Abs. 8 AsylG verbundene Intention, im Wege der Tatsachenrevision Einheitlichkeit in der gerichtlichen Beurteilung der tatsächlichen Lage in einem Zielstaat herzustellen, entbinde die Verwaltungsgerichte ohnehin nicht von der verfassungsrechtlichen Pflicht zur tagesaktuellen Erfassung der entscheidungserheblichen Sachlage. Insofern sei eine anhängige Tatsachenrevision auch nicht mit einer bereits erfolgten Vorlage an den Europäischen Gerichtshof vergleichbar.
In seinem Urteil vom 12. Dezember 2024 (Az. 11 A 1550/24.A) hält das Oberverwaltungsgericht Münster die Vorschrift des § 77 Abs. 4 AsylG, wonach das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine Bescheide während laufender Gerichtsverfahren unter bestimmten Voraussetzungen austauschen darf, für im Berufungsverfahren nicht anwendbar. Die Anwendbarkeit der Vorschrift sei auf das erstinstanzliche Hauptsacheverfahren beschränkt, was bereits aus der Gesetzesbegründung folge, sich aber auch deswegen ergebe, weil die Vorschrift jedenfalls im Berufungszulassungsverfahren unanwendbar sei, so dass sie dann nicht anschließend wieder anwendbar sein könne. Außerdem würde eine Anwendung der Vorschrift im Berufungsverfahren „nicht handhabbare prozessuale Probleme“ aufwerfen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg weist in seinem Beschluss vom 17. Dezember 2024 (Az. 10 N 20/24) darauf hin, dass ein bloßer Verweis auf ein beim Europäischen Gerichtshof anhängiges Vorabentscheidungsverfahren nicht ohne Weiteres zu einer Aussetzung eines asylgerichtlichen Verfahrens führt. Insbesondere ein bloßer Hinweis darauf, dass das zu entscheidende Verfahren gegenüber dem beim EuGH anhängigen Verfahren „gleich gelagert“ sei, reiche nicht aus, um die Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG zu erfüllen, wenn im Berufungszulassungsverfahren ein Verfahrensfehler im erstinstanzlichen Verfahren gerügt werde.
Die im Laufe des Jahres 2024 in vielen Bundesländern eingeführte Konzentration asylgerichtlicher Zuständigkeiten sorgt nicht nur bei Rechtsanwälten für Verwirrung, etwa unlängst in einem beim Verwaltungsgericht Ansbach anhängigen Verfahren (Beschluss vom 16. Oktober 2024, Az. AN 18 K 24.50673, siehe dazu HRRF-Newsletter Nr. 170), sondern offenbar auch bei den Gerichten selbst. In einem Berichtigungsbeschluss vom 5. Dezember 2024 (Az. M 31 K 24.33165) korrigiert das Verwaltungsgericht München seinen eigenen Verweisungsbeschluss, weil es die zum 1. September 2024 in Niedersachen in Kraft getretene Konzentration gerichtlicher Zuständigkeiten für bestimmte Herkunftsstaaten übersehen hatte (siehe dazu HRRF-Newsletter Nr. 162).
Ein Mitgliedstaat, der vorübergehenden Schutz über die europarechtlichen Anforderungen hinaus auf bestimmte Personengruppen ausgedehnt hat, kann diesen Personengruppen den vorübergehenden Schutz entziehen, ohne das Ende des nach EU-Recht gewährten vorübergehenden Schutzes abzuwarten, meint der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. Dezember 2024 (Rs. C-244/24 u. C-290/24), über das es auch in einer Pressemitteilung berichtet.
Die Europäische Asylagentur (EUAA) hat Ausgabe 4/2024 ihres vierteljährlichen, thematisch gegliederten Updates zur Asylrechtsprechung in der Europäischen Union veröffentlicht, das auf 47 Seiten den Zeitraum September bis November 2024 abdeckt.