Das Verwaltungsgericht Braunschweig geht in seinem Urteil vom 4. April 2024 (Az. 2 A 26/21) davon aus, dass einer „verwestlichten“ Frau im Irak aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe verwestlichter Frauen landesweit Verfolgung droht. Maßgeblich für die Verwestlichung einer Asylsuchenden sei die Frage, inwiefern sie bereit sei, patriarchalische Rollenvorstellungen zu akzeptieren und sich sowohl ihrem Partner als auch anderen Männern unterzuordnen. Für eine Verwestlichung sprächen der Wille zu einer selbstbestimmten Lebensführung, die Offenheit gegenüber anderen Kulturen, Religionen und Werten, die Bereitschaft, die eigene Meinung auch gegen Widerstände zu verteidigen und das Bestreben, sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen. Verwestlichung könne auch bei verheirateten Frauen und Müttern anzunehmen sein, die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Yeziden wirke auch für verwestlichte irakische Frauen gefahrerhöhend, ebenso das Fehlen eines schützenden (Groß-)Familienverbandes und prekäre Lebensverhältnisse im Herkunftsland.
Für im Rahmen eines Dublin-Verfahrens nach Kroatien überstellte Schutzsuchende besteht jedenfalls dann die Gefahr, einer Kettenabschiebung und damit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein, wenn die Schutzsuchenden zuvor über Bosnien-Herzegowina nach Kroatien eingereist sind, meint das Verwaltungsgericht Köln in seinem Beschluss vom 24. April 2024 (Az. 22 L 691/24.A). Das Verwaltungsgericht verweist zur Begründung seiner Ansicht im Wesentlichen auf das ausführlich begründete Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 22. Februar 2024 (Az. M 10 K 22.50479), in dem in einer Hauptsacheentscheidung ebenfalls systemische Mängel in Kroatien angenommen wurden.
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen führt in seinen beiden Urteilen vom 5. März 2024 (Az. 1a K 4401/23.A) und vom 16. April 2024 (Az. 1a K 3659/23.A) die Rechtsprechungslinie fort, die es im Februar 2024, nämlich mit Urteil vom 22. Februar 2024 (Az. 1a K 3331/23.A) begonnen hatte (siehe ausführlich HRRF-Newsletter Nr. 136). Das Gericht geht nach wie vor davon aus, dass selbst bei einer hypothetischen Betrachtung der Aufnahmebedingungen im Falle einer unterstellten Dublin-Überstellung nach Italien systemische Mängel anzunehmen wären, daraus folge auch im Einzelfall die beachtliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK. Das Urteil vom 5. März 2024 ist mittlerweile rechtskräftig geworden.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob im Sinne von § 71a Abs. 1 AsylG ein Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat erfolglos abgeschlossen ist und damit ein Zweitantrag vorliegt, ist der Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland, meint das Oberverwaltungsgericht Schleswig in seinem Beschluss vom 8. April 2024 (Az. 3 LA 68/21), in dem es den Antrag des beklagten Bundesamts für Migration und Flüchtlinge auf Zulassung der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil in dem Verfahren zurückgewiesen hat. Einer Klärung der Frage, welcher Zeitpunkt für die Annahme des Vorliegens eines Zweitantrags maßgeblich sei, komme keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil diese bereits anhand des Gesetzeswortlauts und der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung sowie auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden könne.
Ähnlich wie das Verwaltungsgericht Düsseldorf (siehe HRRF-Newsletter Nr. 142) geht auch das Verwaltungsgericht Ansbach in seinem Beschluss vom 15. April 2024 (Az. AN 1 S 24.30737) davon aus, dass seit Inkrafttreten des Rückkehrverbesserungsgesetzes vom 21. Februar 2024 gemäß § 71 Abs. 5 Satz 3 AsylG n.F. für Eilrechtsschutz gegen eine Ablehnung eines Asylfolgeantrags als unzulässig auch bei unterbliebener erneuter Abschiebungsandrohung ein Antrag (nur) nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage statthaft ist.
Auch nach dem Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vom 15. August 2019 und des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung vom 16. August 2023 ist der Begriff „Aufenthaltserlaubnis“ im Sinne des § 9 Abs. 1 BeschV einschränkend dahin auszulegen, dass Aufenthaltserlaubnisse, die kraft Gesetzes zur Ausübung einer Beschäftigung berechtigen, entgegen dem offenen Wortlaut der Bestimmung nicht erfasst sind, sagt das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in seinem Beschluss vom 18. April 2024 (Az. 13 ME 31/24). Die Änderungen des Aufenthaltsgesetzes seit 2019 würden nichts an der Gültigkeit des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. August 2018 (Az. 1 C 22.17) ändern, das eine solche einschränkende Auslegung vorgenommen habe. Der mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz vollzogene Paradigmenwechsel bei der Erlaubnis der Ausübung einer Erwerbstätigkeit durch Ausländer sei für die Auslegung des § 9 Abs. 1 BeschV unergiebig, weil die die Auslegung maßgeblich bestimmenden Parameter, nämlich einerseits, dass das Aufenthaltsgesetz zwischen Aufenthaltstiteln differenziere, die kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen, und Aufenthaltstiteln, bei denen die Ausübung einer Beschäftigung einer ausdrücklichen Erlaubnis der Ausländerbehörde bedürfe, und andererseits, dass § 9 BeschV systematisch und teleologisch nur an eine Verfestigung des Arbeitsmarktzugangs nach oder aufgrund einer behördlichen Zulassung anknüpfe und nur diese privilegieren wolle, als solche unverändert geblieben seien. An dieser Schlussfolgerung hat jedenfalls das Oberverwaltungsgericht Saarlouis in seinem Beschluss vom 9. Januar 2024 (Az. 2 B 117/23) gewisse Zweifel (siehe HRRF-Newsletter Nr. 129).
Eine Ausbildungsduldung eines Elternteils gemäß § 60c AufenthG steht mit Blick auf das Kindeswohl und die familiären Belange im Sinne von § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG dem Erlass einer Abschiebungsandrohung gegenüber einem minderjährigen Kind dieses Elternteils entgegen, meint das Verwaltungsgericht Hannover in seinem Urteil vom 30. April 2024 (Az. 1 A 4828/21). Es bestehe kein Raum für die Überlegung, bei im Entscheidungszeitpunkt voraussichtlich nur kurzfristig einer Abschiebung entgegenstehenden Gründen nach Art. 5 der EU-Rückführungsrichtlinie eine Abschiebungsandrohung gleichwohl zu erlassen und auf die Möglichkeit einer ausländerbehördlichen Aussetzung der Abschiebung verweisen, folglich könne auch nicht danach differenziert werden, ob ein den entgegenstehenden Grund vermittelndes Aufenthaltsrecht eines Familienmitglieds ein dauerhaftes rechtmäßiges Aufenthaltsrecht darstelle oder nur einen vorübergehenden Aufenthalt zulasse. Die Ausbildungsduldung sei ein ausreichend gefestigtes Aufenthaltsrecht, dessen Unterschiede zu einem Aufenthaltstitel immer weiter verschwämmen. Auch wenn mit einer Ausbildungsduldung zahlreiche Ungereimtheiten systematischer wie auch praktischer Art einhergingen, sei sie doch faktisch ein „Aufenthaltsrecht im Duldungsgewand“.
Ein Gericht auf der griechischen Insel Lesbos hat Medienberichten vom 1. Mai 2024 zufolge (siehe hier und hier) die Strafverfahren gegen 35 Flüchtlingshelfer eingestellt, die der Beihilfe zur illegalen Einreise und der Spionage angeklagt waren. Es habe keine Beweise gegeben, so das Gericht, dass die unter anderem aus Deutschland stammenden Helfer sich der Straftaten schuldig gemacht hätten, deren sie angeklagt worden waren.