225

Pauschale Angriffe

Es hat sich so ergeben, dass es in dieser Newsletter-Ausgabe vornehmlich um strenge Maßstäbe geht, die von Gerichten angelegt werden: So soll die asylgerichtliche Klagebegründungsfrist (§ 74 AsylG) gar keine Klagebegründungsfrist sein und das Gericht darum nicht bis zum Ablauf dieser vermeintlichen Frist warten müssen (VG Karlsruhe), soll ein Bescheid als zugestellt gelten (§ 10 AsylG), obwohl er wegen unterschiedlicher Schreibweisen eines Vornamens tatsächlich nicht zugestellt wurde (VG Bayreuth), sollen an ein aus der Unterstützung einer den Terrorismus unterstützenden Vereinigung folgendes Ausweisungsinteresse (§ 54 AufenthG) keine besonders hohen Anforderungen zu stellen sein (OVG Hamburg) und soll eine Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken (§ 16b AufenthG) voraussetzen, dass ein Präsenzstudium in Deutschland nicht nur vorgeschrieben, sondern auch mit studienrechtlichen Sanktionen bewehrt ist (VG Berlin). Immerhin gelten auch für Behörden strenge Maßstäbe, weil sie Mitwirkungspflichten zur Identitätsklärung (§ 48 AufenthG) „verständlich, präzise und konkret“ formulieren müssen (LSG Halle).

  • Keine Mindestdauer eines Asylklageverfahrens?

    Die Klagebegründungsfrist des § 74 Abs. 2 S. 1 AsylG ist eine Höchstfrist und keine Mindestfrist, meint das Verwaltungsgericht Karlsruhe in seinem Gerichtsbescheid vom 18. November 2025 (Az. A 11 K 10781/25). Aus der Norm folge insbesondere keine Pflicht des Gerichts, mit einer Entscheidung über eine erhobene Klage bis zum Ablauf der Frist zu warten, weswegen eine Entscheidung vor Fristablauf auch regelmäßig nicht zu einer Verletzung des Rechts des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs führe und es im Ergebnis keine Mindestdauer eines Asylklageverfahrens gebe. Inhalt der Norm sei vielmehr, dass nach Ablauf der Frist bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen verspätetes Vorbringen des Klägers zurückgewiesen werden könne.

    Ausgangspunkt der Argumentation des Verwaltungsgerichts ist die Überlegung, dass § 74 Abs. 2 S. 1 AsylG („Der Kläger hat die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel binnen einer Frist von einem Monat nach Zustellung der [behördlichen] Entscheidung anzugeben.“) eine Präklusionsvorschrift sein soll, unter anderem deswegen, weil sie das Wort „mindestens“ nicht enthalte. Der dem Verwaltungsgericht im Instanzenzug übergeordnete Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat das allerdings im Sommer diesen Jahres genau anders herum entschieden (Beschluss vom 16. Juni 2025, Az. A 3 S 1037/25): Wenn ein Gericht vor Ablauf der Klagebegründungsfrist des § 74 Abs. 2 S. 1 AsylG entscheide, dann verletze es damit regelmäßig den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör. Gleichzeitig soll es aber auch Mitwirkungspflichten des Klägers geben, wenn eine rechtswidrige Entscheidung des Verwaltungsgerichts absehbar ist, etwa die, eine mündliche Verhandlung zu beantragen (Rn. 21), und soll die Berufung gegen solche Entscheidungen nur dann zuzulassen sein, wenn die Gehörsverletzung auch entscheidungserheblich war (Rn. 19f.). Das sei etwa nicht der Fall, wenn sich eine knapp zweiseitige Klagebegründung letztlich lediglich in „pauschalen Angriffen“ gegen die Entscheidung des Bundesamts erschöpfe.

  • Einstellung des Asylverfahrens infolge abweichender Namensschreibweise

    Ein Asylbewerber hat Sorge dafür zu tragen, dass die Namenswiedergabe am Briefkasten seiner Wohnung exakt mit dem Namen übereinstimmt, unter dem er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das Asylverfahren betreibt, meint das Verwaltungsgericht Bayreuth in seinem Beschluss vom 25. November 2025 (Az. B 7 S 25.32641). Der Zustellungsbedienstete der Post sei nicht befugt oder jedenfalls nicht angehalten, ein behördliches Schreiben im Wege der Ersatzzustellung in einen Briefkasten einzulegen, dessen Namensanbringung mit dem Namen im Adressfeld des zuzustellenden Bescheids (und der dazugehörigen Postzustellungsurkunde) nicht deckungsgleich sei.

    Die Folge der fehlenden Namensgleichheit ist, dass das behördliche Schreiben als unzustellbar zurückgeschickt wird, gegenüber dem Schutzsuchenden aber wegen § 10 Abs. 2 S. 4 AsylG dennoch als zugestellt gilt, so dass Fristen versäumt werden und das Asylverfahren in der Regel gemäß § 33 AsylG wegen Nichtbetreiben des Verfahrens eingestellt wird. In dem Verfahren unterschied sich die Schreibweise des Vornamens auf dem Briefkasten in zwei (!) Buchstaben von der Schreibweise des Vornamens im Adressfeld des Briefs und wurde die abweichende Schreibweise des Vornamens zudem von der zuständigen bayerischen Bezirksregierung verwendet, was dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auch bekannt war, aus Sicht des Verwaltungsgerichts aber nicht zugunsten des Betroffenen wirkte.

  • Keine Leistungskürzung bei unklar formulierten Mitwirkungspflichten

    Das Landessozialgericht Halle erinnert in drei aktuellen Beschlüssen daran, dass die Sanktionsnorm des § 1a Abs. 3 AsylbLG mit Blick auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG restriktiv auszulegen ist, und dass Leistungs- und Ausländerbehörden darum diverse Pflichten zur Klarstellung haben können, bevor sie einen Ausländer wegen der Verletzung einer Mitwirkungspflicht sanktionieren. Es könne im Einzelfall geboten sein, den Betroffenen bei Vorlage eines sonstigen Identitätspapiers im Original darüber zu informieren, ob hierdurch die Mitwirkungspflicht zur Identitätsklärung erfüllt sei oder nicht (Beschluss vom 30. Oktober 2025, Az. L 8 AY 26/25 B ER). Wenn sich bei einer Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung die konsularische Vertretung des Herkunftsstaates des Betroffenen im Ausland befinde und der zuständige Konsul nur gelegentlich nach Deutschland reise, sei die Ausländerbehörde verpflichtet, dem Ausländer hinreichend konkret aufzugeben, welche Dokumente er an welchem Ort vorlegen, beantragen oder auf sonstige, stets präzise erläuterte Art und Weise beschaffen solle (Beschluss vom 17. November 2025, Az. L 8 AY 10/25 B ER). Sei die Botschaft des Herkunftsstaates in der Bundesrepublik geschlossen, könne es im Einzelfall geboten sein, dass die Ausländerbehörde einen vollziehbar Ausreisepflichtigen hierüber informiere und konkret darlege, welches Verhalten von ihm verlangt werde (Beschluss vom 19. November 2025, Az. L 8 AY 21/25 B ER).

    Während es im Beschluss vom 30. Oktober um eine Klarstellung dahingehend ging, ob eine Handlung des Ausländers seine Mitwirkungspflicht erfüllt hatte oder nicht, bezogen sich die vom Gericht in den beiden anderen Verfahren geforderten Klarstellungen auf einen logisch früheren Zeitpunkt, nämlich den der Pflichtendefinition. Die Pflicht zur Klarstellung ist dann etwas wie eine Art Pflicht der Behörde, sich verständlich, präzise und konkret zu äußern. Was aber soll genau passieren, wenn eine Behörde dieser Pflicht nicht nachkommt? So ganz klar ist das dem Gericht dogmatisch wohl nicht, weil es in seinem Beschluss vom 17. November davon auszugehen scheint, dass der Ausländer dann keine Mitwirkungspflicht hat (Rn. 58: „[..] geht auch die Aufforderung [..] ins Leere.“), in seinem Beschluss vom 19. November aber mit Zurechnungsgesichtspunkten arbeitet (Rn. 65: „[..] kann eine Pflichtverletzung nicht dem Antragsteller zugerechnet werden.“)

  • Keine hohen Anforderungen an das Unterstützen terroristischer Vereinigungen

    An das Vorliegen des „Unterstützens“ einer den Terrorismus unterstützenden Vereinigung gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG sind nach wie vor keine hohen Anforderungen zu stellen, meint das Oberverwaltungsgericht Hamburg in seinem Beschluss vom 2. Oktober 2025 (Az. 6 Bs 81/25). Ein Unterstützen liege bei allen Verhaltensweisen vor, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirkten (Rn. 30). Sofern danach ein besonders schweres Ausweisungsinteresse vorliege, genügten reine Passivität oder bloßer Zeitverlauf für das Vorliegen eines „Abstandnehmens“ von einer früheren Unterstützung ebenso wenig wie ein bloßer „Rückzug in das Privatleben“, und trage der Ausländer die Darlegungslast für das Abstandnehmen (Rn. 46). In dem Verfahren ging es um einen iranischen Dozenten des inzwischen verbotenen Islamischen Zentrums Hamburg, der eine Niederlassungserlaubnis in Deutschland besaß und den die Ausländerbehörde wegen seiner Tätigkeit für das Zentrum ausgewiesen hatte, weil das Zentrum die terroristische Hisbollah unterstützt habe. Das Oberverwaltungsgericht lehnte den Antrag des Dozenten auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Ausweisung ab, weil er das Zentrum unter anderem durch seine Lehrtätigkeit im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG unterstützt habe und sich davon nicht ausreichend distanziert habe.

    Das Oberverwaltungsgericht stellt keine hohen Anforderungen an das Vorliegen von Unterstützungshandlungen, es soll etwa weder auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für die Ziele der unterstützten Vereinigung ankommen noch auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen, solange dem Ausländer seine Unterstützung bewusst ist, eine Ausnahme soll nur gelten, wenn die Unterstützung erkennbar nur auf einzelne Ziele der Vereinigung gerichtet ist, etwa auf humanitäre oder politische Ziele, die mit den terroristischen Zielen nicht im Zusammenhang stehen. Diese Definition des Unterstützens ist sehr weit und würde vermutlich auch den Hausmeister des Islamischen Zentrums zum Unterstützer im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG machen. In seinem Beschluss vom 23. November 2023 (Az. 6 Bs 111/23) hielt das Oberverwaltungsgericht es beispielsweise für ausreichend, in einem Online-Shop Honig und Kleidung zu erwerben, um den Tatbestand des Unterstützens zu erfüllen (dort Rn. 37). Die Konsequenz dieser sehr weiten Definition ist, dass man als betroffener Ausländer eine Ausweisung regelmäßig nur durch ein wirksames „Abstandnehmen“ abwenden kann, an die wiederum hohe Anforderungen gestellt werden, die der betroffene Ausländer im hier entschiedenen Verfahren aus Sicht des Gerichts auch nicht erfüllt hat.

  • Studienaufenthalt setzt Studiensanktionen voraus

    Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken nach § 16b Abs. 1 S. 1 AufenthG setzt voraus, dass der Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet für den Studienerfolg zwingend erforderlich ist, meint das Verwaltungsgericht Berlin in seinem Urteil vom 28. November 2025 (Az. 11 K 175/25). Dies sei nicht anzunehmen, wenn in dem betreffenden Studiengang die Prüfungen online absolviert werden könnten und die Lehrveranstaltungen zwar überwiegend in Präsenz angeboten würden, die Hochschule die Missachtung einer in einem Studienvertrag vereinbarten Teilnahmepflicht in Präsenz jedoch nicht mit studienbezogenen Sanktionen ahnde.

    Abgesehen von der vom Gericht nicht einmal gestellten Frage, ob nicht gerade die Nichtteilnahme an den von der Hochschule angebotenen Präsenzveranstaltungen den Studienerfolg gefährden könnte, versucht sich das Gericht an einer Auslegung des zwischen ausländischem Studierenden und deutscher (privater) Hochschule geschlossenen Studienvertrags, die allerdings etwas sehr einseitig gerät (Rn. 56). Einerseits moniert das Gericht, dass es mit Blick auf den hochschulrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit „überaus problematisch“ sein soll, im Studienvertrag lediglich solchen Studierenden eine Präsenzobliegenheit aufzuerlegen, die mit einem Visum zu Studienzwecken eingereist sind, andererseits fordert es selbst gerade (nur) für diese Gruppe „studienbezogene Sanktionen“. Wenn ich das Gericht richtig verstehe, müssen Hochschulen dann Sanktionen für alle Studierenden einführen, damit die Studierenden mit Visum in Deutschland studieren dürfen? Der „auf das Studium bezogene, sachliche Grund“, den das Gericht vermisst, ist doch gerade das vom Gericht aufgestellte Sanktionserfordernis nur für eine bestimmte Gruppe von Studierenden? Immerhin hat das Gericht wegen grundsätzlicher Bedeutung Berufung und Sprungrevision zugelassen, die Situation in Berlin scheint ohnehin dynamisch zu sein (siehe etwa hier und hier und hier).

  • Textausgabe Deutsches Migrationsrecht (nach der GEAS-Reform)

    Zuletzt aktualisiert am

    Es ist zu erwarten, dass der Deutsche Bundestag in den kommenden Wochen die beiden deutschen Umsetzungsgesetze zur GEAS-Reform von 2024 verabschieden wird, nämlich das GEAS-Anpassungsgesetz, und, gemeinsam mit dem Bundesrat, das GEAS-Anpassungsfolgengesetz. Diese Umsetzung wird zu umfangreichen Änderungen unter anderem…

  • GEAS-Reform 2024

    Zuletzt aktualisiert am

    Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) im Mai 2024 wird den Flüchtlingsschutz in Deutschland und Europa verändern, zumindest in unzähligen Details, vermutlich aber jedenfalls auf einer faktischen Ebene auch im Grundsätzlichen. Die GEAS-Reform soll im Juni 2026 in Kraft…

  • Aktuelle EuGH-Urteile vom 1.8.2025

    Zuletzt aktualisiert am

    Etwas zu spät für den HRRF-Newsletter an diesem Freitag hat der Europäische Gerichtshof heute Mittag drei Urteile zum europäischen Flüchtlingsrecht verkündet. Alle drei Urteile sind mittlerweile in deutscher Sprache verfügbar, zu zwei der drei Urteile gibt es außerdem deutschsprachige Pressemitteilungen…

ISSN 2943-2871