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Ausgabe 133 • 23.2.2024

Aussagekräftige Bescheinigung

Wer Schiffbrüchige an libyische Behörden übergibt, macht sich strafbar, sagt das italienische Oberste Gericht in einem aktuellen Urteil. Das bedeutet, dass gegen solche Übergabeversuche Notwehr zulässig sein muss, was hoffentlich Auswirkungen auf das in Malta anhängige El-Hiblu-Verfahren haben wird. Außerdem erspart in dieser Woche das Verwaltungsgericht Würzburg einem werdenden Familienvater das Visumverfahren, während sich das Verwaltungsgericht Regensburg robuster Methoden bedient, um anhängige Verfahren loszuwerden. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig scheint von der Aktenführung einer Ausländerbehörde sehr genervt zu sein, das Verwaltungsgericht Berlin hält BVerwG-Rechtsprechung zum Krankenversicherungsschutz für überholt und Ungarn ist mal wieder vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden. Aktuelle Dublin-Rechtsprechung gibt es natürlich auch.

Menschenrechtsschutz

Übergabe aus Seenot Geretteter an Libyen ist strafbar

In einem Urteil vom 17. Februar 2024 (Az. 4557/24) hat das italienische Oberste Gericht die strafrechtliche Verurteilung eines Schiffskapitäns bestätigt, der Ende Juli 2018 101 Schutzsuchende im Mittelmeer aus Seenot gerettet und anschließend an die libysche Küstenwache übergeben hatte. Der Kapitän des Schiffs, der zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt wurde, habe sich der Aussetzung minderjähriger oder handlungsunfähiger Personen in einer Gefahrensituation sowie der willkürlichen Ausschiffung und Aussetzung von Personen schuldig gemacht, so das Gericht, weil Libyen nicht den Ansprüchen eines sicheren Hafens genüge und die Übergabe von aus Seenot geretteten Personen aus diesem Grund stets gegen internationales Recht verstoße, darunter die Europäische Menschenrechtskonvention.

Dublin-Verfahren usw.

Kein Dublin-Familienverfahren bei sukzessiver Einreise

Das in Art. 20 Abs. 3 Satz 1 Dublin-III-VO geregelte Familienverfahren ist auf Fälle der sukzessiven Einreise von Familienangehörigen nicht anwendbar, meint das Verwaltungsgericht Aachen in seinem Beschluss vom 9. Februar 2024 (Az. 4 K 2068/23.A). Dies folge bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, die gerade auf die gemeinsame Einreise abstelle, und habe zur Folge, dass für getrennt einreisende Familienangehörige separate Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuche gestellt werden müssten und diese Familienangehörigen gerade nicht lediglich in den für andere Familienangehörige ausgefüllten Formblättern erwähnt werden dürften. Sofern solche separaten Gesuche nicht gestellt würden, gehe im Fall eines Wiederaufnahmegesuchs und bei Stellung eines neuen Asylantrags die Zuständigkeit nach Ablauf der in Art. 23 Abs. 2 Dublin-III-VO genannten Frist von zwei bzw. drei Monaten auf den Aufenthaltsstaat der betroffenen Personen über.

Asylverfahrensrecht

Versagung rechtlichen Gehörs durch fiktive Klagerücknahme

Ein Verwaltungsgericht darf ein laufendes Asylklageverfahren nach der Abschiebung des Klägers nicht einfach wegen Nichtbetreiben des Verfahrens gemäß § 81 AsylG einstellen, nur weil der Prozessbevollmächtigte keine „aussagekräftige Bescheinigung“ über eine ladungsfähige Anschrift des Klägers im Zielstaat der Abschiebung vorlegen kann, sagt der Verwaltungsgerichtshof München in seinem Beschluss vom 15. Februar 2024 (Az. 24 ZB 23.30851), in dem er die Berufung gegen die erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts Regensburg zugelassen hat.

Eine Abschiebung des Klägers und die damit vielfach eintretende Unkenntnis über seine nunmehrige Anschrift stellten für sich genommen regelmäßig nur dann einen Anhaltspunkt für ein Desinteresse des Klägers an der weiteren Rechtsverfolgung dar, wenn zuvor formlose Erkundigungen des Gerichts zum Aufenthaltsort des Klägers erfolglos geblieben seien. Bei einem anwaltlich vertretenen Kläger sei es im Regelfall geboten, zunächst bei seinem Bevollmächtigten den Fortbestand des Rechtsschutzinteresses zu erfragen und gegebenenfalls zur Mitteilung einer aktuellen ladungsfähigen Anschrift aufzufordern und hierzu eine angemessene Frist zu setzen. Dabei dürfe ein Gericht nur zu solchen Mitwirkungshandlungen auffordern, die es ausreichend bestimmt formuliert habe und die der Kläger bei typisierter Betrachtung innerhalb der Monatsfrist des § 81 AsylG erfüllen könne. Erkenne das Gericht vor Ablauf der Monatsfrist, dass es dem Kläger überspannte Mitwirkungshandlungen auferlegt habe, müsse es die Betreibensaufforderung aufheben.

In dem entschiedenen Verfahren war der Kläger nach Griechenland abgeschoben worden, der Verwaltungsgerichtshof störte sich schon an dem Verlangen des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger eine „aussagekräftige Bescheinigung“ über seine Anschrift beibringe sollte. Es sei unklar, ob eine formlose Bestätigung eines privaten Wohnungsgebers oder eines Einrichtungsbetreibers ausreichen solle, ob eine amtliche Bestätigung einer Ausländer- oder Asylbehörde genüge oder ob es einer Bescheinigung der örtlich zuständigen Meldebehörde bedürfe. Ungeachtet der fehlenden Bestimmtheit bleibe im Übrigen unklar, ob die erwartete Bescheinigung nach den örtlich maßgeblichen Vorschriften überhaupt ausgestellt werden müsse und ob insoweit nicht etwas Unmögliches verlangt werde. Ferner lasse das Verwaltungsgericht außer Acht, dass ein Ausländer, der in einen anderen EU-Mitgliedstaat abgeschoben werde, manchmal mit einem Risiko einer zumindest vorübergehenden Obdachlosigkeit konfrontiert sei. In einem solchen Fall sei es wegen Art. 19 Abs. 4 GG regelhaft nicht zulässig, eine Klage wegen Fehlens einer ladungsfähigen Anschrift als unzulässig abzuweisen. Außerdem könne von einem abgeschobenen Kläger nicht erwartet werden, innerhalb nur eines Monats zunächst von seinem Rechtsanwalt über die Aufforderung informiert zu werden, sodann vor Ort eine Bescheinigung zu beschaffen, obwohl er mit den Gepflogenheiten des Mitgliedsstaats meist nicht vertraut sein werde, und sie anschließend an seinen Rechtsanwalt zu übermitteln, der sie wiederum dem Gericht rechtzeitig zuleiten müsse.

Aufenthaltsrecht

Chancen-Aufenthaltserlaubnis statt Visumverfahren bei Geburt eines Kindes

Ein geduldeter Aufenthalt im Sinne von § 104c AufenthG liegt auch dann vor, wenn nur ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Duldung besteht, meint das Verwaltungsgericht Würzburg in seinem Urteil vom 22. Januar 2024 (Az. W 7 K 23.140). Dies könne etwa der Fall sein, wenn das an sich erforderliche Nachholen des Visumverfahrens „im Idealfall“ acht Monate, oder aber auch „mehr als zwei Jahre“ dauern könnte, und der Betroffene als Vater deswegen die Geburt seines Kindes in Deutschland verpassen würde. Die Vaterschaft eines hier lebenden Ausländers für ein noch ungeborenes Kind stelle einen Umstand dar, der unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und der Pflicht des Staates, sich gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 1 Abs. 1 GG schützend und fördernd vor das ungeborene Kind zu stellen, aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen im Sinne eines Abschiebungshindernisses entfalten könne. Dass in einem Fall wie dem vorliegenden die Stichtagsregel des § 104c AufenthG dazu führe, dass die verfassungsrechtlich gebotene zeitliche Verzögerung des Visumverfahrens letztlich seine vollständige Entbehrlichkeit herbeiführe, sei als bewusste gesetzgeberische Entscheidung zu respektieren. Ergebnisse, die vom „Normalfall“ abweichen, seien sämtlichen Stichtagsregelungen inhärent und vom Gesetzgeber beabsichtigt.

Aufenthaltsrecht

Kein Anspruch auf private Krankenversicherung bei Familiennachzug

Beim Nachzug eines sonstigen Familienangehörigen nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann nicht nach §§ 152 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VAG, 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VVG davon ausgegangen werden, dass der nachziehende Familienangehörige nach der Einreise einen Anspruch gegen jedes zugelassene private Krankenversicherungsunternehmen hat, im Basistarif versichert zu werden, sagt das Verwaltungsgericht Berlin in seinem Urteil vom 23. Januar 2024 (Az. 21 K 526/22 V). Sofern das Bundesverwaltungsgericht das in seinem Urteil vom 18. April 2013 (Az. 10 C 10.12) anders sehe, sei diese Auffassung überholt. Sowohl der Bundesgerichtshof als auch Land- und Oberlandesgerichte legten den Anspruch auf Versicherung im Basistarif der privaten Krankenversicherung nach § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VVG teleologisch einschränkend so aus, dass eine derartige Versicherung nur dann in Betracht komme, wenn die zu versichernde Person grundsätzlich auch dem Bereich der privaten Krankenversicherung zuzuordnen sei und nicht dem Grunde nach der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V unterfalle. Für Personen, die zwar dem Grunde nach dem gesetzlichen Krankenversicherungssystem zuzuordnen seien, für die aber der Ausschluss nach § 5 Abs. 11 SGB V greife, gelte im Ergebnis allein die aufenthaltsrechtliche Verpflichtung, die Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel sicherzustellen. Von einer insoweit bestehenden „dritten Säule“ des Krankenversicherungssystems gingen nicht nur die Zivilgerichte, sondern wohl auch das Bundesverfassungsgericht aus.

Aufenthaltsrecht

Behörde zu ordnungsgemäßer Aktenführung verpflichtet

Das Oberverwaltungsgericht Schleswig war in seinem Beschluss vom 13. Februar 2024 (Az. 6 MB 1/24) offenbar so gar nicht amüsiert über das Verhalten der Lübecker Ausländerbehörde. Eigentlich ging es nur um vorläufigen Rechtsschutz in einem Verfahren um die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis, gleichwohl ließ sich das Gericht zu einigen sehr spitz formulierten Leitsätzen hinreißen. Danach folge aus der im ausländerrechtlichen Verwaltungsverfahren gesteigerten Mitwirkungspflicht nicht, dass eine Behörde von ihrer allgemeinen Pflicht zur Sachverhaltsermittlung entbunden sei, sie bleibe vielmehr verpflichtet, den Ausländer auf das Fehlen, die Unvollständigkeit oder Widersprüchlichkeit von Angaben hinzuweisen. Außerdem obliege der Behörde auch ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung eine Pflicht zur Führung vollständiger und ordnungsgemäßer Akten.

Aufenthaltsbeendigung

Unbeschränkte Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Einreiseverweigerung

Das Bundesverwaltungsgericht informiert in einer Pressemitteilung vom 22. Februar 2024 (Az. 1 C 12.22) über sein (noch nicht im Volltext vorliegendes) Urteil vom selben Tag, in dem es entschieden hat, dass die Haftung eines Beförderungsunternehmers für die durch den Aufenthalt und die Rückbeförderung eines Ausländers entstehenden Kosten nach § 66 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht durch einen Standard der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) eingeschränkt ist, der nicht in deutsches Recht umgesetzt ist. Beförderungsunternehmer haben gemäß § 64 Abs. 1 AufenthG Ausländer zurückzubefördern, die an der Grenze zurückgewiesen wurden, und haften nach § 66 Abs. 3 Satz 1 AufenthG neben dem Ausländer für die Kosten der Rückbeförderung und für die Kosten, die von der Ankunft des Ausländers an der Grenzübergangsstelle bis zum Vollzug der Entscheidung über die Einreise entstehen.

Menschenrechtsschutz

EGMR verurteilt mal wieder Ungarn

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Ungarn mit Urteil vom 22. Februar 2024 (Az. 10940/17 und 15977/17, M.H. u. S.B. gg. Ungarn) wegen der Inhaftierung von zwei minderjährigen Schutzsuchenden im Jahr 2016 verurteilt. Die Inhaftierung habe gegen Art. 5 EMRK (Recht auf Freiheit) verstoßen, weil die ungarischen Behörden nicht im besten Interesse des Kindes gehandelt hätten. Aus dem Umstand, dass die beiden Beschwerdeführer zunächst angegeben hatten, volljährig zu sein, bevor sie ihre Aussage änderten und angaben, minderjährig zu sein, hätten ungarische Behörden nicht die Annahme ableiten dürfen, dass es sich bei den Beschwerdeführern um Erwachsene handele, und hätten die Behörden ihnen nicht aufgeben dürfen, diese Annahme zu widerlegen.

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