In die deutsche obergerichtliche Rechtsprechung zur Menschenrechtssituation in Eritrea kommt Bewegung. Bereits in der vergangene Woche (siehe HRRF-Newsletter Nr. 111) wurde an dieser Stelle über das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 18. Juli 2023 (Az. 4 LB 8/23) berichtet, in dem bei drohender Einberufung in den eritreischen Nationaldienst subsidiärer Schutz angenommen wurde.
Das Oberverwaltungsgericht Greifswald fühlt sich nun in seinem Urteil vom 17. August 2023 (Az. 4 LB 145/20 OVG) bemüßigt, in einem Verfahren mit ähnlichem Sachverhalt andere Maßstäbe anzulegen, und hat in dem Verfahren einer Berufung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge stattgegeben und die Klage insgesamt abgewiesen. Die Struktur des Nationaldienstes in Eritrea begünstige zwar das Auftreten von unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, so das OVG Greifwald, allerdings werde die Wahrscheinlichkeit des Auftretens solcher Behandlung dadurch gemindert, dass der eritreische Staat ein Interesse an der Aufrechterhaltung und Integrität des Nationaldienstes habe und dafür die Bedingungen im Nationaldienst verbessere. Außerdem sei davon auszugehen, dass die überwiegende Zahl der Dienstpflichtigen im zivilen Teil des Nationaldienstes eingesetzt werde, in dem eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung „weit weniger“ zu erwarten sei als im militärischen Teil.
In ausdrücklicher Abgrenzung zum o.g. Urteil des OVG Lüneburg führt das OVG Greifswald zum Thema der Reueerklärung aus, dass deren Abgabe eritreischen Staatsangehörigen flüchtlingsrechtlich nicht allgemein unzumutbar sein soll, weil sie keine Selbstbelastung im strafrechtliche Sinne darstelle. In dem Zwingen zu einem Reuebekenntnis liege zwar eine Herabsetzung des Unterzeichners, dabei müsse jedoch „jedem verständigen eritreischen Staatsangehörigen in der Position eines objektiven Dritten“ klar sein, dass ein solches Bekenntnis nicht ernst gemeint sei. Der abweichende rechtliche Maßstab, von dem das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil v. 11. Oktober 2022 (Az. 1 C 9.21) ausgegangen sei, lasse sich auf das vorliegende Verfahren nicht übertragen. Soweit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts die Annahme zugrunde liege, dass in der Abgabe der Reueerklärung neben einem Loyalitätsbekenntnis zugleich auch eine unzulässige Selbstbelastung liege, beruhe diese Annahme auf einer gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellung des Berufungsgerichts [nämlich wiederum des OVG Lüneburg], der sich das erkennende Gericht ausdrücklich nicht anschließe.
Demgegenüber bewegt sich das Oberverwaltungsgericht Bautzen eher auf der Lüneburger Linie und geht in seinem ausführlich begründeten Urteil vom 19. Juli 2023 (Az. 6 A 178/21.A) davon aus, dass bei drohender Einberufung in den militärischen Teil des Nationaldienstes die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes vorliegen. Eritreer ohne ausländischen Pass oder gültige Aufenthaltserlaubnis im Ausland liefen bei Rückkehr nach Eritrea Gefahr, den von der Nationaldienstpflicht befreienden Diaspora-Status nicht zu erhalten und zur militärischen Ausbildung und nachfolgenden Ableistung des Nationaldienstes einberufen zu werden. Die im militärischen Teil des eritreischen Nationaldienstes verbreiteten Verletzungen der Menschenrechte aus Art. 3 EMRK seien geeignet, bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen, dem seine Einberufung drohe, Furcht vor einem ernsthaften Schaden hervorzurufen. In Anbetracht der unerträglichen Schwere der Maßnahme, ihrer willkürlichen Verhängung sowie auch der willkürlich langen und nicht berechenbaren Dienstdauer sei dem Kläger die Hinnahme des ihm dort drohenden realen Risikos unmenschlicher Behandlung und willkürlicher Anordnung von Folter nicht zumutbar, da auch ein verständiger Mensch in seiner Lage ein derartiges Risiko nicht außer Betracht lassen würde.