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Ausgabe 125 • 15.12.2023

Vorgefertige Klageschrift

In einer prallvollen Weihnachtsausgabe des HRRF-Newsletters geht es um Prozesskostenhilfe und den Kölner Flüchtlingsrat, Bulgarien und eine falsche Rechtsbehelfsbelehrung, schon wieder um eine Tatsachenrevision, Verfahrensfehler beim OVG Münster, unerträgliche Härten beim internen Schutz, Frontex, den Migrationsdeal zwischen Italien und Albanien, gerichtliche Zuständigkeiten in Hessen, Kirchenasyl und um Fluchtgefahr. Der HRRF-Newsletter macht in den kommenden Wochen eine Weihnachtspause und kehrt am 5. Januar 2024 zurück. Fröhliche Weihnachten!

Asylberatung und Klagemuster statt Prozesskostenhilfe

Mit einer sehr selektiven Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wartet das Verwaltungsgericht Aachen in seinem Beschluss vom 5. Dezember 2023 (Az. 7 K 2518/23.A) auf, in dem es die Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine asylrechtliche Untätigkeitsklage mit der Begründung abgelehnt hat, dass eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht erforderlich sei. Die Klägerin spreche zwar kein Deutsch und sei im Umgang mit Behörden und Gerichten nicht bewandert, hätte bei der Erhebung ihrer Klage jedoch „ohne weiteres“ auf die Hilfe des Kölner Flüchtlingsrats zurückgreifen und sich „unschwer“ einer „vorgefertigten Klageschrift“ bedienen können, die sie nur noch hätte unterzeichnen und an das Gericht übermitteln müssen. Das Gericht müsse nach den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien erwägen, ob ein „Bemittelter“ in der Lage des „Unbemittelten“ vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte; dies sei hier nicht der Fall gewesen.

Einmal abgesehen davon, dass das Verwaltungsgericht hier die anzuwendenden rechtlichen Maßstäbe durcheinanderbringt, wenn es offenbar das Leitbild eines geizigen Rechtssuchenden zugrunde legt, unterschlägt es die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, dass ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten regelmäßig dann einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht (siehe etwa Beschluss vom 18. Dezember 2001, Az. 1 BvR 391/01, Rn. 9). Ein solches deutliches Ungleichgewicht ist dem Asylrecht jedoch immanent, insofern ist der Verweis des Verwaltungsgerichts auf die Beratung durch nichtstaatliche Stellen und auf Klagemuster zynisch und geeignet, den Zugang zum Recht, zumindest zur 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Aachen, strukturell einzuschränken. Es wäre wünschenswert, wenn das Bundesverfassungsgericht sich mit diesem Beschluss beschäftigen könnte.

Keine Dublin-Überstellung von chronisch kranken Schutzsuchenden nach Bulgarien

In seinem ausführlich und gut begründeten Beschluss vom 6. Dezember 2023 (Az. AN 14 S 23.50734) hat das Verwaltungsgericht Ansbach die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen die Dublin-Überstellung eines chronisch kranken Schutzsuchenden nach Bulgarien angeordnet und sich außerdem zur örtlichen Zuständigkeit von Verwaltungsgerichten sowie zu den Folgen fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrungen geäußert. Eine chronische Erkrankung, die die Erwerbsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtige, führe in Bulgarien bei einer Anerkennung als Schutzberechtigter zu einer Verelendung, weil es mehr als zweifelhaft erscheine, ob der Betroffene die zur Behandlung seiner Krankheit erforderlichen Medikamente erhalten würde. Wegen des schlechten Allgemeinzustands des bulgarischen Gesundheitssystems seien viele notwendige Medikamente nicht verfügbar und könnten viele chronische Krankheiten nicht behandelt werden. Werde ein Schutzsuchender in Deutschland unmittelbar nach seiner Einreise in Haft genommen und müsse er seinen Asylantrag deswegen gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 AsylG bei der Zentrale des Bundesamts stellen, greife für die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts in einem anschließenden Rechtsstreit § 52 Nr. 2 S. 3 1. Halbsatz VwGO nicht, wenn die Inhaftierung bei der Entscheidung über den Asylantrag noch andauere. Das Asylgesetz ordne in einem solchen Fall nicht an, dass der Betroffene seinen Aufenthalt in einem bestimmten Bezirk zu nehmen hätte, was letztlich zur Anwendbarkeit von § 52 Nr. 5 VwGO und damit zur örtlichen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts am Sitz des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge führe. Sofern die Rechtsbehelfsbelehrung des Asylbescheids wie hier ein anderes Verwaltungsgericht als örtlich zuständig bezeichne, sei sie im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO falsch erteilt, woraus eine Klagefrist von einem Jahr folge.

Schon wieder Tatsachenrevision zu Italien

Das Bundesverwaltungsgericht informiert in einer Pressemitteilung vom 11. Dezember 2023 darüber, dass bei dem Gericht eine weitere Tatsachenrevision eingegangen ist, die die Menschenrechtssituation anerkannter Schutzberechtigter in Italien betrifft. Die Klägerin in den Verfahren war vor dem Verwaltungsgericht Regensburg und dem Verwaltungsgerichtshof München bislang in dem Bemühen erfolglos, ihre Abschiebung nach Italien zu verhindern. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Oktober 2023 (Az. VGH 24 B 22.31109), in dem die Tatsachenrevision zugelassen wurde, liegt leider nicht vor, die Zulassung dürfte aber vermutlich mit einer Abweichung zur Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster begründet worden sein. Der Verwaltungsgerichtshof hatte bereits im September 2023 eine Tatsachenrevision zu Italien zugelassen (siehe HRRF-Newsletter Nr. 117), es war damals allerdings, anders als jetzt, keine Revision eingelegt worden.

OVG Münster lässt Prüfung vermissen

In zwei Beschlüssen vom 7. November 2023 (Az. 1 B 34.23) und vom 13. November 2023 (Az. 1 B 24.23) hat das Bundesverwaltungsgericht die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 15. Juni 2023 (Az. 11 A 3088/21.A) und vom 21. Juni 2023 (Az. 11 A 1080/22.A) aufgehoben, in denen es um die Rechtmäßigkeit von Unzulässigkeitsentscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ging, die aufgrund einer Dublin-Zuständigkeit Italiens ergangen waren. Das OVG war wegen des italienischen Dublin-Annahmestopps von einem Zuständigkeitsübergang auf Deutschland ausgegangen, das fand das BVerwG verfahrensfehlerhaft. Das OVG habe zwar ausführlich die fehlende Aufnahmebereitschaft Italiens dargelegt, nicht aber eine daraus folgende Gefahr der extremen materiellen Not für den Einzelnen, vielmehr blieben die Lebensumstände in Italien im Ergebnis offen. Soweit das OVG aus der Erklärung Italiens zur Aufnahmeverweigerung auf systemische Schwachstellen schließe, könne diese Erklärung lediglich ein Indiz begründen. Insbesondere wegen der vom OVG selbst aufgeworfenen Frage, ob die Begründung Italiens nicht vielleicht nur vorgeschoben sei, bedürfe es für eine Schlussfolgerung auf systemische Mängel einer weiteren Darlegung, wie sich die Verhältnisse in Italien im Falle einer unterstellten Rücküberstellung darstellen würden. Das BVerwG hat beide Verfahren gemäß § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das OVG Münster zurückverwiesen.

Kein Verweis auf internen Schutz bei unerträglicher Härte

Der Verweis auf internen Schutz gemäß § 3e AsylG kann ausgeschlossen sein, wenn die Rückkehr für den Ausländer eine unerträgliche Härte bedeutet, sagt das Oberverwaltungsgericht Greifswald in seinem Beschluss vom 20. November 2023 (Az. 4 LB 82/19 OVG). Zur Ausfüllung dieses Rechtsbegriffs könne die Richtlinie des UNHCR vom 23. Juli 2003 „Interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative“ herangezogen werden. Der UNHCR habe in Nr. 26 dieser Richtlinie die Auffassung vertreten, dass bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer Neuansiedlung im räumlichen Bereich des internen Schutzes eine durch Verfolgung im Herkunftsland erlittene psychische Traumatisierung eine wesentliche Rolle spielen könne. Insbesondere psychologische Gutachten, die eine erneute psychische Traumatisierung im Falle einer Rückkehr als wahrscheinlich erscheinen ließen, sprächen nach dieser Auslegung gegen die Entscheidung, ein Gebiet als zumutbare Fluchtalternative anzusehen.

Erneut Klage gegen Frontex abgewiesen

Das Gericht der Europäischen Union berichtet in seiner Pressemitteilung vom 13. Dezember 2023 (Rs. T-136/22) darüber, dass es erneut (siehe zu früheren Klagen gegen Frontex HRRF-Newsletter Nr. 44 und HRRF-Newsletter Nr. 112) eine Schadensersatzklage gegen die EU-Grenzschutzagentur Frontex abgewiesen hat. Der Kläger hatte geltend gemacht, dass Frontex beobachtet habe, wie er im April 2020 im Rahmen eines „Soforteinsatzes“ durch griechische Behörden in der Ägäis rechtswidrig in die Türkei zurückgeschoben worden sei. Außerdem habe Frontex die Einleitung des Soforteinsatzes unter Verstoß gegen Art. 46 Abs. 5 der Verordnung 2019/18961 genehmigt, nämlich aufgrund eines offensichtlichen Beurteilungsfehlers, aufgrund eines Ermessensmissbrauchs und ohne mit der gebotenen Sorgfalt zu handeln. Das Gericht hat die Klage abgewiesen, weil ihr „offensichtlich“ jede rechtliche Grundlage fehle, da der Kläger nicht den Beweis erbracht habe, dass er bei dem behaupteten Vorfall zugegen und daran beteiligt gewesen wäre.

Albanisches Verfassungsgericht stoppt Migrationsdeal mit Italien

In einer Pressemitteilung vom 13. Dezember 2023 informiert das albanische Verfassungsgericht darüber, dass es ein Verfahren zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Migrationsdeals eingeleitet hat, den die albanische Regierung im November 2023 mit Italien vereinbart hatte. Die Vereinbarung zwischen den beiden Ländern sieht vor, dass Italien Aufnahmezentren in Albanien errichtet und dort Asylverfahren durchführt. Das Verfahren vor dem Verfassungsgericht wurde von Abgeordneten des albanischen Parlaments eingeleitet, die geltend machen, dass bei der Unterzeichnung der Vereinbarung die Vorgaben der albanischen Verfassung missachtet wurden. Das Verfassungsgericht wird sich Mitte Januar 2024 wieder mit dem Verfahren befassen, bis dahin ist die innerstaatliche Ratifizierung der Vereinbarung ausgesetzt.

Asylgerichtliche Konzentration in Hessen

Das hessische Justizministerium informiert in einer Pressemitteilung vom 12. Dezember 2023 darüber, dass in Hessen ab dem 1. Januar 2024 neu eingehende asylgerichtliche Verfahren, die sichere Herkunftsstaaten oder Herkunftsstaaten mit einem geringen Fallaufkommen betreffen, beim Verwaltungsgericht Gießen konzentriert werden. Die Zuständigkeitskonzentration soll mit Ausnahme von Flughafenverfahren und der zehn großen Herkunftsstaaten einheitlich für alle neu eingehenden gerichtlichen Asylverfahren gelten, unabhängig davon, wo in Hessen die betroffenen Ausländerinnen und Ausländer ihren Aufenthalt zu nehmen haben. Durch die Verordnung werden die Verfahren dem Verwaltungsgericht Gießen auf Ebene der örtlichen Zuständigkeit nach § 52 Nr. 2 Satz 4 der Verwaltungsgerichtsordnung zugewiesen.

Keine existenzsichernden Leistungen im Kirchenasyl

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen weist in einer Pressemitteilung vom 12. Dezember 2023 auf seinen Beschluss vom 18. August 2023 (Az. L 8 AY 20/23 B ER) hin, in dem es davon ausgeht, dass bei einem Aufenthalt im Kirchenasyl unter Verstoß gegen eine Wohnsitzauflage kein Anspruch auf Lebensunterhaltssicherung nach dem AsylbLG besteht.

Keine Fluchtgefahr bei engem Kontakt mit staatlichen Stellen

Das Amtsgericht Berlin Tiergarten meint in seinem Beschluss vom 1. Dezember 2023 (Az. 384 XIV 120/23 B), dass die gemäß § 62 Abs. 3a Nr. 3 AufenthG vermutete Fluchtgefahr nicht vorliegt, und damit auch kein Haftgrund für die Anordnung von Abschiebungshaft, wenn der Betroffene seine Anschrift zwar nicht der Ausländerbehörde, dafür aber anderen staatlichen Stellen mitgeteilt hat. In dem Verfahren habe der Betroffene unter anderem regelmäßigen Kontakt mit der Bewährungshilfe und komme im Rahmen der Bewährungsüberwachung all seinen Verpflichtungen nach, hole vom Bezirksamt monatlich Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ab und habe bei einer Einreise im August 2023 gegenüber der Bundespolizei seine aktuelle Anschrift wahrheitsgemäß angegeben. Eine Person, die derart engen Kontakt mit staatlichen Stellen halte und insofern auch allen ihr auferlegten Verpflichtungen nachkomme, sei nicht untergetaucht. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass sie ihrer Verpflichtung, ihre neue Adresse mitzuteilen, aus Nachlässigkeit nicht nachgekommen sei, zumal die Belehrung aus ca. vier und sechs Jahre alten Bescheiden stammten und dort in einer Vielzahl von Information („Kleingedrucktes“) mehr als leicht untergehen könnten. Interessant hat sich das Amtsgericht daneben zum Geschäftswert des Verfahren geäußert: Zwar gingen die Berliner Gerichte (Landgericht und Kammergericht) in Freiheitsentziehungssachen vom Regelgeschäftswert des § 36 Abs. 3 GNotKG (5.000 Euro) aus, was jedoch unbillig sei, weil diese Sichtweise Kriterien des vorrangigen § 36 Abs. 2 GNotKG verletze, der verlange, dass für den Geschäftswert der Umfang und die Bedeutung der Sache maßgeblich sein sollen. Es gebe jedoch mit § 7 Abs. 3 StREG eine gesetzliche Vorschrift, die Haft bewerte, nämlich mit 75 Euro pro Tag. Diese Vorschrift stelle ein besonders geeignetes Bemessungskriterium für den nach § 36 Abs. 2 GNotKG maßgeblich zu berücksichtigenden Umfang und Bedeutung der Sache dar. Da sich nach dem Haftantrag die Haft über 44 Tage erstrecken solle, sei der Wert der Gebühr Nr. 15212 Ziff. 4 KVGNotKG auf 3.150 Euro (= 42 x 75 Euro) festzusetzen.

Vermischtes vom Bundesverwaltungsgericht

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Volltext seines Urteils vom 11. Oktober 2023 (Az. 1 C 35.22) veröffentlicht, in dem es um den Widerruf von Familienasyl und Familienflüchtlingsschutz infolge des Todes des Stammberechtigten geht und über das es bereits in einer Pressemitteilung vom 9. November 2023 berichtet hatte (siehe HRRF-Newsletter Nr. 121). In seinem Beschluss vom 4. Oktober 2023 (Az. 1 B 41.23) hat das Bundesverwaltungsgericht eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs München vom 3. Juli 2023 (Az. 15 B 23.30185) mangels grundsätzlicher Bedeutung zurückgewiesen, in dem Verfahren ging es um die Gewährung subsidiären Schutzes an einen jemenitischen Staatsangehörigen.

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