Das Verwaltungsgericht Hamburg äußert sich in zwei aktuellen Urteilen vom 1. Oktober 2024 (Az. 10 A 2312/23) und vom 29. Oktober 2024 (Az. 10 A 2350/23) zur Asylrelevanz exilpolitischer Aktivitäten von Iranerinnen und Iranern in Deutschland. Eine exiloppositionelle Betätigung berge für iranische Staatsangehörige ein nicht bloß unerhebliches Gefährdungspotential, weil dem iranischen Regime aufgrund des technischen Fortschritts jedenfalls regelhaft alle oppositionellen Aktivitäten bekannt würden; die Annahme einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit setze darum nicht voraus, dass Betroffene in exponierter Stellung besonders nachhaltig als Regimefeind in die Öffentlichkeit getreten seien. Für die Frage einer beachtlichen Verfolgungsgefahr bei Rückkehr bleibe allerdings maßgeblich, ob die Aktivitäten den jeweiligen Asylsuchenden aus der Masse der mit dem Regime in Teheran Unzufriedenen herausheben und ihn als ernsthaften (und gefährlichen) Regimegegner erscheinen ließen, was eine Frage des Einzelfalls sei. Neben der Möglichkeit der Einflussnahme auf die öffentliche Meinung könne auch die Bedeutung bzw. Funktion einer Person innerhalb der iranischen Diaspora bzw. für eine Aktion oder Demonstration entscheidend dafür sein, ob jemand als „Schlüsselperson“ in den Fokus der iranischen Behörden gerate. Überwacht würden eher Anführer, Organisatoren und Redner, während etwa einfache Teilnehmer an Demonstrationen eine Überwachung ihrer Aktivitäten und daran anknüpfende Sanktionen eher nicht befürchten müssten. Auch spiele die Art der Verbreitung von Aktionen in den sozialen Netzwerken eine Rolle. Personen, die in den persisch-sprachigen Nachrichtensendern Man-o-to, Iran International, BBC Farsi sowie „Voice of America 365“ zu sehen seien, gerieten allein durch die dortige Ausstrahlung in das Blickfeld der iranischen Behörden und Sicherheitsdienste.
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat in seinem Beschluss vom 28. Oktober 2024 (Az. 10 LA 120/23) die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 5. September 2023 (Az. 15 A 1107/23) zugelassen, in dem das Verwaltungsgericht angenommen hatte, dass einer alleinerziehenden Mutter eines siebenjährigen Kindes bei einer Rückkehr nach Frankreich im Zeitraum zwischen ihrer Rückführung und der förmlichen Asylantragstellung sowie nach dem Abschluss ihres Asylverfahrens eine unmenschliche und entwürdigende Behandlung drohe. Das Verwaltungsgericht sei weder auf die konkrete Unterbringungssituation für vulnerable Personengruppen noch für anerkannte Schutzberechtigte hinreichend eingegangen, so dass aus den Entscheidungsgründen eine beachtliche Gefahr der Obdachlosigkeit für vulnerable Schutzsuchende und Schutzberechtigte nicht hervorgehe.
Die 15. Kammer des Verwaltungsgerichts Köln sieht in ihrem Beschluss vom 4. November 2024 (Az. 15 L 2089/24.A) ohne jegliche Auseinandersetzung mit der Sache keine hinreichend belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass Dublin-Rückkehrern in Kroatien illegale Pushbacks oder Kettenabschiebungen nach Bosnien und Herzegowina drohen. Immerhin zitiert der Beschluss, und zwar als Beleg für eine Mindermeinung, den Beschluss der 22. Kammer desselben Gerichts vom 18. Oktober 2024 (Az. 22 L 1985/24.A), in dem das genau anders herum gesehen wird (siehe dazu HRRF-Newsletter Nr. 168).
Die isolierte Aufhebung einer Abschiebungsanordnung in Dublin-Fällen, in denen die Zuständigkeit Italiens feststeht, die tatsächliche Durchführbarkeit der Dublin-Überstellung aber zweifelhaft ist, würde den Betroffenen nichts nützen, sondern vielmehr die Gefahr einer Verfestigung eines „refugee in orbit“-Szenarios mit sich bringen, meint das Verwaltungsgericht München in seinem Urteil vom 9. September 2024 (Az. M 10 K 24.50768). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge könnte sich nämlich auf den Standpunkt zurückziehen, dass die Unzulässigkeitsentscheidung als solche gerichtlich bestätigt worden sei, während infolge der Aufhebung der Abschiebungsanordnung keine vollziehbare Ausreisepflicht des Betroffenen mehr bestünde, was zugleich den Anlauf der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO hemmen würde. Betroffene wären darum von einer objektiven Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung konkret nicht beschwert und hätten wohl kein Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich des sonst bestehenden gerichtlichen Aufhebungsanspruchs, weil die Aufhebung der Abschiebungsanordnung mit einer wenigstens vorübergehenden Verschlechterung ihrer Rechtsstellung einherginge. Vielmehr wäre bei Annahme eines für die Dauer der Überstellungsfrist vorliegenden tatsächlichen Überstellungshindernisses die Aufrechterhaltung der Abschiebungsanordnung der einzige Weg, den Zuständigkeitsübergang gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO ohne wesentliche Verzögerungen herbeizuführen.
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hält es in seinem Beschluss vom 29. Oktober 2024 (Az. 26 L 3021/24.A) angesichts des beim Europäischen Gerichtshofs anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens (Rs. C-123/23) für offen, ob § 71a AsylG europarechtskonform ist, und hat aus diesem Grund ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Abschiebungsandrohungen, die auf die Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG gestützt sind, d.h. wenn in einem anderen EU-Staat bereits ein Asylverfahren durchgeführt wurde.
Das Verwaltungsgericht Hamburg sieht in seinem Urteil vom 24. Oktober 2024 (Az. 10 A 1950/24) keinen Grund, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht zur Bescheidung eines Asylantrags zu verpflichten, der einen Griechenland betreffenden Anerkannten-Fall betrifft. Der Asylantrag sei im Mai 2022 gestellt worden, so dass die in § 24 Abs. 7 AsylG geregelte maximale Entscheidungsfrist bereits verstrichen sei. Dass beim Bundesverwaltungsgericht eine Tatsachenrevision zur Situation von anerkannten Schutzberechtigten in Griechenland anhängig sei (nämlich im Verfahren 1 C 18.24), ändere nichts an der Verpflichtung des Bundesamts, nunmehr über den Antrag zu entscheiden, weil die Tatsachenrevision sich wohl nur auf die Personengruppe der alleinstehenden, jungen, gesunden und arbeitsfähigen Männer beziehe, zu denen die Klägerinnen nicht gehörten. Verweise des Bundesamts auf eine interne „Rückpriorisierung“ und auf eine „rechtspolitisch gewünschte Überprüfung der Grundsätze des gesamten Asylsystems“ änderten daran ebenfalls nichts, weil sie die erforderliche einzelfallbezogene Bewertung vermissen ließen.
Das Verwaltungsgericht Ansbach weist in seinem Beschluss vom 16. Oktober 2024 (Az. AN 18 K 24.50673) darauf hin, dass es nicht länger für asylrechtliche Klagen zuständig ist, die das Herkunftsland Türkei betreffen. Die bayerische Zuständigkeitsverordnung (ZustV) sehe aufgrund der zum 1. September 2024 in Kraft getretenen Einfügung des neuen § 8d ZustV nunmehr vor, dass in solchen Fällen das Verwaltungsgericht Würzburg zuständig sei. § 8d ZustV regelt außerdem, dass das Verwaltungsgericht Regensburg bayernweit für Streitigkeiten zuständig ist, die die Herkunftsländer Angola, Demokratische Republik Kongo, Kongo, Sierra Leone und Uganda betreffen, das Verwaltungsgericht Bayreuth für die Herkunftsländer Jordanien und Peru sowie das Verwaltungsgericht Augsburg für die Herkunftsländer Jemen und Nigeria.
Die Ablehnung eines Asylantrags durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als offensichtlich unbegründet wegen des Vorbringens lediglich belangloser Umstände gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kommt nur in Frage, wenn sich die Ablehnung des Antrags gerade aufdrängt, meint das Verwaltungsgericht Köln in seinem Beschluss vom 31. Oktober 2024 (Az. 22 L 1987/24.A). Der Substantiierungsmangel müsse sich dabei als derart gravierend darstellen, dass sich selbst bei wohlwollendster Betrachtung aus dem Vortrag ein individuelles Verfolgungsschicksal nicht ableiten lasse. Nicht von Belang sei danach insbesondere ein Vortrag, wenn aus ihm auch bei Wahrunterstellung rechtlich kein Schutzstatus nach Art. 16a GG, §§ 3 oder 4 AsylG folgen könne. Allerdings dürfe kein vom Ausländer im Asylverfahren vorgetragener Umstand von Belang sein, damit das Offensichtlichkeitsurteil gerechtfertigt sei. Nicht über einzelne Asylgründe, sondern über den gesamten Asylantrag müsse das Verdikt der Belanglosigkeit fallen, eine Differenzierung nach einzelnen Gründen finde insoweit im Ergebnis nicht statt.
Bei der Beurteilung, ob ein minderjähriger Ausländer im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund aus dem Bundesgebiet ausreist, sind die aus dem Aufenthaltsbestimmungsrecht seiner Sorgeberechtigten folgenden rechtliche Grenzen zu berücksichtigen, sagt das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in seinem Beschluss vom 7. Oktober 2024 (Az. 13 ME 137/24). In einem Fall, in dem sich ein minderjähriger Ausländer ohne Zustimmung seiner Sorgeberechtigten ins Ausland abmelde und ausreis, bestehe für die Ausländerbehörde vor Annahme des Erlöschenstatbestands nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG die Pflicht zur Nachprüfung, ob der Sorgeberechtigte mit der Abmeldung und auch der Ausreise aus dem Bundesgebiet einverstanden sei. Eine andere Auslegung und Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG würde dazu führen, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht des gesetzlichen Vertreters durch den minderjährigen Ausländer vereitelt werden könne.
Valentin Feneberg beschäftigt sich in seiner gerade erschienenen sozialwissenschaftlichen Dissertation Die Heimat der Anderen, die im Internet als eBook kostenlos verfügbar ist, mit der Ermittlung und Verwendung von Herkunftslandinformationen in Asylverfahren. Auf 509 Seiten geht es vornehmlich um Erkenntnismittel in asylgerichtlichen Verfahren, deren Verwendung unter anderem anhand von Interviews mit Richterinnen und Richtern an Verwaltungsgerichten analysiert und am Beispiel der Rechtsprechung zu Syrien und Afghanistan systematisiert wird. Um es in einem Zitat zusammenzufassen: „Sie müssen das alles lesen“ (S. 227)! Das Buch wird, gemeinsam mit der (online ebenfalls kostenlos als eBook verfügbaren) Studie Safe Access to Asylum in Europe von Pauline Endres de Oliveira, am 5. Dezember 2024 in einer auch online zugänglichen Veranstaltung vorgestellt.
Jüngste gesetzgeberische Aktivitäten zur Absenkung der monatlichen Bedarfssätze nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und zu Leistungsausschlüssen bei Zuständigkeit eines anderes Dublin-Staats lassen gerichtliche Auseinandersetzungen erwarten. Pro Asyl hat am 30. Oktober 2024 angekündigt, Klagen gegen die Absenkung der monatlichen Bedarfssätze nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für die Zeit ab dem 1. Januar 2025 zu unterstützen. Bedarfssätze nach dem Asylbewerberleistungsgesetz dürften nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht pauschal niedriger sein als die anderer Sozialleistungen, außerdem müsse ein tatsächlich geringerer Bedarf nachgewiesen werden, was nie geschehen sei. Constantin Hruschka geht in einem Beitrag im Verfassungsblog vom 4. November 2024 davon aus, dass die durch das „Sicherheitspaket“ zum 31. Oktober 2024 eingeführten erweiterten Leistungsausschlüsse bei Zuständigkeit eines anderen Dublin-Staats evident europarechtswidrig sind. Behörden und Gerichte dürften die Neuregelung nicht anwenden, außerdem seien anders als bis zum 30. Oktober 2024 auch keine Leistungseinschränkungen gemäß § 1a AsylbLG mehr möglich, weil der dafür einschlägige § 1a Abs. 7 AsylbLG aufgehoben wurde.