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Ausgabe 191 • 11.4.2025

Gute Gesetzgebung

Kaum ist der Koalitionsvertrag zur Bildung einer neuen Bundesregierung unterschrieben, da wird auch schon die migrationspolitische Kompetenz der Verhandler angezweifelt. In der Tat fragt man sich nach der Lektüre, was mit so einem Text außer Symbolpolitik und damit einhergehender Suggestion politischer Handlungsfähigkeit eigentlich bezweckt werden soll. So sollen etwa asylgerichtliche Verfahren weiter beschleunigt werden (Zeilen 3087ff.), „Rechtsmittelzüge“ in den Blick genommen werden (Zeile 3089) und soll die Einrichtung von „besonderen Verwaltungsgerichten für Asylrechtssachen“ ermöglicht werden (Zeile 3090). Viel gravierender ist allerdings die angeblich auf den sächsischen Ministerpräsidenten zurückgehende Aussage, dass der Amtsermittlungsgrundsatz im Asylrecht durch den Beibringungsgrundsatz ersetzt werden müsse (Zeilen 3090f.) - dazu ist eigentlich schon alles gesagt worden, nämlich etwa von Winfried Kluth, Thomas Oberhäuser, Maximilian Pichl, Matthias Lehnert oder von Pro Asyl. Es ist vor diesem Hintergrund einmal mehr unfreiwillig komisch, wenn im Koalitionsvertrag parallel die Bedeutung guter Gesetzgebung (Zeile 1865) betont wird. Wir werden mit diesem Vertrag bestimmt noch viel Freude haben.

Dublin-Verfahren usw.

Bundesverfassungsgericht rügt unsubstantiierte Dublin-Verfassungsbeschwerde

In einem Beschluss vom 1. April 2025 (Az. 2 BvR 1425/24) hat das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, in der sich ein in Griechenland anerkannter Flüchtling gegen eine verwaltungsgerichtliche Eilentscheidung gewandt hatte, die die Ablehnung seines in Deutschland gestellten Asylantrags als unzulässig und die Androhung seiner Abschiebung nach Griechenland für rechtmäßig hielt und Eilrechtsschutz nicht gewährte. Der Beschwerdeführer habe, so das Bundesverfassungsgericht, bereits zwei Erkenntnismittel nicht vorgelegt und auch sonst einen möglichen Grundrechtsverstoß durch die verwaltungsgerichtliche Entscheidung nicht substantiiert vorgetragen. Um dabei einigen Missverständnissen vorzubeugen, die in Medienberichten (etwa hier) suggeriert werden: Das Bundesverfassungsgericht hat nicht entschieden, dass Schwarzarbeit in Griechenland eine zumutbare Erwerbssicherung ist, und auch nicht, dass drohende Obdachlosigkeit verfassungs- oder menschenrechtlich unbedenklich wäre, sondern nur, dass die Verfassungsbeschwerde zu beiden Fragen nicht ausreichend vorgetragen hat.

So kleinteilig die Kritik des Bundesverfassungsgerichts an der Verfassungsbeschwerde auch wirkt, so hilfreich ist sie möglicherweise, um daraus zwei (nicht wirklich neue) Lehren für die Formulierung von Verfassungsbeschwerden zu ziehen: (1) Es müssen alle relevanten Dokumente vorgelegt oder inhaltlich wiedergegeben werden, deren Kenntnis für die Einschätzung erforderlich ist, ob die Verfassungsbeschwerde Erfolg haben kann. Das gilt auch für öffentlich zugängliche Quellen, und das gilt insbesondere für Erkenntnismittel, die in der angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung herangezogen wurden. In dem Verfahren hatte der Beschwerdeführer u.a. einen (öffentlich zugänglichen) UNHCR-Bericht nicht vorgelegt, was das Bundesverfassungsgericht rügte. (2) Es muss präzise und stringent argumentiert werden, dass, und warum, die angegriffene verwaltungsgerichtliche Entscheidung unions- oder verfassungswidrig ist. So hatte der Beschwerdeführer etwa argumentiert, dass Begriff und Zumutbarkeit von Schwarzarbeit in der Fachgerichtsbarkeit ungeklärt seien, woraus er offene Erfolgsaussichten seiner Klage ableitete und eine Verletzung des Gebot effektiven Rechtsschutzes geltend machte. Das Bundesverfassungsgericht verwies dazu nur knapp auf bestehende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die der Beschwerdeführer nicht angegriffen habe und deren Unions- oder Verfassungswidrigkeit darum nicht vorgetragen worden sei.

Das Gericht informiert in einer Pressemitteilung über seine Entscheidung.

Menschenrechtsschutz

EuGH-Generalanwalt schlägt Beweislastumkehr in Pushback-Fällen vor

Im Verfahren über eine Schadensersatzklage gegen die EU-Grenzschutzagentur Frontex (Rs. C-136/24 P) wegen eines rechtswidrigen Pushbacks im April 2020 hat der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof in seinen Schlussanträgen vom 10. April 2025 vorgeschlagen, mit dem Instrument der Beweislastumkehr zu arbeiten. Wenn eine eindeutige oder strukturelle Asymmetrie hinsichtlich des Zugangs zu Beweismitteln bestehe, dann müsse es ausreichen, wenn der Kläger lediglich einen Anscheinsbeweis erbringe, dass er Opfer eines Pushbacks geworden sei. Eine Nichtumkehr der Beweislast würde dem Kläger nämlich seine durch das Unionsrecht geschützten Rechte nehmen, insbesondere das in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht. Fraglich sei nur, ob diese Grundsätze nicht nur bei Klagen gegen EU-Mitgliedstaaten, sondern auch bei Klagen gegen die EU-Grenzschutzagentur Frontex anzuwenden seien, weil Frontex nur begrenzte Befugnisse habe. Der Gerichtshof hat zu den Schlussanträgen auch eine Pressemitteilung veröffentlicht.

Menschenrechtsschutz

Menschenrechtsgerichtshof erlässt vorläufige Maßnahme gegen Polen

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat einem Bericht im Internet zufolge Polen am 10. April 2025 mit einer vorläufigen Maßnahme gemäß Art. 39 seiner Verfahrensordnung dazu verpflichtet, einen an der polnisch-belarussischen Grenze gestrandeten Schutzsuchenden nach Polen einreisen zu lassen. Polen hatte die Entgegennahme von Schutzgesuchen an der polnisch-belarussischen Grenze Ende März 2025 mit der Begründung ausgesetzt, dass Schutzsuchende instrumentalisiert würden und dass dies eine ernsthafte und tatsächliche Bedrohung für die Sicherheit des Staates oder der Gesellschaft darstelle (siehe hier und hier).

Asylverfahrensrecht

Sicherer Herkunftsstaat - ja, aber

Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof argumentiert in seinen Schlussanträgen vom 10. April 2025 (Rs. C-758/24 u. C-759/24), dass die Bestimmung eines Herkunftsstaats als sicherer Herkunftsstaat in einem EU-Mitgliedstaat durch eine Dokumentation der der Bestimmung zugrundeliegenden Informationsquellen begleitet werden muss, die es nationalen Gerichten ermöglicht, die Rechtmäßigkeit der Bestimmung nachzuprüfen. Sofern der nationale Gesetzgeber diese Informationsquellen nicht offenlege, könnten nationale Gerichte die Rechtmäßigkeit einer solchen Bestimmung auf der Grundlage von Informationsquellen prüfen, die sie in Übereinstimmung mit der EU-Asylverfahrensrichtlinie selbst zusammengetragen hätten. Außerdem solle es möglich sein, so der Generalanwalt, einen Herkunftsstaat nur für bestimmte Personengruppen als sicher zu bestimmen, sofern nur die rechtliche und politische Situation des Herkunftsstaats grundsätzlich durch ein demokratisches Regime charakterisiert sei. Der Europäische Gerichtshof hat zu den Schlussanträgen auch eine Pressemitteilung veröffentlicht; in dem Verfahren geht es um die Bestimmung von Bangladesch als sicheren Herkunftsstaat durch den italienischen Gesetzgeber.

Dublin-Verfahren usw.

Ungeklärte Reichweite einer ausländischen Flüchtlingsanerkennung

Der Verwaltungsgerichtshof München hält in seinem Beschluss vom 17. März 2025 (Az. 5 ZB 24.30431) die Frage für ungeklärt und grundsätzlich bedeutsam, ob eine Flüchtlingsanerkennung durch einen anderen EU-Mitgliedstaat auch dann ein Abschiebungsverbot für den Herkunftsstaat des Flüchtlings nach § 60 Abs. 1 S. 2 AufenthG begründet, wenn eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ausgeschlossen ist und daher eine volle Sachprüfung erfolgt, und will diese Frage in einem Berufungsverfahren klären. Sofern das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aus europarechtlichen Gründen für eine teleologische Reduktion der Norm plädiere, sei für das Gericht jedenfalls bislang nicht ohne weiteres ersichtlich, inwiefern eine nationale Verpflichtung zur wegen § 60 Abs. 10 S. 2 AufenthG erforderlichen sogenannten „negativen Staatenbezeichnung“ gegen europarechtliche Garantien verstoßen solle. Umgekehrt stelle sich nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 18. Juni 2024 (Rs. C-352/22) die Frage, ob die vom Verwaltungsgericht und weiterer erstinstanzlicher Rechtsprechung vor allem mit Erwägungen des nationalen Gesetzgebers begründete teleologische Reduktion des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht europarechtlich unzulässig sei.

Aufenthaltsrecht

Doch keine Fristhemmung beim Kindernachzug?

Es kommt selten vor, dass ein Verwaltungsgericht ausdrücklich von aktueller Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweicht, weil es sie für falsch hält, aber es kommt vor, und so hält das Verwaltungsgericht Berlin in seinem Urteil vom 26. März 2025 (Az. 18 K 155/24 V) offenbar nichts vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. August 2024 (Az. 1 C 9.23), in dem unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs davon ausgegangen worden war, dass die Frist für die Visumantragstellung beim Kindernachzug zu einem als Flüchtling anerkannten Elternteil nicht zu laufen beginne, bevor das nachzugswillige Kind volljährig geworden sei. Das, so das Verwaltungsgericht, sei falsch gewesen, weil sich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur „Fristhemmung“ auf eine andere Konstellation bezogen hätte, nämlich den Elternnachzug zu einem als Flüchtling anerkannten Kind, und nicht auf den Kindernachzug zu einem als Flüchtling anerkannten Elternteil. Eine Übertragung der EuGH-Rechtsprechung auf diese Konstellation sei jedenfalls im entschiedenen Verfahren nicht geboten, weil die Klägerin, nachdem ihrem Vater die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei, bis zum Eintritt ihrer Volljährigkeit über eineinhalb Jahre lang Zeit gehabt hätte, einen Visumantrag zu stellen. Einer pauschalen Frist von drei weiteren Monaten für die Visumantragstellung nach Eintritt der Volljährigkeit bedürfe es in der Konstellation des Kindernachzuges zum anerkannten Flüchtling darum nicht. Immerhin hat das Verwaltungsgericht sowohl die Berufung als auch die Sprungrevision zugelassen.

Aufenthaltsrecht

Neues vom abgeleiteten Aufenthaltsrecht

Ein Drittstaatsangehöriger, der Elternteil eines Unionsbürgers ist, hat im Aufnahmemitgliedstaat ein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate, sofern er nachweist, dass ihm sowohl in seinem Herkunftsland zu dem Zeitpunkt, als er dieses verlassen hat, als auch zu dem Zeitpunkt der Beantragung der Aufenthaltskarte von diesem Unionsbürger Unterhalt gewährt wird, wenn zwischen diesen beiden Zeitpunkten mehrere Jahre vergangen sind, sagt der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 10. April 2025 (Rs. C-607/21), zu dem er auch eine Pressemitteilung veröffentlich hat. Das abgeleitete Aufenthaltsrecht dürfe dem Drittstaatsangehörigen, der diese Voraussetzung erfülle, weder mit der Begründung versagt werden, dass er sich zum Zeitpunkt der Beantragung der Aufenthaltskarte nach den nationalen Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats dort illegal aufhalte, noch mit der Begründung, dass in der Vergangenheit ausgestellte Dokumente zum Nachweis der Unterhaltsgewährung veraltet seien.

Aufnahmebedingungen

Leistungseinstellung mit Tücken

Wer sich schon immer gefragt hat, wie viele Fehler in einem sozialrechtlichen Bescheid über die Einstellung von Leistungen auf Grundlage des neuen § 1 Abs. 4 AsylbLG, d.h. wegen der Zuständigkeit eines anderen Dublin-Staats, eigentlich möglich sind, der möge einen Blick in den Beschluss des Sozialgerichts München vom 4. April 2025 (Az. S 52 AY 11/25 ER) werfen. Das Gericht bemängelte unter anderem eine fehlende Anhörung, eine verbotene Rückwirkung der Leistungseinstellung, einen Ermessensnichtgebrauch, eine Doppelgewährung von Leistungen und ging außerdem davon aus, dass weder die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 AsylbLG vorlägen, weil der Betroffene Inhaber einer Duldung sei, noch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AsylbLG, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht festgestellt habe, dass eine Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich sei. Dass in dem Bescheid sowohl Kroatien als auch Griechenland als zuständige Dublin-Staaten genannt wurden, spielte dann keine Rolle mehr, ebenso wenig wie die vermutliche Unions- und Verfassungswidrigkeit von § 1 Abs. 4 AsylbLG.

Aufenthaltsrecht

Chancen-Aufenthalt auch für Minderjährige

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Volltext seines Urteils vom 27. Februar 2025 (Az. 1 C 13.23) veröffentlicht, über das es bislang nur in einer Pressemitteilung berichtet hatte und in dem es entschieden hat, dass eine Chancen-Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 1 AufenthG auch Minderjährigen erteilt werden kann, die zudem vom Erfordernis eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung befreit sind, wenn sie das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Siehe zu diesem Urteil bereits HRRF-Newsletter Nr. 185.

Aufenthaltsrecht

Feststellungsklage gegen Binnengrenzkontrolle in zweiter Instanz erfolgreich

Der Verwaltungsgerichtshof München hat den Volltext seines Urteils vom 17. März 2025 (Az. 10 BV 24.700) veröffentlicht, in dem er entschieden hat, dass die Personenkontrolle eines österreichischen Staatsbürgers an der deutsch-österreichischen Grenze im Juni 2022 rechtswidrig war. Der Verwaltungsgerichtshof hat zu diesem Urteil auch eine Pressemitteilung veröffentlicht, der HRRF-Newsletter hatte bereits in Ausgabe Nr. 188 berichtet, eine Urteilsbesprechung findet sich im Verfassungsblog.

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