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Ausgabe 180 • 24.1.2025

Behördenversehen

Es ist einmal mehr eine rechtswidrige Abschiebung zu verzeichnen, in deren Verlauf eine gerichtliche Eilentscheidung ignoriert wurde, und zwar in Folge mindestens eines „Behördenversehens“. Außerdem geht es in dieser Woche um rechtswidrig bestellte Verfahrenspfleger bei der Anordnung von Abschiebungshaft, Bescheinigungen über die vollziehbare Ausreisepflicht, Täuschungen über Reisewege oder Asylanträge, Geschwisternachzug zu subsidiär Schutzberechtigten und um „unaufklärbare Büroversehen“.

Aufenthaltsbeendigung

Erneut gerichtliche Eilentscheidung bei Abschiebung ignoriert

Sowohl das Landgericht Paderborn (siehe unten) als auch das Abschiebungsreporting NRW berichten über die rechtswidrige Abschiebung eines Schutzsuchenden aus Nordrhein-Westfalen in die Türkei im Dezember 2024, bei der eine entgegenstehende gerichtliche Eilentscheidung ignoriert wurde. Der Betroffene, der einen Asylfolgeantrag gestellt hatte, war von der Stadt Arnsberg am Morgen des 9. Dezember 2024 zur Abschiebung abgeholt worden, weil die Stadt „wohl aufgrund eines Behördenversehens“ (so das Landgericht Paderborn, siehe unten) vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Mitteilung erhalten hatte, dass kein Folgeantrag gestellt worden sei. Das zuständige Verwaltungsgericht Arnsberg hatte den Vollzug der Abschiebung daraufhin noch am Vormittag desselben Tages untersagt (Az. 10 L 1341/24), allerdings soll die Bundespolizei einem Abbruch des Starts des Flugzeugs am Flughafen Köln/Bonn nicht zugestimmt haben. Die Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen scheinen das Rundschreiben des Oberverwaltungsgerichts Münster von November 2022, wonach eine Abschiebung auch noch während des Flugs abgebrochen werden können muss, wohl nicht mehr sonderlich ernst zu nehmen. Der HRRF-Newsletter hat zuletzt in Ausgabe Nr. 165 über rechtswidrige Abschiebungen aus Nordrhein-Westfalen berichtet.

Abschiebungshaftrecht

Nichtbestellung des anwaltlichen Vertreters macht Abschiebungshaft rechtswidrig

In seinem Beschluss vom 30. Dezember 2024 (Az. 5 T 277/24) hält das Landgericht Paderborn fest, dass es rechtswidrig ist, wenn ein Rechtsanwalt gemäß § 419 FamFG als Verfahrenspfleger eines Inhaftierten statt gemäß § 62d AufenthG als anwaltlicher Vertreter bestellt wird. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers habe im Freiheitsentziehungsverfahren Ausnahmecharakter, weil der Verfahrenspfleger nicht weisungsgebunden und nicht Vertreter des Betroffenen sei und sich seine Rolle sich darum grundlegend von der eines nach § 62d AufenthG zu bestellenden anwaltlichen Vertreters unterscheide. Die Verletzung der Pflicht zur Bestellung eines anwaltlichen Vertreters durch das Haftgericht mache die Haft ohne Weiteres rechtswidrig, dabei komme es nicht darauf an, dass die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruhe.

Das Landgericht berichtet in seinem Beschluss außerdem, dass der in dem Verfahren Betroffene am 9. Dezember 2024 in Folge eines „Behördenversehens“ und trotz einer entgegenstehenden einstweiligen Anordnung des zuständigen Verwaltungsgerichts in die Türkei abgeschoben wurde, weil im Zeitpunkt des gerichtlichen Eilbeschlusses mit der Abschiebung bereits begonnen worden war und sie „nicht mehr aufgehalten werden“ konnte (siehe dazu oben).

Aufenthaltsbeendigung

Keine Duldungsbescheinigung mehr nach Abschiebungsanordnung

Eine Ausländerbehörde darf nicht gemäß § 60a Abs. 4 AufenthG eine Duldungsbescheinigung ausstellen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AsylG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat angeordnet hat, meint das Verwaltungsgericht Hamburg in seinem Beschluss vom 27. Dezember 2024 (Az. 5 E 3959/24). Die ausländerbehördliche Anwendung des § 60a AufenthG werde durch die bundesamtliche Abschiebungsanordnung präjudiziert, und zwar unabhängig davon, ob die Abschiebung tatsächlich durchführbar sei. Im Verfahren gegen den Träger der Ausländerbehörde bleibe demnach kein Raum für eine Wiederholung dieser Prüfung, stattdessen müsse Rechtsschutz gegen die Abschiebungsanordnung gesucht werden.

Hintergrund dieser Entscheidung ist eine geänderte Verwaltungspraxis in Hamburg, wonach den von einer Unzuständigkeitsentscheidung betroffenen Personen seit dem 1. Dezember 2024 keine Duldungsbescheinigungen mehr ausgestellt werden, sondern in Umsetzung des Leistungsausschlusses nach § 1 Abs. 4 AsylbLG „Bescheinigungen über die vollziehbare Ausreisepflicht gemäß der Dublin-III-Verordnung“. Ob der Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG mit höherrangigem Recht vereinbar sei, so das Verwaltungsgericht, bleibe einer Prüfung durch die zuständigen Behörden und die Sozialgerichte vorbehalten, eine mögliche Strafbarkeit gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wegen unerlaubten Aufenthaltes bleibe einer Prüfung durch die zuständigen Strafverfolgungsorgane und die ordentlichen Gerichte vorbehalten.

Asylverfahrensrecht

Täuschung über Reiseweg oder Asylanträge ist für Offensichtlichkeitsurteil irrelevant

Das Verwaltungsgericht Berlin geht in seinem Beschluss vom 11. Dezember 2024 (Az. 24 L 636/24 A) davon aus, dass eine Täuschung über den Reiseweg und über einen vorherigen Asylantrag in einem anderen EU-Mitgliedstaat nicht vom Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 3 AsylG umfasst ist. § 30 Abs. 1 Nr. 3 AsylG regele lediglich Täuschungen über die Identität oder die Staatsangehörigkeit; ein Austausch der Offensichtlichkeitsgründe sei zwar möglich, allerdings treffe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dabei eine besondere Begründungspflicht, der der angegriffene Bescheid nicht gerecht werde.

Aufenthaltsrecht

Kein einfacher Geschwisternachzug zu minderjährigen subsidiär Schutzberechtigten

In drei Beschlüssen vom 20. Dezember 2024 (Az. OVG 3 S 158/24), 7. Januar 2025 (Az. OVG 3 S 2/25) und vom 13. Januar 2025 (Az. OVG 3 S 3/25) hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschieden, dass ein Geschwisterkind bei fehlender Sicherung des Lebensunterhalts keinen Anspruch auf Erteilung eines Visums gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG oder gar gemäß § 22 S. 1 AufenthG hat, um gemeinsam mit seinen Eltern, denen gemäß § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG Visa zur Familienzusammenführung mit ihrem im Bundesgebiet lebenden subsidiär schutzberechtigten Kind erteilt wurden, in das Bundesgebiet einzureisen, wenn die Visa der Eltern aufgrund des Eintritts der Volljährigkeit des im Bundesgebiet lebenden Kindes alsbald auslaufen. Allein die Möglichkeit, dass ein Elternteil nach seiner Einreise Asyl beantragen werde und dann das Geschwisterkind ein Recht auf Einreise hätte, begründe keine atypische Situation, die die vorzeitige Einreise des Geschwisterkindes rechtfertige. Der Gesetzgeber halte eine Trennung von Geschwistern vielmehr für grundsätzlich hinnehmbar, weil er einen Geschwisternachzug in § 36a AufenthG, wie auch sonst in §§ 27 ff. AufenthG, gerade nicht vorgesehen habe, sondern ihn gemäß § 36 Abs. 2 AufenthG nur zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte ermögliche.

Sonstiges

Behördliche Fristenkontrolle muss anwaltlicher Sorgfalt entsprechen

Für die Kontrolle von Rechtsmittelfristen sind an Behörden zwar keine strengeren, aber auch keine geringeren Anforderungen zu stellen als an einen Rechtsanwalt, sagt das Oberverwaltungsgericht Schleswig in seinem Beschluss vom 11. Dezember 2024 (Az. 6 LB 11/24). In dem Verfahren hatte die Behörde nach Zulassung ihrer Berufung die Frist zur Begründung der Berufung versäumt und sich auf ein „unaufklärbares Büroversehen“ berufen. Das, so das Oberverwaltungsgericht, gehe zu Lasten der Behörde, weil Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden könne, wenn die Möglichkeit offen bleibe, dass die Einhaltung der Frist schuldhaft versäumt worden sei.

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