Das Verwaltungsgericht Bremen äußert sich in seinen beiden Urteilen vom 16. Februar 2024 (Az. 3 K 320/22 und 3 K 2458/22) zu den Voraussetzungen für die Flüchtlingsanerkennung, wenn Schutzsuchende aus Afghanistan Familienangehörige haben, die sich noch in Afghanistan aufhalten, früher für die Sicherheitskräfte tätig waren und von den Taliban gesucht oder verfolgt werden. Wenn solche Familienangehörige von den Taliban gesucht würden (so der Sachverhalt im Verfahren 3 K 320/22), sei davon auszugehen, dass Schutzsuchenden durch die Taliban eine oppositionelle politische Überzeugung unterstellt werde und flüchtlingsschutzrelevante Verfolgungshandlungen drohten, weil die Taliban Familienangehörige gesuchter Personen häufig als Druckmittel verwendeten. Darauf, ob die Schutzsuchenden einer bestimmten sozialen Gruppe zugeordnet werden könnten, käme es dabei nicht an. Wenn solche Familienangehörige von den Taliban jedoch bereits gefasst und inhaftiert worden seien (so der Sachverhalt im Verfahren 3 K 2458/22), sei ein Verfolgungsinteresse der Taliban, etwa gemäß dem Prinzip der Sippenhaft, nicht mehr ersichtlich.
Die Aufnahmeverweigerung Italiens für auf Grundlage der Dublin-III-Verordnung zu überstellende Personen kann allein eine Gefahr eines Verstoßes Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK nicht begründen, sondern allenfalls als Indiz gewertet werden, meint die 22. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf in ihrem in einem Eilverfahren ergangenen Beschluss vom 20. März 2024 (Az. 22 L 497/24.A). Das ist insofern spannend, als das Oberverwaltungsgericht Münster das anders sieht (siehe etwa HRRF-Newsletter Nr. 101 und Nr. 136) und die Frage unlängst, nämlich mit Beschluss vom 14. Februar 2024 (Az. 11 A 1255/22.A) dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt hat. Dieses Vorabentscheidungsverfahren, so das VG Düsseldorf, habe in Hinblick auf die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge keine Auswirkungen auf die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, weil eine noch mangelnde unionsrechtliche Klärung nur dann ein Überwiegen des Suspensivinteresses des Antragstellers zu begründen vermöge, wenn besondere, in der Person des Antragstellers liegende Gründe die Rücküberstellung nach Italien und das Betreiben des Hauptsacheverfahrens in Deutschland von dort aus unzumutbar erscheinen ließen. Die vom Bundesamt erlassene Abschiebungsanordnung sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot seien dagegen offensichtlich rechtswidrig, weil gegenwärtig nicht im Sinne von § 34a Abs. 1 S. 1 AsylG feststehe, dass eine Überstellung des Antragstellers nach Italien durchgeführt werden könne.
Das Verwaltungsgericht Schleswig hält in seinem Beschluss vom 12. März 2024 (Az. 11 B 20/24) nichts von einer gegenüber einem Ausländer erlassenen zeitlich unbefristeten Anordnung gemäß § 46 Abs. 1 AufenthG, wonach der Ausländer sich zu bestimmten Tageszeiten in seiner Wohnung aufzuhalten bzw. seine Abwesenheit rechtzeitig anzuzeigen hat. Eine solche zeitlich unbefristete Verpflichtung stehe erkennbar außer Verhältnis zu dem verfolgten Zweck einer Dublin-Überstellung. Zwar sei die Anordnung durch die Ausreise aus dem Bundesgebiet auflösend bedingt, allerdings würde die Anordnung unendlich fortbestehen, wenn der Antragsteller nicht überstellt werde oder freiwillig ausreise, selbst dann, wenn eine Überstellung gar nicht mehr möglich sei, etwa, weil die Überstellungsfrist verstrichen sei. Soweit dagegen vorgetragen worden sei, dass eine Begrenzung auf die grundsätzlich sechs Monate betragende Überstellungsfrist im Vorwege nicht möglich sei, weil sich die Überstellungsfrist im Einzelfall verlängern könnte, könne dem nicht gefolgt werden. Es sei noch gar nicht absehbar, ob sich die Überstellungsfrist verlängern würde und es wäre ohne weiteres möglich, die Anordnung zunächst zu befristen und später zu verlängern, sollte sich die Überstellungsfrist verlängern. Die Anordnung sei darüber hinaus vermutlich auch zu unbestimmt, weil sie dem Ausländer aufgebe, seine geplante Abwesenheit täglich bis 12 Uhr mitzuteilen. Hier fehle eine Regelung für den Fall, dass dem Ausländer eine Anzeige bis 12 Uhr nicht möglich sei, weil er sich z.B. erst später entscheide, weil er die geforderten Daten nicht lückenlos angeben könne oder weil die Behörde an dem betreffenden Tag geschlossen und telefonisch nicht erreichbar sei und dem Antragsteller keine anderen Kommunikationsmöglichkeiten zur Verfügung stünden.
Wer kennt es nicht: Die Ausländerbehörde will eigentlich nur eine einstweilige Anordnung auf vorläufige Freiheitsentziehung gemäß § 427 FamFG erreichen, das Haftgericht ordnet aber irrtümlich Haft in der Hauptsache an. So passiert in dem Verfahren, in dem der Bundesgerichtshof jetzt mit Beschluss vom 5. Dezember 2023 (Az. XIII ZB 14/21) klargestellt hat, dass ein solcher irrtümlicher Haftbeschluss die Durchführung eines weiteren Haftanordnungsverfahrens nicht hindert. Eine Haftentscheidung im Verfahren der einstweiligen Anordnung entfalte keine Sperrwirkung für die Einleitung des Hauptsacheverfahrens, das gelte auch dann, wenn das zunächst mit dem Verfahren befasste Haftgericht in Verkennung der Reichweite des dort gestellten Haftantrags statt einer vorläufigen Freiheitsentziehung eine Haftanordnung in der Hauptsache erlasse. Das Hauptsacheverfahren bleibe zulässig, weil eine Haftanordnung nicht in materielle Rechtskraft erwachsen könne.
Die anhaltende Veränderung der Sicherheitslage in einem Zielstaat infolge eines neu ausgehandelten Waffenstillstandes stellt eine sachliche Rechtfertigung für ein Abwarten mit einer asylgerichtlichen Entscheidung dar, sagt das Oberverwaltungsgericht Schleswig in seinem Beschluss vom 22. Februar 2024 (Az. 4 P 11/23 EK), so dass dann eben keine Entschädigung für eine überlange gerichtliche Verfahrensdauer gemäß § 173 S. 2 VwGO, § 198 GVG zu zahlen ist. In Anbetracht der sich verändernden Lage im Jemen und der daraus gefolgten Änderung der Kammerrechtsprechung des mit dem Verfahren befassten Verwaltungsgerichts sei es nachvollziehbar und sachlich gerechtfertigt gewesen, dass das Gericht für die Dauer der Waffenruhe zwischen März 2022 und Oktober 2022 und mithin für einen Zeitraum von ca. acht Monaten von einer Entscheidung abgesehen habe, um zunächst den Verlauf des innerstaatlichen Konflikts abzuwarten. Nachdem dieser beendet gewesen sei, sei es wiederum gehalten gewesen, zur Findung einer neuen Kammerlinie zunächst die Auswirkungen der Waffenruhe auf den Konflikt abzuwarten und durch die Zusammenstellung, Sichtung, Aus- und Bewertung neuerer Erkenntnismittel eine neue Einschätzung zur Sicherheitslage im Jemen vorzunehmen, was es vorliegend auch getan habe, um schließlich im März 2023 zu einer neuen Entscheidungspraxis zu gelangen. Vor diesem Hintergrund sei eine unangemessene Verzögerung des Asylklageverfahrens nicht festzustellen, und stellten Bitten um Verfahrensförderung und Sachstandsanfragen kein Kriterium für eine vorrangige Bearbeitung dar. Auch keine Entschädigung gibt es übrigens, wenn eine Verzögerung keine Ursache im Bereich der Gerichte hat, sondern durch die Beteiligten selbst verursacht worden ist. In dem der Entschädigungsklage zugrundeliegenden gerichtlichen Verfahren waren auf Seiten der Schutzsuchenden immerhin drei Rechtsanwälte involviert, die zum Teil parallel Klagen erhoben und zeitgleich unterschiedliche Prozesserklärungen abgegeben hatten. Das asylgerichtliche Verfahren dauerte insgesamt 43 Monate, von denen letztlich noch vier Monate unangemessen langer Verfahrensdauer und damit eine Entschädigung in Höhe von 400 Euro pro Kläger übrig blieben.
Im Verfassungsblog berichtet Anne-Marlen Engler über die zweitinstanzlichen griechischen Strafprozesse gegen die „Moria 4“, denen vorgeworfen wird, den Brand im Flüchtlingslager Moria gelegt zu haben, der das Lager im September 2020 weitgehend zerstört hatte. Das Legal Centre Lesvos kennt die Hintergründe des Verfahrens, in dem die vier Angeklagten in erster Instanz unter fragwürdigen Verfahrensumständen zu jeweils zehn Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden waren.