Die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Arnsberg folgert in ihrem Urteil vom 24. Januar 2023, Az. 2 K 2991/22.A aus der Suspendierung von Dublin-Überstellungen durch Italien, dass dort systemische Mängel im Asylverfahren herrschen, und hat entsprechend einen Dublin-Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge komplett aufgehoben. Selbst wenn eine Einreise nach Italien durchgeführt werden könnte, wären dort im Hinblick auf die Betroffenen die elementarsten Bedürfnisse nach „Bett, Brot und Seife“ aufgrund der fehlenden Aufnahmeeinrichtungen nicht gewährleistet, gerade weil Italien in seinen Rundschreiben von der Nichtverfügbarkeit von Aufnahmeeinrichtungen gesprochen habe. Ähnlich verfährt die 8. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf in ihrem Urteil vom 23. Februar 2023, Az. 8 K 3701/22.A. Über das Arnsberger Urteil wird auch in einem Beitrag des Verfassungsblogs vom 16. Februar 2023 berichtet: Im asylrechtlichen Niemandsland zwischen Europa und Italien.
Die 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Arnsberg nimmt in ihrem Urteil vom 19. Januar 2023 (Az. 9 K 2602/19.A) an, dass die Suspendierung von Dublin-Überstellungen durch Italien zur insgesamten Rechtswidrigkeit entsprechender Dublin-Bescheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge führt. Ein Dublin-Staat dürfe einen Asylsuchenden nicht auf eine Prüfung durch einen anderen Mitgliedstaat verweisen, wenn dessen (Wieder-)Aufnahmebereitschaft nicht positiv feststehe, was sich als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal aus Sinn und Zweck des Dublin-Systems ergebe. Entsprechend begründe die Unmöglichkeit einer Überstellung aufgrund einer Verweigerung des an sich zuständigen Mitgliedstaats nicht nur die Rechtswidrigkeit einer Abschiebungsanordnung, sondern schlage auch auf die Unzulässigkeitsentscheidung aus § 29 Abs. 1 AsylG durch.
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen geht in seinem Beschluss vom 28. Februar 2023 (Az. 1a L 180/23.A) von einer fehlenden Aufnahmebereitschaft Italiens aus und gewährt einstweiligen Rechtsschutz, weil entgegen § 34a Abs. 1 S. 1 AsylG nicht feststehe, dass die Überstellung durchgeführt werden könne. Die optimistische Vermutung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, binnen sechs Monaten könnten Abschiebungen wieder durchgeführt werden, entbehre einer belastbaren Grundlage und gebe keinen Anlass, von einer hinreichenden Überstellungswahrscheinlichkeit auszugehen. Ähnlich sieht es die 12. Kammer des Verwaltungsgerichts Arnsberg in ihrem Beschluss vom 11. Januar 2023 (Az. 12 L 1219/22.A), bereits im HRRF-Newsletter Nr. 80 wurde über einen ähnlichen Beschluss des VG Gelsenkirchen vom 5. Januar 2023 (Az. 1a L 1642/22.A) berichtet.
Die 22. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf geht in ihrem Beschluss vom 18. Januar 2023 (Az. 22 L 23/23.A) von einer fehlenden Aufnahmebereitschaft Italiens aus, wodurch jedenfalls derzeit nicht positiv feststehe, dass eine Überstellung durchgeführt werden könne, wie es § 34a Abs. 1 S. 1 AsylG voraussetze, gewährt vorläufigen Rechtsschutz jedoch nur für eine Dauer von drei Monaten. Der Beschluss wird in Heft 1/2023 der ANA-ZAR zusammengefasst, dort wird auch auf die Gefahr hingewiesen, die vorläufiger Rechtsschutz in Hinblick auf einen Neubeginn der Dublin-Überstellungsfrist nach Ende der aufschiebenden Wirkung bedeuten kann: Je nachdem, welcher Anteil der Überstellungsfrist bei Zustellung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bereits verstrichen sei, könne auch „Augen zu und durch“ empfehlenswert sein.
Das Verwaltungsgericht Aachen nimmt in seinem Beschluss vom 18. Januar 2023 (Az. 9 L 22/23.A) an, dass Dublin-Überstellungen nach Italien weiterhin möglich sind und deswegen kein vorläufiger Rechtsschutz gegen entsprechende Dublin-Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Betracht kommt. Die italienischen Behörden gingen trotz der in ihren Rundschreiben kommunizierten temporäre Aussetzung von Überstellungen nicht von einem echten Übernahmestopp aus, dies zeige sich etwa darin, dass die italienischen Behörden auch nach dem 6. Dezember 2022 in mehreren Fällen einer Dublin-Übernahme ausdrücklich zugestimmt hätten. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass nach solchen ausdrücklichen Zustimmungen Überstellungen faktisch nicht akzeptiert werden würden.
Auf einer ähnlichen Linie (alle Entscheidungen nur bei juris verfügbar) bewegen sich die Verwaltungsgerichte Köln (Beschluss vom 5. Januar 2023, Az. 11 L 23/23.A), Göttingen (Beschluss vom 6. Januar 2023, Az. 1 B 170/22), Augsburg (Beschluss vom 20. Januar 2023, Az. Au 8 S 23.50020), München (Beschluss vom 27. Januar 2023, Az. M 10 S 22.50577), Regensburg (Urteil vom 27. Januar 2023, Az. RN 15 K 22.50498), Gießen (Beschluss vom 4. Februar 2023, Az. 2 L 214/23.GI.A), Karlsruhe (Beschluss vom 16. Februar 2023, Az. A 5 K 334/23), Ansbach (Beschluss vom 21. Februar 2023, Az. AN 14 S 22.50369) und Lüneburg (Beschluss vom 23. Februar 2023, Az. 5 B 11/23), die von lediglich temporären Vollzugshindernissen ausgehen und die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt haben, unter anderem mit den Erwägungen, Italien habe in seinen Rundschreiben, die lediglich als Bitte zu verstehen seien, seine grundsätzliche Aufnahmebereitschaft gerade bekräftigt, der Begriff des „Feststehens“ in § 34a Abs. 1 S. 1 AsylG meine lediglich ein relatives Feststehen in dem Sinne, dass die Abschiebung innerhalb der gesetzlichen Überstellungsfrist von sechs Monaten mit großer bzw. ausreichender Wahrscheinlichkeit durchgeführt werden könne, und die Betroffenen seien durch das Weiterlaufen der Überstellungsfrist und den Übergang der Dublin-Zuständigkeit gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung nach Ablauf der Frist ohnehin ausreichend geschützt.
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat mit Beschluss vom 22. Februar 2022 (Az. 10 LA 9/23) die Berufung in einem weiteren Verfahren zugelassen, in dem es um die Anforderungen an die Annahme systemischer Mängel in einem Dublin-Staat geht, wenn dort Kettenabschiebungen beobachtet werden. Während im HRRF-Newsletter Nr. 86 in der vergangenen Woche bereits über den Beschluss des Gerichts zu Kroatien berichtet wurde, geht es jetzt um Slowenien und die Frage, ob wegen Pushbacks an der slowenischen Grenze auf das ernsthafte Risiko einer Verletzung von Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh für Dublin-Rückkehrer geschlossen werden kann.
Ein Verwaltungsgericht überspannt die in § 60 Abs. 7 Satz 2, § 60a Abs. 2c AufenthG geregelten Anforderungen an den Nachweis von gesundheitlichen Gründen, die einer Abschiebung entgegenstehen, wenn es ein Beweisangebot wegen fehlender Substantiierung ablehnt, obwohl in drei ausführlichen fachärztlichen Arztbriefen sowie in ergänzenden Ausführungen des Klägers geltend gemacht wird, dass der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide und Suizidgefahr bestehe, so das Oberverwaltungsgericht Bautzen in seinem Beschluss vom 15. Februar 2023 (Az. 6 A 680/20.A), das die Berufung in dem Verfahren zugelassen hat. Vor Ablehnung des Beweisantrags hätte das Verwaltungsgericht dem Kläger Gelegenheit zu einer ergänzenden Stellungnahme geben oder die behandelnden Ärzte oder Psychologen befragen müssen.
Eine Unglaubhaftigkeit der Angaben eines Asylantragstellers führt nicht ohne qualifizierende weitere Umstände dazu, dass sein Asylantrag offensichtlich unbegründet wäre, sagt das Verwaltungsgericht Hamburg in seinem Beschluss vom 6. März 2023 (Az. 5 AE 885/23).
Das Bundesverwaltungsgericht hat den Volltext seines Urteils vom 29. November 2022 (Az. 8 CN 1.22) veröffentlicht, in dem es um den Ausschluss der Wählbarkeit zu einem Integrationsbeirat bei Fehlen eines gesicherten Aufenthaltsrechts ging.