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Ins Blaue hinein

In dieser Woche geht es um das Blaue, um ein Sondergericht und um ein Gericht, das sich selbst korrigiert, außerdem um Verteilungsfragen, aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, Fristen für den Familiennachzug, Darlegungsanforderungen und um eine europaweite Rechtsprechungsübersicht. Der HRRF-Newsletter macht in den kommenden Wochen eine Weihnachtspause und kehrt am 7. Januar 2022 zurück. Fröhliche Weihnachten!

  • Keine Ermittlungen ins Blaue hinein zur behördlichen Rechtsanwendungspraxis

    Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hält in seinem Beschluss vom 17. November 2021 (Az. 11 S 716/20) Verwaltungsgerichte für nicht verpflichtet, „ins Blaue hinein“ Ermittlungen zur allgemeinen behördlichen Rechtsanwendungspraxis anzustellen. Dies gelte auch im Bereich des Ausweisungsrechts bei der Klärung der Frage, ob die Ausweisung eines Ausländers geeignet sei, generalpräventive Wirkungen zu entfalten. Anderes komme, wenn überhaupt, allenfalls dann in Betracht, wenn bereits konkrete Anhaltspunkte auf eine grundlegend inkonsistente Ausweisungspraxis hindeuteten.

  • Dänisches Gericht verurteilt frühere Einwanderungsministerin zu Haftstrafe

    Der dänische Rigsretten, ein Sondergericht zur Aburteilung von Amtspflichtverletzungen staatlicher Funktionsträger, hat mit Urteil vom 13. Dezember 2021 die ehemalige dänische Einwanderungsministerin Inger Støjberg unter anderem deswegen zu einer Freiheitsstrafe von 60 Tagen verurteilt, weil sie während ihrer Amtszeit im Jahr 2016 ohne Einzelfallprüfung und gegen Warnungen ihres Ministeriums die örtliche Trennung von mehreren asylsuchenden syrischen Paaren angeordnet habe, wenn die Frau unter 18 Jahre alt war; dies habe gegen Art. 8 EMRK verstoßen. Gerichtsverfahren vor dem Rigsretten sind sehr selten, in den vergangenen 150 Jahren gab es bisher lediglich fünf Verfahren; Urteile des Rigsretten sind endgültig.

  • Keine auf Herkunftsländer beschränkte Zulassung der Berufung

    Die Frage, welches Land als Herkunftsland anzusehen sei und ob dort eine entsprechende Bedrohung vorliege, sei bloßes Tatbestandsmerkmal der Ansprüche auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes, eine auf bestimmte Herkunftsländer beschränkte Zulassung der Berufung sei daher nicht möglich, so der Verwaltungsgerichtshof Mannheim in seinem Urteil vom 23. November 2021 (Az. A 13 S 2301/19). Dies ist insofern interessant, als dass der VGH selbst, wenngleich ein anderer Senat des Gerichts, zuvor die Berufung derart zugelassen hatte. Der VGH entschied in diesem Verfahren außerdem, dass dann, wenn die Staatsangehörigkeit eines Ausländers trotz Ausschöpfung aller zur Verfügung stehender Erkenntnismöglichkeiten nicht aufgeklärt werden, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft subsidiären Schutzes nicht in Betracht komme.

  • Verteilung visumfrei eingereister Ausländer nach § 15a AufenthG

    Das bloße Passieren der Außengrenze des Schengen-Raumes stelle weder ein aussagekräftiges Indiz noch einen Anscheinsbeweis dafür dar, dass die Voraussetzungen für eine visumfreie Einreise eines Ausländers tatsächlich erfüllt waren, so das Oberverwaltungsgericht Bremen in seinem Beschluss vom 3. Dezember 2021 (Az. 2 B 409/21). Das Interesse des Ausländers an einer zügigen Entscheidung darüber, ob er nach § 15a AufenthG verteilt werde, könne ein unerlaubt eingereister Ausländer mittels eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Rechtsträger der Behörde, die die Verteilung zu veranlassen habe, durchsetzen. Hierfür dürfte ab circa drei Monaten nach der erstmaligen Meldung bei der Ausländerbehörde ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen.

  • Aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen eines anhängigen familiengerichtlichen Umgangsverfahrens

    Die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen eines anhängigen familiengerichtlichen Umgangsverfahrens könnten nicht stärker sein als es die Schutzwirkungen eines erfolgreichen Ausgangs dieses Verfahrens wären, daher bestehe für ein Bleiberecht zur Durchführung eines Umgangsverfahrens regelmäßig kein Raum, wenn das Ausweisungsinteresse auch dann überwiegen würde, wenn der Ausländer Umgang mit seinen Kindern hätte, so das Oberverwaltungsgericht Bremen in seinem Beschluss vom 30. November 2021 (Az. 2 B 386/21). Sei die Kindsmutter wegen gewalttätiger Übergriffe des ausgewiesenen Ausländers auf sie nicht bereit, den Betreffenden mit den gemeinsamen Kindern im Heimatland zu besuchen oder mit den Kindern mit ihm zu telefonieren, habe der Ausländer dies als vorhersehbare Folge seines Verhaltens aufenthaltsrechtlich grundsätzlich hinzunehmen, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine erhebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls beständen.

  • Fristen bei Familiennachzug zu minderjährigem Flüchtling

    In seinem Beschluss vom 9. Dezember 2021 (Az. 3 M 53/21) behandelt das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die für einen Visumsantrag zur Familienzusammenführung nach Eintritt der Volljährigkeit des zusammenführenden Flüchtlings zu beachtenden Fristen. Es sei zwar ungeklärt, so das OVG, aus welcher Rechtsgrundlage sich ein Anspruch auf ein solches Visum ergebe, jedenfalls aber sei ein Visumsantrag in Anlehnung an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12. April 2018 in der Rechtssache C-550/16 grundsätzlich innerhalb von drei Monaten ab dem Tag zu stellen, an dem der Minderjährige als Flüchtling anerkannt worden sei.

  • Anforderungen an Darlegung einer Gehörsverletzung

    Das Oberverwaltungsgericht Schleswig erinnert in seinem Beschluss vom 8. Dezember 2021 (Az. 4 LA 222/19) daran, dass die Darlegung einer Gehörsverletzung im Asylverfahren nicht nur den schlüssigen Vortrag von Tatsachen erfordert, aus denen sich die Verletzung des rechtlichen Gehörs ergeben kann, sondern auch, dass die angegriffene Entscheidung auf dem geltend gemachten Gehörsverstoß beruht oder beruhen kann. Dieses in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG nicht aufgeführte Beruhenserfordernis leite sich aus dem Begriff des rechtlichen Gehörs selbst ab, außerdem komme es auf die Auffassung des Verwaltungsgerichts von der Entscheidungserheblichkeit der betreffenden Tatsache an, da rechtliches Gehör nur hinsichtlich letztlich entscheidungserheblicher Tatsachen zu gewähren sei.

  • EASO-Rechtsprechungsübersicht

    Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) hat Ausgabe 04/2021 seines vierteljährlichen, thematisch gegliederten Newsletters zur Asylrechtsprechung in der Europäischen Union veröffentlicht, der den Zeitraum September bis November 2021 abdeckt.

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ISSN 2943-2871