Es besteht kein Zweifel daran, so der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 4. Oktober 2024 (Rs. C‑608/22 und C‑609/22), dass die diskriminierenden Maßnahmen des afghanischen Taliban-Regimes gegen Frauen sowohl aufgrund ihrer Intensität und ihrer kumulativen Wirkung als auch aufgrund der Folgen, die sie für betroffene Frauen haben, Verfolgung im Sinne der EU-Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU darstellen.
Einige dieser diskriminierenden Maßnahmen seien bereits für sich genommen als Verfolgung einzustufen, etwa die Zwangsverheiratung, die einer nach Art. 4 EMRK verbotenen Form der Sklaverei gleichzustellen sei, und der fehlende Schutz vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt, die Formen unmenschlicher und erniedrigender Behandlung darstellten, die nach Art. 3 EMRK verboten seien. Außerdem beeinträchtigten die zahlreichen diskriminierenden Maßnahmen gegen Frauen, die den Zugang zur Gesundheitsfürsorge, zum politischen Leben und zur Bildung sowie die Ausübung einer beruflichen oder sportlichen Tätigkeit einschränkten, die Bewegungsfreiheit behinderten oder die Freiheit, sich zu kleiden, beeinträchtigten, in ihrer Gesamtheit Frauen in einer Weise, dass sie den Schweregrad erreichten, der erforderlich sei, um eine Verfolgung darzustellen. Diese Maßnahmen zeugten von der Etablierung einer gesellschaftlichen Organisation, die auf einem System der Ausgrenzung und Unterdrückung beruhe, in dem Frauen aus der Zivilgesellschaft ausgeschlossen würden und ihnen das Recht auf ein menschenwürdiges Alltagsleben in ihrem Herkunftsland verwehrt werde.
Das bedeutet praktisch eine automatische Flüchtlingsanerkennung für alle weiblichen Schutzsuchenden aus Afghanistan. Daraus ergibt sich die Frage, und das vorlegende österreichische Gericht hat sie dem Europäischen Gerichtshof gestellt, ob überhaupt noch eine Einzelfallprüfung erforderlich ist, oder ob nicht von einer Gruppenverfolgung aller Frauen in Afghanistan auszugehen ist. An sich, so der Gerichtshof, sehe die EU-Qualifikationsrichtlinie zwar eine individuelle Prüfung von Asylanträgen vor, allerdings hindere die Richtlinie die EU-Staaten nicht daran, günstigere Normen zu erlassen, die eine solche individuelle Prüfung entbehrlich machten. Insbesondere könnten die zuständigen nationalen Behörden bei von afghanischen Frauen gestellten Asylanträgen davon ausgehen, dass eine individuelle Prüfung der Anträge nicht erforderlich sei, sofern nur ihre Staatsangehörigkeit und ihr Geschlecht erwiesen seien.
Ein Herkunftsstaat darf nur dann als sicherer Herkunftsstaat im Sinne von Art. 37 der EU-Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU angesehen werden, wenn sein gesamtes Hoheitsgebiet die in Anhang I zur Richtlinie genannten Voraussetzungen erfüllt, sagt der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 4. Oktober 2024 (Rs. C-406/22). Außerdem müsse in einem gerichtlichen Verfahren von Amts wegen geprüft werden, ob diese Voraussetzungen vorlägen, und nicht nur dann, wenn ein möglicher Verstoß ausdrücklich geltend gemacht werde.
In dem Verfahren ging es um die Republik Moldau, deren abtrünniger Landesteil Transnistrien in Verbindung mit diesem Urteil vermutlich dazu führen wird, dass Moldau insgesamt nicht mehr als sicherer Herkunftsstaat betrachtet werden darf, weil Anlage I zur Richtlinie unter anderem das Bestehen eines demokratischen Systems, die Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit voraussetzt, was für Transnistrien zweifelhaft erscheint. Ähnliches gilt wohl für Georgien und seine zwei abtrünnigen Landesteile Abchasien und Südossetien. Die auf § 29a AsylG beruhene Anlage II zum deutschen Asylgesetz führt derzeit noch sowohl Moldau als auch Georgien als sichere Herkunftsstaaten auf, was nun überholt ist.
Ein EU-Staat darf einen Drittstaat außerhalb der Europäischen Union auch dann grundsätzlich als sicheren Drittstaat im Sinne von Art. 38 der EU-Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU betrachten, wenn der Drittstaat Schutzsuchende trotz einer rechtlichen Verpflichtung faktisch nicht zurücknimmt, sagt der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 4. Oktober 2024 (Rs. C-134/23), weil es gemäß Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie nämlich nicht auf die Aufnahmebereitschaft des Drittstaats ankommt. Allerdings, und das ist der spannende Punkt, ergebe sich aus Art. 38 Abs. 4 der Richtlinie ohne weiteres, dass der EU-Staat in einem solchen Fall Zugang zu einem Asylverfahren gewähren müsse und einen Asylantrag nicht gemäß Art. 33 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie als unzulässig ablehnen dürfe. Außerdem dürfe der EU-Staat die Prüfung solcher Asylanträge nicht ohne Grund aufschieben und müsse insbesondere sicherstellen, dass diese Prüfung gemäß Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie einzeln und innerhalb der in ihrem Art. 31 genannten Fristen erfolge.
Es herrscht Uneinigkeit unter deutschen Gerichten über die Situation anerkannter Schutzberechtigter in Griechenland, unter anderem innerhalb des Verwaltungsgerichts Berlin. Während die 34. Kammer in ihrem Beschluss vom 30. September 2024 (Az. 34 L 210/24 A) davon ausgeht, dass Schutzberechtigten in Griechenland bei einer Rückkehr im Regelfall eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung drohe und eine maßgebliche Besserung hinsichtlich des Zugangs zum Arbeits- und Wohnungsmarkt bei summarischer Prüfung und Außerachtlassung von Beschäftigungen in der „Schattenwirtschaft“ nicht ersichtlich sei, meint die 9. Kammer in ihrem Beschluss vom 20. September 2024 (Az. VG 9 L 542/24 A), dass für nach Griechenland zurückkehrende Schutzberechtigte keine ernsthafte Gefahr einer Verelendung drohe, unter anderem weil nur etwa fünf Prozent der Schutzberechtigten in Griechenland tatsächlich obdachlos seien und weil sie zur Sicherung ihres Lebensunterhalts jedenfalls teilweise auf zumutbare Weise durch eigene Erwerbstätigkeit beitragen könnten.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinem Urteil vom 8. Oktober 2024 (Az. 39090/20) festgestellt, dass Zypern durch einen Pushback syrischer Flüchtlinge im September 2020 menschenrechtswidrig gehandelt hat. Die syrischen Flüchtlinge hatten versucht, Zypern vom Libanon aus per Boot zu erreichen, wurden allerdings nach Erreichen zyprischer Hoheitsgewässer von der zyprischen Küstenwache aufgehalten, die Asylgesuche der Flüchtlinge ignorierte und sie ebenfalls per Boot zurück in den Libanon brachte. Dies, so der Gerichtshof, habe gegen Art. 3 und Art. 13 EMRK sowie gegen Art. 4 des 4. Zusatzprotokolls zur EMRK verstoßen. Der Gerichtshof hat zu diesem Urteil auch eine Pressemitteilung veröffentlicht.
In drei Urteilen vom 3. Oktober 2024 (Az. 15008/19, 15192/20 u.a. und 15293/20 u.a.) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einmal mehr menschenrechtswidrige Aufnahmebedingungen und Inhaftierungen in den griechischen Aufnahmezentren auf den Inseln Lesbos, Chios und Samos in den Jahren 2019 und 2020 gerügt. In drei weiteren Urteilen vom 3. Oktober 2024 (Az. 652/18, 32660/18 und 18581/19) hat der Gerichtshof ebenfalls einmal mehr menschenrechtswidrige Aufnahmebedingungen und Inhaftierungen in der ungarischen Transitzone Röszke in den Jahren 2017 bis 2019 gerügt.
In seinem Urteil vom 29. August 2024 (Az. 6 B 1/24) informiert das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg darüber, dass eine Eheschließung im Rahmen einer Videokonferenz unwirksam ist, wenn einer der Verlobten sich dabei in Deutschland aufhält. Dann nämlich befinde sich der Ort der Eheschließung zumindest auch im Inland und liege somit eine Inlandseheschließung im Sinne von Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB vor, die nur bei Mitwirkung eines Standesbeamten (§ 1310 BGB) und nur bei gleichzeitiger persönlicher Anwesenheit der Eheschließenden (§ 1311 BGB) wirksam sei. Ein Visum zum Familiennachzug könne darum nicht unter Verweis auf eine solche Eheschließung erteilt werden.
Eine rechtswidrige Inhaftierung während des Asylverfahrens hat keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit einer späteren Inhaftierung nach Abschluss des Asylverfahrens, auch wenn die betroffene Person ununterbrochen inhaftiert gewesen sein sollte, sagt der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 4. Oktober 2024 (Rs. C-387/24 PPU). Folglich sei die zuständige nationale Behörde nicht verpflichtet, diese Person allein aufgrund der Rechtswidrigkeit der früheren Haftmaßnahme unverzüglich freizulassen.
In zwei Beschlüssen vom 17. September 2024 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass es wegen des der Ausländerbehörde zustehenden „organisatorischen Spielraums“ nicht gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen verstößt, wenn statt einer ursprünglich geplanten Abschiebung mit einem Linienflug letztlich eine Abschiebung mit einem Charterflug stattfindet, auch wenn sich dadurch die Dauer der Inhaftierung verlängert (Az. XIII ZB 23/22), und dass ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens nicht vorliegt, wenn ein Rechtsanwalt in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Anhörungstermin zwar kurzfristig, aber noch so rechtzeitig unterrichtet wird, dass er das Gericht über seine geplante Teilnahme informieren könnte, er dies aber unterlässt und die Anhörung dann ohne ihn erfolgt (Az. XIII ZB 67/20). In einem weiteren Beschluss vom 17. September 2024 (Az. XIII ZB 71/22) meint der Bundesgerichtshof, dass ein Ausländer, dessen Aufenthalt bestandskräftig auf den Bezirk einer Ausländerbehörde beschränkt wurde, keinen gewöhnlichen Aufenthalt mehr an einem anderen Ort begründen könne, und dass ein Ausländer gemäß § 62 Abs. 3b Nr. 7 AufenthG dem behördlichen Zugriff entzogen sei, wenn er nach Bekanntwerden seines Aufenthaltsorts diesen wechsele und sein neuer Aufenthaltsort der Ausländerbehörde erneut nicht bekannt sei.
In seinem Beschluss vom 19. September 2024 (Az. 1 W 410-448/23 u.a.) hält das Berliner Kammergericht eine Bestimmung in der Gemeinschaftsordnung einer Wohnungseigentümergemeinschaft, wonach den Eigentümern die Vermietung ihres Sondereigentums an die für die Unterbringung von Asylbewerbern zuständige Landesbehörde untersagt wird und deren Eintragung in das Grundbuch das zuständige Grundbuchamt nicht vornehmen wollte, für nicht offensichtlich unwirksam. Es werde zwar vertreten, dass diskriminierende Vermietungsverbote gegen § 19 AGG verstießen und unwirksam seien, um eine solche Regelung gehe es aber nicht. Vielmehr werde die Vermietung unmittelbar an Asylbewerber nicht untersagt, sondern eben nur eine Vermietung an die zuständige Landesbehörde. Asylbewerber seien davon allenfalls mittelbar betroffen, eine Benachteiligung aus Gründen der ethnischen Herkunft sei danach nicht offensichtlich, sondern eher fernliegend.