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Ausgabe 34 • 25.2.2022

Schwierige Rechtsfrage

Es kann schwierig sein, Rechtsbegriffe zu definieren, und in dieser Woche ist offenbar der Buchstabe A an der Reihe - es geht um „Ableitungsketten“, „Aufenthaltserlaubnisse“ und „Ausländerbehörden“. Außerdem geht es in dieser Newsletter-Ausgabe um eine Statistik des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, eine EuGH-Entscheidung zu unzulässigen Asylanträgen, die Schlussanträge des EuGH-Generalanwalts zu Hafenstaatskontrollen von Seenotrettungsschiffen, um Abschiebungen nach Italien, die Asylrelevanz des Nationaldienstes in Eritrea, Pushbacks in Österreich und Spanien, Hausordnungen in Erstaufnahmeeinrichtungen, aufenthaltsrechtliche Verteilungsverfahren, Begründungserfordernisse in asylgerichtlichen Urteilen und die Strafbarkeit des Kirchenasyls.

Neue Übersicht zu vorläufigen Maßnahmen des EGMR an EU-Ostgrenze

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einer Pressemitteilung vom 21. Februar 2022 eine aktualisierte Übersicht zu den von ihm erlassenen vorläufigen Maßnahmen veröffentlicht, die die Situation von Schutzsuchenden an der EU-Ostgrenze betreffen und sich gegen Polen, Litauen und Lettland richten. Danach hat er zwischen August 2021 und Mitte Februar 2022 69 Anträge auf Erlass von vorläufigen Maßnahmen erhalten und solche Maßnahmen in 65 Verfahren angeordnet. Derzeit seien noch 12 vorläufige Maßnahmen in Kraft.

EuGH zu unzulässigen Anträgen bei Schutzgewährung in einem anderen EU-Mitgliedstaat

Ein Mitgliedstaat könne gemäß Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der EU-Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU von seiner Befugnis Gebrauch machen, einen Antrag auf internationalen Schutz deshalb für unzulässig zu erklären, weil dem Antragsteller von einem anderen Mitgliedstaat bereits die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei, so der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 22. Februar 2022 (Rs. C-483/20), dabei müsse jedoch, wenn dieser Antragsteller der Vater eines minderjährigen, unbegleiteten Kindes sei, dem in dem erstgenannten Mitgliedstaat subsidiärer Schutz gewährt worden sei, für die Aufrechterhaltung des Familienverbands gemäß Art. 23 Abs. 2 der der Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU Sorge getragen werden. Außerdem dürften die Mitgliedstaaten von dieser Befugnis keinen Gebrauch machen, wenn in dem Mitgliedstaat, in dem der Drittstaatsangehörige bereits internationalen Schutz genieße, entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorlägen und es im Hinblick auf diese Schwachstellen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gebe, dass dieser Drittstaatsangehörige tatsächlich Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. Der EuGH hat zu dieser Entscheidung auch eine Pressemitteilung veröffentlicht.

EuGH-Generalanwalt zu Hafenstaatskontrollen

EuGH-Generalanwalt Rantos hat in dem Verfahren um italienische Hafenstaatskontrollen von privaten Seenotrettungsschiffen in seinen Schlussanträgen vom 22. Februar 2022 (Rs. C-14/21 und C-15/21) argumentiert, dass private Schiffe, mit denen regelmäßig Such- und Rettungseinsätze auf See durchgeführt würden, vom Hafenstaat einer Kontrolle unterzogen werden könnten, ob sie internationalen Normen entsprechen. Dabei seien diejenigen Vorschriften anwendbar, die in Hinblick auf die mit ihnen tatsächlich durchgeführten Tätigkeiten anwendbar seien und nicht lediglich die Vorschriften, die auf Tätigkeiten anwendbar seien, für die das Schiff klassifiziert wurde. Die bloße Tatsache, dass ein Schiff systematisch zur Seenotrettung zum Einsatz komme, entbinde dieses Schiff nicht von der Beachtung der nach dem Völkerrecht oder dem Unionsrecht für es geltenden Anforderungen. Der Gerichtshof ist an die Ansichten des Generalanwalts nicht gebunden, folgt ihnen aber häufig. Der EuGH hat hierzu auch eine Pressemitteilung veröffentlicht.

Keine Ableitung internationalen Familienschutzes von einem Familienschutzberechtigten

Angehörige der Kernfamilie können internationalen Schutz nach § 26 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 bis 3 AsylG nur von einer Person ableiten, welcher die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus nicht ihrerseits kraft Ableitung zuerkannt worden ist, so das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 21. Dezember 2021 (Az. 1 B 35.21). Die Regelungen zielten eindeutig darauf, so das BVerwG, „Ableitungsketten“ auszuschließen, ohne jedoch Familienangehörigen des Schutzberechtigten die Möglichkeit zu nehmen, einen Asylantrag auf eigene Verfolgungsgründe zu stützen. Dies stehe auch im Einklang mit Verfassungs- und Unionsrecht, etwas anderes folge auch nicht aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Schutz der Kernfamilie international Schutzberechtigter, die zu anderen Normen bzw. Fallkonstellationen ergangen sei und auch sonst keinen greifbaren Anhalt für ein unionsrechtliches Gebot eines voraussetzungslosen Familienasyls enthalte.

Frauen im eritreischen Nationaldienst keine soziale Gruppe, aber drohender ernsthafter Schaden

Frauen im eritreischen Nationaldienst stellen keine soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG dar, so das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in seinem Beschluss vom 9. Februar 2022 (Az. 4 LA 74/20), seien aber, wenn sie in den militärischen Teil des eritreischen Nationaldienstes einberufen werden, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einem ernsthaften Schaden durch sexuelle Übergriffe von Vorgesetzten ausgesetzt. Die Entscheidung ist insofern aufschlussreich, als die umfangreichen Ausführungen des OVG zum drohenden ernsthaften Schaden durch sexuelle Übergriffe nicht entscheidungserheblich waren.

Rückführung nach Italien soll zulässig sein

Ein gesunder und arbeitsfähiger anerkannt Schutzberechtigter sei in Italien derzeit nach seiner Rückführung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK ausgesetzt, so das Oberverwaltungsgericht Saarlouis in seinem Urteil vom 15. Februar 2022 (Az. 2 A 46/21), etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.1.2022 (Az. 1 B 66.21), mit dem der Antrag auf Zulassung der Revision gegen das Urteil des OVG Münster vom 20.7.2021 (Az. 11 A 1689/20.A) zurückgewiesen wurde. Das Urteil setzt sich ausführlich mit der Situation von anerkannten Flüchtlingen in Italien auseinander.

Auswechslung der Begründung für die Ablehnung von Beweisanträgen im Urteil unzulässig

Mit Beschluss vom 14. Februar 2022 (Az. 13 A 2027/19.A) hat das Oberverwaltungsgericht Münster die Berufung in einem asylrechtlichen Verfahren zugelassen, nachdem das erstinstanzliche Verwaltungsgericht die Begründung für die Ablehnung der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge in seinem Urteil ausgewechselt hatte. Dies habe den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt, weil nicht auszuschließen sei, dass die rechtzeitige Bekanntgabe der für das Urteil letztlich tragenden Begründung der Beweisantragsablehnung zu einer anderen, dem Kläger günstigeren Entscheidung geführt hätte.

Klärung des Begriffs der Aufenthaltserlaubnis ist schwierige Rechtsfrage

Bei der Frage nach der richtigen Auslegung des Wortes „Aufenthaltserlaubnis“ in § 9 Abs. 1 BeschV handele es sich seit der Einführung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vom 15. August 2019 um eine schwierige Rechtsfrage, für deren abschließende Klärung in einem Eilrechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kein Raum sei, so der Verwaltungsgerichtshof Mannheim in seinem Beschluss vom 31. Januar 2022 (Az. 11 S 1085/21). In dem Verfahren, in dem der VGH die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin anordnete, geht es um die Beantwortung der Frage, ob unter Aufenthaltserlaubnissen im Sinne von § 9 Abs. 1 BeschV nur Aufenthaltserlaubnisse zu verstehen sind, die auf einer behördlichen Zulassung des Ausländers zum Arbeitsmarkt beruhen oder ob auch der Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ausreicht, die kraft Gesetzes zur Ausübung einer Beschäftigung berechtigt.

Klärung des Begriffs der Ausländerbehörde hat keine grundsätzliche Bedeutung

Der Frage, ob Ausländerbehörden im Sinne des § 71 Abs. 1 AufenthG ausschließlich Kommunalbehörden sind oder ob die Wahrnehmung der in § 71 Abs. 1 AufenthG gesetzlich geregelten Aufgaben auch den oberen Landesbehörden, den Landesministerien, zugewiesen werden darf und soweit das der Fall ist, ob die Begründung einer solchen Zuständigkeit über eine Rechtsverordnung erfolgen darf, komme keine grundsätzliche Bedeutung zu, so das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 2. Dezember 2021 (Az. 1 B 38.21) weil sie sich unter Heranziehung der einschlägigen Rechtsnormen und Rechtsgrundsätze zweifelsfrei beantworten lasse. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sei auch nicht mit der Frage dargelegt, ob ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht aus der Richtlinie ARB 1/80 auch dann weiterhin bestehe, wenn dem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis auf einer anderen Rechtsgrundlage nach dem nationalen Aufenthaltsgesetz erteilt worden sei.

Drohende psychische Schäden als ernsthafte Gesundheitsgefahr im aufenthaltsrechtlichen Verteilungsverfahren

Mit Urteil vom 2. Februar 2022 (Az. 2 LB 184/21) hat das Oberverwaltungsgericht Bremen entschieden, dass im Rahmen eines Verteilungsverfahrens nach § 15a AufenthG bei psychotherapeutischen Behandlungen auch eine erst vor kurzem begonnene Beziehung zu der behandelnden Person schützenswert sein könne. Außerdem könne ausgehend von dem § 15a Abs. 1 AufenthG zugrundeliegenden Beschleunigungsgebot nicht angenommen werden, dass eine Umsetzung einer Verteilungsentscheidung in angemessener Zeit tatsächlich und rechtlich möglich sei, wenn zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ein Vollstreckungshindernis absehbar über mehrere Monate bestehe. Die Entscheidung diskutiert ausführlich die rechtlichen Vorgaben für die Berücksichtigung psychischer Erkrankungen im Rahmen des Verteilungsverfahrens.

Revisionsgericht verhandelt zu Strafbarkeit des Kirchenasyls

Am 25. Februar 2022 verhandelt das Bayerische Oberste Landesgericht in einem Revisionsverfahren über die Strafbarkeit eines Benediktinermönchs, der in seiner Abtei Kirchenasyl gewährt hatte und deshalb wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt angeklagt war, im April 2021 aber überraschend freigesprochen wurde (Urteil des Amtsgerichts Kitzingen vom 26. April 2021, Az. 1 Cs 882 Js 16548/20). Die Staatsanwaltschaft hatte gegen den Freispruch Revision eingelegt, der jetzt zur Revisionsverhandlung geführt hat.

Gericht stellt erneut Pushback in Österreich fest

Das österreichische Landesverwaltungsgericht Steiermark hat Medienberichten zufolge in einer Entscheidung vom 16. Februar 2022 erneut einen Pushback an der österreichisch-slowenischen Grenze festgestellt. Die österreichische Polizei habe mündlich vorgebrachte Asylbegehren ignoriert, was sowohl österreichisches als auch internationales Recht gebrochen habe und in „gröblicher Außerachtlassung“ des faktischen Abschiebungsschutzes rechtswidrig gewesen sei. Das Gericht hatte bereits im Juli 2021 einen solchen Pushback durch österreichische Behörden festgestellt.

Spanischer Richter ordnet Wiedereinreise aus Ceuta abgeschobener Minderjähriger an

Ein Ermittlungsrichter in Ceuta hat laut einem Pressebericht vom 17. Februar 2022 in zwei Urteilen angeordnet, dass eine Gruppe von 14 Minderjährigen, die im August aus Ceuta abgeschoben worden war, nach Spanien zurückgeführt werden müsse. Die Behandlung der Minderjährigen in Spanien und ihre Abschiebung nach Marokko seien rechtswidrig gewesen und auch nicht durch das Abkommen zwischen Spanien und Marokko aus dem Jahr 2007 über die Zusammenarbeit bei der Verhinderung der illegalen Auswanderung von unbegleiteten Minderjährigen abgedeckt gewesen. Es gehe nicht darum, so der Richter, dass „irgendwelche Verfahrensschritte ausgelassen wurden“, sondern „dass sie alle ausgelassen wurden“.

Normenkontrollantrag gegen Hausordnung von Erstaufnahmeeinrichtung teilweise erfolgreich

Mit Urteil vom 2. Februar 2022 (Az. 12 S 4089/20) hat der Verwaltungsgerichtshof Mannheim einem Normenkontrollantrag gegen die Hausordnung der Landeserstaufnahmeeinrichtung Freiburg teilweise stattgeben, wie aus einer vom Gericht am 24. Februar 2022 veröffentlichten Pressemitteilung hervorgeht. Die Regelungen der Hausordnung zum Betreten der Bewohnerzimmer durch Mitarbeiter des Regierungspräsidiums Freiburg und dort eingesetzter privater Dienstleister seien unwirksam, so der VGH, weil die Zimmer eine Wohnung i.S.d. Art. 13 Abs. 1 GG darstellten. Einschränkungen des Grundrechtsschutzes bedürften einer gesetzlichen Grundlage, wofür die Generalklausel des § 6 Abs. 3 Satz 2 des baden-württembergischen FlüAG oder Regelungen in einer von dem Einrichtungsleiter erlassenen Hausordnung nicht genügten.