Die Frage, ob LGBT*-Personen in Georgien aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der LGBT*-Personen oder aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK durch nichtstaatliche Akteure oder durch die georgische Bevölkerung ausgesetzt sind, gegen die sie zu schützen der georgische Staat nicht hinreichend willens oder in der Lage ist, hält das Oberverwaltungsgericht Bautzen in seinem Beschluss vom 26. Februar 2024 (Az. 2 A 135/21.A) für von deutschen Verwaltungsgerichten uneinheitlich beurteilt und hat die Berufung in einem bei ihm anhängigen Verfahren darum zugelassen.
Die Dublin-III-Verordnung und insbesondere ihr Art. 27 verpflichten die Mitgliedstaaten nicht, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung vorzusehen, die aufgrund der Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung erlassen wurde, sagt der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 18. April 2024 (Rs. C-359/22). Eine Möglichkeit, diese Ermessensentscheidung im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung anzufechten, beruhe vielmehr alleine auf nationalem Recht. Auch Art. 47 GRCh sei auf eine solche Situation nicht anwendbar, so dass diese Bestimmung einen Mitgliedstaat erst recht nicht daran hindere, unter diesen Umständen eine Überstellungsentscheidung durchzuführen, bevor über ein Ersuchen auf Ausübung des Ermessens oder über einen Rechtsbehelf entschieden wurde. Der Zeitpunkt der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf gegen die nach Erlass der Überstellungsentscheidung ergangene Entscheidung eines Mitgliedstaats, nicht von der Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung Gebrauch zu machen, sei dementsprechend für den Ablauf einer Dublin-Überstellungsfrist ebenso nicht relevant.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat „erhebliche unionsrechtliche“ Zweifel an der Bestimmung Senegals als sicherem Herkunftsstaat gemäß § 29a AsylG und in seinem Beschluss vom 16. April 2024 (Az. 31 L 670/23 A) die aufschiebende Wirkung einer Klage aus diesem Grund angeordnet. Es sei europarechtlich ungeklärt, wie die Formulierung „generell und durchgängig“ in Anhang I der EU-Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU auszulegen sei, die im Kontext der Bestimmung eines Staates zum sicheren Herkunftsstaat verwendet werde und Sicherheit landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen fordere. Insbesondere sei unklar, ob es schädlich sei, wenn nur regional Verfolgung herrsche, wenn nur Angehörige einer bestimmten Gruppe verfolgt würden, was genau unter einer „Gruppe“ zu verstehen sei und wann genau Angehörige einer solchen Gruppe Verfolgung, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bzw. Strafe oder Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu befürchten hätten. Im Hauptsacheverfahren sei deswegen voraussichtlich eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof erforderlich.
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf geht in seinem Beschluss vom 17. April 2024 (Az. 4 L 784/24.A) davon aus, dass mit Blick auf den Wortlaut des § 71 Abs. 5 Satz 3 AsylG n.F. nach Inkrafttreten des Rückführungsverbesserungsgesetzes im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Ablehnung des Asylfolgeantrags als unzulässig ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft ist, ein Antrag gemäß § 123 VwGO dagegen nicht. Grundlage der Abschiebung bilde in diesen Fällen, anders als im Fall des § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG, nicht mehr die bereits bestandskräftige Abschiebungsandrohung in Verbindung mit der an die Ausländerbehörde gerichteten Mitteilung des Bundesamtes, dass ein neues Asylverfahren nicht durchgeführt werde, sondern die bereits bestandskräftige Abschiebungsandrohung in Verbindung mit dem neuen, vollziehbaren Unzulässigkeitsbescheid. Die Effektivität des Rechtsschutzes sei jedenfalls gemäß § 83a Satz 2 AsylG durch die Mitteilungspflichten des Gerichts gegenüber der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde sichergestellt. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe sieht das in seinem Beschluss vom 25. März 2024 (Az. A 8 K 1026/24) übrigens genau anders herum (siehe HRRF-Newsletter Nr. 139).
Im Rahmen der Begründung eines Antrags auf Zulassung der Berufung ist es für eine hinreichende Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil zur Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung in tatsächlicher Hinsicht erforderlich, dass die Erkenntnismittel, auf die sich das Zulassungsvorbringen stützt, hinreichend aktuell sind, meint der Verwaltungsgerichtshof Mannheim in seinem Beschluss vom 10. April 2024 (Az. A 12 S 493/23). Im erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren habe das Verwaltungsgericht Erkenntnismittel aus dem Jahr 2022 verwendet, während der Kläger in seinem Antrag auf Zulassung der Berufung lediglich Erkenntnismittel aus den Jahren 2018 und 2019 angegeben habe, ohne diesen Umstand zu begründen. Damit vermöge das Zulassungsvorbringen dem Darlegungsgebot aus § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht gerecht werden. Ein Link zu einer Seite von tagesschau.de, der mit dem Zulassungsantrag als Quelle zitiert werde, gehe am Tag der Entscheidung über den Zulassungsantrag außerdem ins Leere („Fehler 404“).
Von der Ansicht, dass der Anwendungsbereich von § 2 Abs. 1 UkraineAufenthÜV so reduziert werden muss, dass er aus der Ukraine geflohene Drittstaatsangehörige nicht umfasst, die zunächst in ihr Herkunftsland zurückgekehrt sind und nunmehr aus anderen Gründen nach Deutschland einreisen wollen, hält das Oberverwaltungsgericht Hamburg in seinem Beschluss vom 25. März 2024 (Az. 6 Bs 119/23) nichts. Vielmehr gelte § 2 Abs. 1 UkraineAufenthÜV auch für diese Personengruppe, die darum für einen Zeitraum von 90 Tagen ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Einreise in das Bundesgebiet vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit sei. Eine teleologische Reduktion von § 2 Abs. 1 UkraineAufenthÜV wäre nur dann gerechtfertigt und geboten, wenn sich aufgrund weiterer Auslegungsgesichtspunkte belastbar feststellen ließe, dass vom Verordnungswortlaut auch solche Konstellationen erfasst seien, die nach dem vom Verordnungsgeber erkennbar intendierten Zweck der Regelung nicht erfasst sein sollten. Dies sei jedoch nicht der Fall.
Das Oberverwaltungsgericht hat sich in seinem Beschluss außerdem zu der Vermutung geäußert, die das Bundesministerium des Inneren und für Heimat in seinem Hinweisschreiben vom 5. September 2022 zu Art. 2 Abs. 2 Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 aufgestellt hat, wonach nämlich davon auszugehen sei, dass drittstaatsangehörige Inhaber eines gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels in der Ukraine nicht in der Lage seien, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland zurückzukehren. Diese Vermutung sei regelmäßig widerlegt, so das Oberverwaltungsgericht, wenn der Ausländer vor seiner Einreise in das Bundesgebiet vorübergehend in sein Heimatland zurückgekehrt sei.
Der Entzug oder die Versagung eines Aufenthaltstitels allein auf Grundlage einer nicht begründeten verbindlichen Stellungnahme einer mit Aufgaben der nationalen Sicherheit betrauten Fachbehörde (d.h. eines Inlandsgeheimdienstes) verstößt gegen EU-Recht, nämlich unmittelbar gegen Art. 20 AEUV und Art. 47 GRCh, sagt der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 25. April 2024 (Rs. C‑420/22 und C‑528/22). Vor der Entscheidung über den Entzug oder die Versagung müssten alle individuellen Umstände und die Verhältnismäßigkeit dieser Entscheidung gründlich geprüft werden; sofern die Entscheidung auf Informationen beruhe, deren Offenlegung die nationale Sicherheit des betreffenden Mitgliedstaats gefährden würde, verstoße es ebenso gegen EU-Recht, wenn der Drittstaatsangehörige oder sein Vertreter erst Zugang zu diesen Informationen erhielten, nachdem sie eine entsprechende Genehmigung erhalten hätten, ihnen nicht einmal der wesentliche Inhalt der Gründe mitgeteilt werde, auf denen solche Entscheidungen beruhen, und sie die Informationen, zu denen sie Zugang hätten haben können, jedenfalls nicht für Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren verwenden könnten. Sofern Unionsbürger aufgrund eines Abhängigkeitsverhältnisses zu einem betroffenen Drittstaatsangehörigen gezwungen wären, das Gebiet der Europäischen Union als Ganzes zu verlassen, um einen Familienangehörigen zu begleiten, verbiete Art. 20 AEUV ebenso den Entzug oder die Versagung eines Aufenthaltstitels. Der Gerichtshof hat zu dieser Entscheidung auch eine Pressemitteilung veröffentlicht.
Das Notvertretungsrecht des Jugendamts aus § 42a Abs. 3 SGB VIII genügt den prozeduralen Anforderungen aus Art. 8 EMRK, wenn die Aufgabe der Notvertretung innerhalb des Jugendamts von der Aufgabe der Altersfeststellung personell und organisatorisch getrennt ist, sagt das Oberverwaltungsgericht Bremen in seinem Beschluss vom 15. April 2024 (Az. 2 B 30/23), weil die EMRK nicht so verstanden werden könne, dass zwingend ein Vormund oder ein Ergänzungspfleger zu bestellen sei. Allerdings müsse die Notvertretung von Amts wegen unverzüglich darüber informiert werden, dass sich eine Person als unbegleiteter minderjähriger Ausländer gemeldet habe sowie wann und wo die qualifizierte Inaugenscheinnahme zur Altersfeststellung stattfinden solle. Diese Entscheidung steht in einem gewissen Gegensatz zu dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim vom 9. April 2024 (Az. 12 S 77/24), über den in der vergangenen Woche berichtet wurde (siehe HRRF-Newsletter Nr. 141), allerdings war dort auch die EU-Aufnahmerichtlinie im Spiel, die hier offenbar nicht entscheidungsrelevant war.
Mit einer aus seiner Sicht willkürlichen und damit gegen Art. 5 EMRK verstoßenden Inhaftierung eines Schutzsuchenden während seines Asylverfahrens in den Niederlanden hatte sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 23. April 2024 (Az. 71008/16, M.B. gg. die Niederlande) zu beschäftigen. Die aus Gründen der öffentlichen Sicherheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. f EMRK angeordnete Inhaftierung sei willkürlich gewesen, weil die niederländischen Behörden die Zeit einer zuvor monatelang gegen den Betroffenen vollzogenen Untersuchungshaft nicht genutzt hätten, um das Asylverfahren abzuschließen. Die Entscheidung ist gleich aus mehreren Gründen reizvoll, unter anderem weil es um das Verhältnis der verschiedenen Haftgründe des Art. 5 Abs. 1 EMRK zueinander geht, weil der Gerichtshof sich ausführlich auch mit den Vorgaben des EU-Rechts, insbesondere der EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU, beschäftigt hat und weil es mehrere Sondervoten gibt, von denen eins argumentiert, dass die Inhaftierung nicht willkürlich, sondern rechtmäßig gewesen sei.
Ein Gericht im italienischen Trapani hat am 19. April 2024 entschieden, das Strafverfahren unter anderem gegen die Besatzung des privaten Seenotrettungsschiffs Iuventa einzustellen. Der Prozess vor dem Gericht lief bereits seit 2022, Ende Februar 2024 hatte allerdings sogar die Staatsanwaltschaft beantragt, das Verfahren zu beenden, auch weil die drei Hauptbelastungszeugen sich an ihre ursprünglichen Aussagen nicht erinnern konnten. Die Iuventa war 2016 beschlagnahmt worden, seitdem hatten italienische Strafverfolgungsbehörden wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung und zum Menschenschmuggel ermittelt.
Sea-Watch ist mit seiner Klage gegen die EU-Grenzschutzagentur Frontex auf Zugang zu Dokumenten über eine Frontex-Operation im zentralen Mittelmeer am 30. Juli 2021 zwar weitgehend gescheitert, hat vor dem Gericht der Europäischen Union jedoch einen Teilerfolg erzielt. In seinem Urteil vom 24. April 2024 (Rs. T-205/22) entschied das Gericht, dass die Weigerung von Frontex, die von Sea-Watch auf Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission angeforderten Dokumente herauszugeben, im Prinzip rechtmäßig sei, weil Frontex Gründe der öffentlichen Sicherheit anführen könne. Frontex sei in seiner Entscheidung allerdings auf eine Reihe von Fotografien nicht eingegangen, die Sea-Watch ebenso angefordert habe, deswegen sei die Entscheidung von Frontex, keinen Zugang zu gewähren, in Hinblick auf diese Fotografien aufzuheben. Das Gericht hat zu seiner Entscheidung auch eine Pressemitteilung veröffentlicht.
Das Bundesverwaltungsgericht hat den Volltext seines Urteils vom 22. Februar 2024 (Az. 1 C 12.22) veröffentlicht, in dem es um den Umfang der Haftung eines Beförderungsunternehmers nach § 66 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ging und zu dem das Gericht bereits am 22. Februar 2024 eine Pressemitteilung veröffentlicht hatte (siehe HRRF-Newsletter Nr. 133).
Mit Beschluss vom 12. Februar 2024 (Az. 1 B 35.23) hat das Bundesverwaltungsgericht eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Dezember 2023 (Az. OVG 3 B 43/23) zurückgewiesen. In dem Verfahren ging es um den Nachzug von Eltern zu ihren volljährigen Kindern, die Kläger wollten im Revisionsverfahren Fragen des Familiennachzugs minderjähriger Geschwisterkinder im Rahmen des Nachzugs der Eltern zu minderjährigen Stammberechtigten klären lassen.