In der Ägäis gesunkenes Boot mit Schutzsuchenden: Griechenland hat Menschenrechte verletzt

In einem wichtigen Urteil vom 7. Juli 2022 (Safi u.a. gg. Griechenland, Az. 5418/15) hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Pushback-Praxis der griechischen Küstenwache geäußert und Griechenland wegen Verstößen gegen Art. 2 EMRK (Recht auf Leben) und Art. 3 (Verbot der unmenschlichen oder erniedrigen Behandlung) verurteilt. Das Verfahren hatten Überlebende eines Bootsunglücks angestrengt, bei dem im Januar 2014 11 Menschen starben, als ihr Boot in der Ägäis sank, nachdem sich ein Schnellboot der griechischen Küstenwache genähert hatte. Die Überlebenden, Schutzsuchende aus Afghanistan, Syrien und Palästina, werfen Griechenland vor, einen Pushback in Richtung Türkei versucht zu haben, bei dem ihr Boot gekentert sei, was die griechische Regierung bestritten hat. Der EGMR meint dazu, dass Griechenland die von den Überlebenden erhobenen Vorwürfe jedenfalls nicht angemessen und in einer Weise aufgeklärt habe, wie dies den Anforderungen der EMRK entspreche. Der zuständige Staatsanwalt habe etwa erklärt, dass „refoulement als Verfahren der Rückführung oder des Abschleppens (…) in türkische Hoheitsgewässer nicht als Praxis existiert (…)“, und die Vorwürfe nicht weiter verfolgt, was gegen die aus Art. 2 EMRK folgenden Verfahrenspflichten für die Aufklärung einer möglichen staatlichen Verantwortung für den Tod von Menschen verstoße. Außerdem habe die griechische Küstenwache nur unzureichende Rettungsversuche unternommen und auch sonst nicht alles getan, was vernünftigerweise von ihr hätte erwartet werden können, um menschliches Leben zu retten, was die ebenfalls aus Art. 2 EMRK folgenden staatlichen Schutzpflichten verletzt habe. Der EGMR verurteilte Griechenland weiterhin wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK, weil es Überlebende einer erniedrigenden Ganzkörperkontrolle ausgesetzt hatte. Der EGMR hat zu diesem Urteil auch eine Pressemitteilung veröffentlicht.

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ISSN 2943-2871