Bereits im April 2024 hatte das Verwaltungsgericht Berlin in einem Eilverfahren „erhebliche unionsrechtliche“ Zweifel an der Bestimmung Senegals als sicheren Herkunftsstaat gemäß § 29a AsylG geäußert (siehe ausführlich HRRF-Newsletter Nr. 142), nun hat es im dazugehörigen Hauptsacheverfahren mit Beschluss vom 29. November 2024 (Az. Az. 31 L 670/23 A) tatsächlich ein Vorabentscheidungsersuchen vor dem Europäischen Gerichtshof initiiert und dazu am 11. Dezember 2024 eine Pressemitteilung veröffentlicht. Die vom Verwaltungsgericht vorgelegten Fragen ähneln den Fragen zu sicheren Herkunftsstaaten, die dem Gerichtshof unlängst von italienischen Gerichten vorgelegt wurden (siehe oben).
Das Verwaltungsgericht hat den Gerichtshof um Klärung gebeten, ob für die Bestimmung eines Staats als sicherer Herkunftsstaat landesweit Sicherheit für alle Bevölkerungsgruppen bestehen müsse und was eine solche Bevölkerungsgruppe sei bzw. unter welchen Voraussetzungen sie als nicht sicher anzusehen sei. Zwar habe der Gerichtshof unlängst (nämlich in seinem Urteil vom 4. Oktober 2024, siehe ausführlich HRRF-Newsletter Nr. 166) entschieden, dass ein Drittstaat nicht als sicherer Herkunftsstaat eingestuft werden dürfe, wenn Teile seines Hoheitsgebiets nicht sicher seien. Offen sei jedoch, ob das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten auch einen „personengruppenbezogenen Aspekt“ aufweise, wonach ein Drittstaat auch dann nicht als sicher eingestuft werden dürfe, wenn lediglich bestimmte Personengruppen nicht sicher seien. Außerdem möchte das Verwaltungsgericht wissen, ob die Bestimmung eines Staats als sicherer Herkunftsstaat gerichtlich überprüfbar ist und wie dabei die Rechtsprechung von Gerichten in anderen EU-Mitgliedstaaten berücksichtigt werden muss.
Nach der Einschätzung des Verwaltungsgerichts sind im Senegal 25% der Mädchen und Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren Opfer von Genitalverstümmelung, ist Zwangsheirat, besonders Minderjähriger, trotz Verbots auf dem Lande verbreitet und wird eine große Zahl von Kindern von ihren Familien in Koranschulen geschickt, wo die Kinder in vielen Fällen zum Betteln auf der Straße missbraucht werden. Außerdem sind gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen strafbar und werden mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe geahndet, zeigen Religionsgemeinschaften keine Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten und werden LGBTQI+-Personen in der Gesellschaft diskriminiert. Zudem sieht die senegalesische Verfassung zwar vor, dass alle Angeklagten das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren haben, und hat die Justiz dieses Recht im Allgemeinen durchgesetzt, geben willkürliche Verhaftungen und längere Inhaftierungen aber gleichwohl Anlass zur Sorge.
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