Ebenso wie unlängst das Verwaltungsgericht München (siehe HRRF-Newsletter Nr. 136) hält es das Verwaltungsgericht Hamburg in seinem Urteil vom 12. März 2024 (Az. 2 A 3543/22) für möglich, Abschiebungsandrohungen sowie Einreise- und Aufenthaltsverbote in bestandskräftigen Asylbescheiden anzugreifen, und zwar unter Berufung auf die beiden Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 15. Februar 2023 (Rs. C-484/22) und vom 8. Februar 2024 (Rs. C-216/22). Im Urteil vom 15. Februar 2023 hatte der EuGH entschieden, dass inlandsbezogene Abschiebungshindernisse in Form familiärer Bindungen bereits in dem Verfahren zu berücksichtigen seien, das zum Erlass einer Rückkehrentscheidung (d.h. hier: Abschiebungsandrohung) führe; im Urteil vom 8. Februar 2024, dass jedes EuGH-Urteil einen „neuen Umstand“ darstellen könne, der zur Zulässigkeit eines Asylfolgeantrags führe. Das Verwaltungsgericht meint, dass ein Asylfolgeantrag, in dem maßgeblich auf eine neue familiäre Beziehung zu deutschen Kindern abgestellt werde, als Antrag gemäß § 51 VwVfG auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung und des Einreise- und Aufenthaltsverbots aus dem bestandskräftigen Asylerstbescheid auszulegen sein könne, und dass der betroffene Antragsteller jedenfalls einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen solchen Antrag habe, wobei sich im Fall offensichtlicher Unrichtigkeit das Widerrufsermessen auf Null reduziere. Dagegen spreche auch nicht, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Asylfolgebescheid keine neue Abschiebungsandrohung erlassen habe.
Falls der Gesetzgeber mit der Neufassung von § 80 AsylG im Ende Februar in Kraft getretenen Rückführungsverbesserungsgesetz beabsichtigt haben sollte, die Reichweite des asylrechtlichen Beschwerdeauschlusses klarer als bislang zu regeln, so scheint ihm das einstweilen noch nicht gelungen zu sein. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim beschäftigt sich in seinem Beschluss vom 13. März 2024 (Az. 11 S 402/24) erneut (siehe zuletzt HRRF-Newsletter Nr. 135) mit den Auswirkungen der Neuregelung und erklärt, was an sich bereits im Gesetz steht, nämlich dass die Reichweite des Beschwerdeausschlusses nunmehr nicht ausschließlich davon abhängt, ob es sich um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt. Vielmehr greife der Beschwerdeausschluss mit der Neuregelung auch in bestimmten rein aufenthaltsrechtlichen Verfahren, nämlich wenn es um Anträge auf die Aussetzung von Abschiebungen geht, die auf Grundlage von § 34 AsylG angedroht bzw. auf Grundlage von § 34a AsylG angeordnet wurden.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bleibt für den Erlass einer Abschiebungsandrohung und eines Einreiseverbots auch noch nach der Rücknahme des Asylantrags zuständig, sagt das Oberverwaltungsgericht Greifswald in seinem Urteil vom 19. Februar 2024 (Az. 4 LB 179/23 OVG) und verweist dabei auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2009 (Az. 10 C 27.08). Der Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG sei nicht auf Fälle beschränkt, in denen das Bundesamt über den Asylantrag in der Sache entschieden habe, sondern erfasse vielmehr auch die Fälle, in denen es einer Sachentscheidung wegen der Rücknahme des Antrags nicht mehr bedürfe.
Wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Asylantrag in einem nationalen Erstverfahren als einfach unbegründet ablehnt, dann ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsandrohung rechtswidrig, meint das Verwaltungsgericht Berlin in seinem Beschluss vom 12. März 2024 (Az. 34 L 410/23 A). Bei der Ablehnung eines Asylantrags als einfach unbegründet habe die Klage gemäß §§ 38, 75 AsylG aufschiebende Wirkung, eine Rechtsgrundlage für die Anordnung der sofortigen Vollziehung kenne das Asylgesetz in einer solchen Konstellation nicht. Eine solche Anordnung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO würde außerdem gegen Europarecht verstoßen, weil Art. 46 Abs. 5 Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU den generellen Sukzessiveffekt von Rechtsbehelfen gegen asylrechtliche Entscheidungen regele und eine in Art. 46 Abs. 6 Verfahrensrichtlinie genannte Durchbrechung des Suspensiveffektes bei einer einfach unbegründeten Ablehnung eines Asylerstantrages nicht vorliege.
In Streitigkeiten betreffend die länderübergreifende Verteilung nach § 51 AsylG bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit auch dann nach § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO, wenn das danach zuständige Verwaltungsgericht einem anderen Land angehört als die Behörde, die nach § 51 Abs. 2 Satz 2 AsylG über den Antrag auf länderübergreifende Verteilung zu entscheiden hat, sagt das Bundesverwaltungsgericht in zwei Beschlüssen vom 5. Februar 2024 (Az. 1 AV 1.23) und vom 6. Februar 2024 (Az. 1 AV 2.23). Den Entscheidungen lag ein negativer Kompetenzkonflikt der Verwaltungsgerichte Gießen (Hessen) und Arnsberg (Nordrhein-Westfalen) zugrunde, die beide das jeweils andere Gericht für zuständig hielten; die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts leuchtet zwar nicht intuitiv ein, folgt aber wohl der Konzeption des Gesetzgebers. Den an sich gemäß § 83 Satz 1 VwGO, § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindenden Verweisungsbeschlüssen des Verwaltungsgerichts Gießen hat das BVerwG die Bindungswirkung abgesprochen, weil die Bindungswirkung bei „extremen Rechtsverstößen“ entfalle. Ein solcher extremer Rechtsverstoß liege hier vor, weil die vom VG Gießen vorgenommene einschränkende Auslegung des § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO offensichtlich unhaltbar sei.
Mit Beschluss vom 30. Januar 2024 (Az. 1 B 50.23) hat das Bundesverwaltungsgericht eine Nichtzulassungsbeschwerde in einem Verfahren zurückgewiesen, in dem die Erheblichkeit einer Datenbank mit Angaben zu angeblich vom syrischen Regime gesuchten Personen auf der Website „Zaman al-Wasl“ umstritten war. In seinem Beschluss vom 17. Januar 2024 (Az. 1 B 25.23) hat das Bundesverwaltungsgericht die Frage für nicht grundsätzlich klärungsbedürftig gehalten, ob bei einem bestehenden und weiterhin aktuellen Ausweisungsinteresse gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG für die Erteilung eines nationalen Visums zur Familienzusammenführung eine Ausnahme von der Regel anzunehmen oder das Ermessen gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG auf Null reduziert sei, wenn keine Ausweisung verfügt wurde und die Frist eines Einreise- und Aufenthaltsverbots gem. § 11 Abs. 1 AufenthG bei einer unterstellten Ausweisung bereits abgelaufen wäre.
Die NGO SOS Humanity berichtet in einer Pressemitteilung vom 19. März 2024 darüber, dass ein Zivilgericht in der italienischen Stadt Crotone (Kalabrien) am 18. März 2024 die Anfang März erfolgte Festsetzung ihres Seenotrettungsschiffes Humanity 1 für rechtswidrig erachtet und das Schiff freigegeben hat. Italienische Behörden hatten das Schiff nach einem Rettungseinsatz im Mittelmeer mit der Begründung festgesetzt, dass es eine gefährliche Situation für die Menschen in Seenot verursacht hätte. SOS Humanity argumentierte dagegen, dass allein das Eingreifen der libyschen Küstenwache in den bereits laufenden Rettungseinsatz zu der gefährlichen Situation geführt habe; dieser Ansicht hat sich das italienische Gericht nun offenbar angeschlossen.
Die Europäische Asylagentur (EUAA) hat Ausgabe 01/2024 ihres vierteljährlichen, thematisch gegliederten Updates zur Asylrechtsprechung in der Europäischen Union veröffentlicht, das auf 36 Seiten den Zeitraum Dezember 2023 bis Februar 2024 abdeckt.