Der in dieser Einleitung zur Verfügung stehende Platz soll heute ausnahmsweise nicht dazu verwendet werden, um auf die (zahlreichen) wichtigen Entscheidungen der Woche hinzuweisen. Stattdessen geht es um die HRRF-Website, die in dieser Woche nicht nur sozusagen runderneuert wurde, damit sie noch mehr Inhalte und viele weitere Newsletter-Ausgaben verträgt, sondern auch ein paar spannende neue Features spendiert bekommen hat. Ab jetzt nämlich werden die Beiträge, die jeden Freitag im Newsletter auftauchen, schon im Laufe der Woche auf der Website erscheinen, weil ich sie ohnehin schon während der Woche schreibe – dann kann ich sie auch gleich veröffentlichen. Diese Beiträge finden sich sowohl auf der Startseite als auch in einer neuen Nachrichten-Rubrik, und dann eben (wie schon bislang) jeden Freitag im Newsletter. Außerdem hat die HRRF-Website ab jetzt eine Kommentarfunktion, damit nicht mehr nur ich kommentieren muss, sondern Sie auch kommentieren (und natürlich Fragen stellen) können, wenn Sie denn wollen. Hoffentlich finden Sie das alles genauso gut wie ich.
Verwaltungsgericht Berlin stoppt Zurückweisungen
Das Verwaltungsgericht Berlin berichtet in einer Pressemitteilung vom 2. Juni 2025 über seine drei Eilbeschlüsse vom selben Tag (Az. VG 6 L 191/25, VG 6 L 192/25 und VG 6 L 193/25), in denen es die Zurückweisung von Schutzsuchenden an den deutschen Grenzen für rechtswidrig hält. Deutschland müsse Schutzsuchenden die Einreise gestatten, damit ein Dublin-Verfahren durchgeführt werden könne, und könne sich weder auf den von der Dublin-III-Verordnung verdrängten § 18 AsylG noch auf die Ausnahmeregelung des Art. 72 AEUV berufen. Eine Vorwegnahme der Hauptsache durch das Eilverfahren sei gerechtfertigt, weil sich die Zurückweisung an der Grenze mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig erweisen werde. Die Betroffenen könnten allerdings nicht verlangen, über den bloßen Grenzübertritt hinaus in das Bundesgebiet einzureisen, weil ein Dublin-Verfahren an der Grenze oder im grenznahen Bereich durchgeführt werden könne.
Die drei Beschlüsse des Verwaltungsgericht sind jeweils umfangreich, sehr lesenswert und leicht auf weitere Verfahren übertragbar. Wo vor diesem Hintergrund die aus Sicht des Bundeskanzlers noch verbleibenden Spielräume sein sollen, um auch weiterhin an den deutschen Grenzen zurückzuweisen, ist wohl nur für die Bundesregierung klar. Es wird bereits auf eine mögliche strafrechtliche Verantwortlichkeit von Polizeibeamten und Innenminister hingewiesen, wenn sie auch nach weiteren Eilbeschlüssen an der Grenze zurückweisen (lassen), weil spätestens dann für einen Verbotsirrtum nur noch wenig Raum verbleiben würde.
OVG Münster zu den italienischen Dublin-Rundschreiben
In seinem Urteil vom 9. Mai 2025 (Az. 11 A 1756/24.A) meint das Oberverwaltungsgericht Münster nicht nur, dass Eilrechtsschutz in Dublin-Fällen den Lauf der Dublin-Überstellungsfrist immer unterbricht, sondern auch, dass die faktische Aussetzung von Rücküberstellungen durch Italien allein nicht dazu führt, dass eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 S. 1 AsylG rechtswidrig ist. Der Europäische Gerichtshof gehe davon aus, dass es während der Dauer der aufschiebenden Wirkung eines gegen eine Überstellungsentscheidung eingelegten Rechtsbehelfs unmöglich sei, eine Überstellung vorzunehmen, weshalb die hierzu vorgesehene Frist in diesem Fall erst zu laufen beginne, wenn die aufschiebende Wirkung ende, und zwar unabhängig von der Begründung des die aufschiebende Wirkung anordnenden Beschlusses. Die beiden italienischen Dublin-Rundschreiben von Dezember 2022 änderten außerdem nichts daran, dass im Sinne von § 34a Abs. 1 S. 1 AsylG feststehe, dass eine Dublin-Überstellung durchgeführt werden könne. Sie konstituierten insbesondere kein Abschiebungshindernis, vielmehr seien diese Erklärungen dem Überstellungsverfahren gemäß Art. 29ff. Dublin-III-VO zuzuordnen. Insofern habe auch vor dem Hintergrund dieser Schreiben zunächst eine Koordination möglicher Überstellungstermine zu erfolgen und führe gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO erst die Nichtüberstellung innerhalb einer Frist von sechs Monaten zu einem Zuständigkeitsübergang.
Man konnte wohl damit rechnen, dass das Oberverwaltungsgericht von einer Unterbrechung der Überstellungsfrist nach Eintritt der aufschiebenden Wirkung einer Klage ausgehen würde. Dass aber die Abschiebungsandrohung rechtmäßig sein soll, übersieht möglicherweise den sprachlichen Gleichlauf zwischen Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO („sobald dies praktisch möglich ist“) und § 34a Abs. 1 AsylG („sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann“). Das Oberverwaltungsgericht sagt ausdrücklich (Rn. 105), dass sich die italienische Weigerungshaltung schon nicht auf das Vorliegen der praktischen Möglichkeit der Überstellung auswirken soll, weil nämlich erst der Ablauf der Überstellungsfrist zu einem Zuständigkeitsübergang führe. Die Verwendung des Worts „sobald“ in Art. 29 Dublin-III-VO legt allerdings ein anderes Verständnis nahe, nämlich dass eine Überstellung zu Beginn der Überstellungsfrist praktisch noch nicht möglich ist (weil nämlich die Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten noch nicht stattgefunden haben wird) – dann kann aber auch noch nicht im Sinne von § 34a AsylG feststehen, dass die Überstellung durchgeführt werden kann.
Elterliche Obhut schlägt Beihilfe zur unerlaubten Einreise
Mitgliedstaaten dürfen es nicht als Beihilfe zur unerlaubten Einreise unter Strafe stellen, wenn Schutzsuchende gemeinsam mit ihrer Obhut unterstehenden Kindern unerlaubt einreisen, sagt der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 3. Juni 2025 (Rs. C-460/23). Eine gegenteilige Auslegung würde zu einem besonders schweren Eingriff in das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens und in die Grundrechte des Kindes führen, die in den Art. 7 und 24 GRCh verankert seien; der Eingriff ginge so weit, dass der Wesensgehalt dieser Grundrechte verletzt würde. Das gemäß Art. 18 GRCh geschützte Recht auf Asyl wäre ebenso verletzt, wenn Mitgliedstaaten eine unerlaubte Einreise unter Verstoß gegen Art. 31 GFK strafrechtlich verfolgen würden, und weil Personen, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hätten, grundsätzlich nicht als illegal aufhältig angesehen werden könnten, solange über ihren Antrag nicht erstinstanzlich entschieden wurde, und auch keine strafrechtlichen Sanktionen gegen sie verhängt werden könnten. Der Gerichtshof hat zu seinem Urteil auch eine Pressemitteilung veröffentlicht.
Die spannende Frage nach diesem Urteil ist, in welchem Umfang die Erwägungen des Gerichtshofs zur Ausstrahlungswirkung gerade von Art. 18 GRCh auf weitere Szenarien angewendet werden können, in denen die unerlaubte Einreise von Schutzsuchenden in EU-Staaten derzeit strafrechtlich verfolgt wird. Zu denken ist dabei nicht nur an die griechische Praxis der Strafverfolgung nach unerlaubter Einreise, sondern etwa auch an den derzeit in den EU-Institutionen verhandelten Vorschlag der Europäischen Kommission von 2023 für eine Neufassung der EU-Richtlinie zur Verhinderung und Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt in der Union.
Begriff des Folgeantrags unklar
Setzt der Begriff des Folgeantrags eigentlich voraus, dass zuvor, d.h. in einem früheren Asylverfahren, eine inhaltliche Prüfung des Schutzbegehrens stattgefunden hat? Und kommt es darauf an, ob das frühere Asylverfahren in Deutschland durchgeführt wurde? So richtig klar ist das in der Rechtsprechung alles nicht, weil die in § 71 Abs. 1 S. 1 AsylG enthaltene Legaldefinition solche Voraussetzungen nicht nennt, einige Gerichte sie aber dennoch annehmen.
So geht etwa die 23. Kammer des Verwaltungsgerichts Köln in ihrem Beschluss vom 20. Mai 2025 (Az. 23 L 1186/25.A) davon aus, dass die EU-Asylverfahrensrichtlinie ein Begriffsverständnis verwendet, das eine vorherige inhaltliche Prüfung impliziert, und dass dieses Verständnis auch für die Auslegung von § 71 AsylG anzuwenden sei. Offenbar meint die Kammer dabei, dass die vorherige inhaltliche Prüfung des Schutzbegehrens gerade in Deutschland stattgefunden haben muss und dass eine zuvor erfolgte Anerkennung in einem anderen EU-Staat irrelevant ist, so dass die vorherige Ablehnung eines in Deutschland gestellten Asylantrags eben wegen der Anerkennung in dem anderen EU-Staat mangels inhaltlicher Prüfung gerade in Deutschland nicht dazu führt, den zweiten in Deutschland gestellten Asylantrag als Folgeantrag zu behandeln. Genau anders herum sieht es aktuell die 25. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf in ihrem Beschluss vom 23. Mai 2025 (Az. 25 L 1561/25.A), für die es irrelevant ist, ob der erste in Deutschland gestellte Asylantrag inhaltlich geprüft wurde oder nicht, weil die Auffassung, den Begriff des Folgeantrags einschränkend auszulegen, im Wortlaut des § 71 AsylG ausdrücklich keine Stütze finde.
Beide Gerichte zitieren jeweils zahlreiche Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte, die die Frage so oder so beurteilen. Spätestens das Inkrafttreten der GEAS-Reform dürfte die Rechtslage klären, weil die Definition der „unanfechtbaren Entscheidung“ in Art. 3 Nr. 8 Asylverfahrens-Verordnung 2024/1348, auf die sowohl die in Art. 3 Nr. 19 der Verordnung enthaltene Definition des Begriffs des Folgeantrags als auch die Regelung über Folgeanträge in Art. 55 Abs. 2 der Verordnung verweisen, anders als im noch geltenden europäischen Recht ausdrücklich auch bloß formale Entscheidungen einschließt, bei denen keine inhaltliche Prüfung des Schutzbegehrens stattgefunden hat.
Unwirksame Eheschließung auch bei Eheanerkennung in anderem EU-Staat
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf berichtet in einer Pressemitteilung vom 3. Juni 2025 über sein noch nicht im Volltext vorliegendes Urteil vom selben Tag (Az. 27 K 5400/23), in dem es die Ableitung aufenthaltsrechtlicher Ansprüche in Deutschland aus einer nach deutschem Recht unwirksam geschlossenen Ehe ablehnt, selbst wenn ein anderer EU-Staat (hier: Bulgarien) die Eheschließung anerkannt hat. Es ging in dem Verfahren um eine von Deutschland aus in Utah (USA) geschlossene Online-Ehe eines Türken und einer Bulgarin, eine Pflicht zur Anerkennung der Ehe nach EU-Recht hat das Gericht ebenfalls verneint.
Das Urteil hat zur Folge, dass Bulgarien den türkischen Ehemann als Familienangehörigen einer EU-Bürgerin betrachtet, während Deutschland das nicht tut. Der Fall führt in die Tiefen des Internationalen Privatrechts (siehe zur Online-Ehe zuletzt HRRF-Newsletter Nr. 171), ob es aber europarechtlich richtig sein kann, dass eine Ehe in verschiedenen Mitgliedstaaten gleichzeitig für wirksam und für unwirksam gehalten wird, halte ich für fraglich. Das Verwaltungsgericht hat den (vermeintlichen) Eheleuten offenbar den Hinweis mit auf den Weg gegeben, dass sie doch einfach in Deutschland unter Einhaltung der deutschen Ehevorschriften noch einmal heiraten könnten.
Kein Elternnachzug nach Einbürgerung
In einer Pressemitteilung vom 3. Juni 2025 berichtet das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg über sein noch nicht im Volltext vorliegendes Urteil vom selben Tag (Az. 3 B 20/24), in dem es einen Anspruch auf Elternnachzug zu einem mittlerweile volljährigen Flüchtling in einem Fall abgelehnt hat, in dem der Flüchtling inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hat. Mit dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit und damit der Unionsbürgerschaft sei die EU-Familienzusammenführungsrichtlinie nicht mehr anwendbar, deshalb greife auch die zu dieser Richtlinie ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht mehr, wonach ein Nachzug grundsätzlich auch nach Volljährigkeit der als Flüchtling anerkannten Person möglich sei, wenn diese bei Stellung des Asylantrags minderjährig war. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision zugelassen.
Das Berliner Verwaltungsgericht hatte es erstinstanzlich noch anders gesehen (Urteil vom 22. November 2023, Az. 6 K 351/22 V) und insbesondere aus der zwischenzeitlichen Einbürgerung keinen Hinderungsgrund für einen Elternnachzug abgeleitet.
Kein Visum für ehemalige afghanische Ortskraft
Viel Pressearbeit vom OVG Berlin-Brandenburg in dieser Woche. Eine Pressemitteilung vom 4. Juni 2025 berichtet über die Klage einer ehemaligen afghanischen Ortskraft auf Visumerteilung, die das Oberverwaltungsgericht mit (noch nicht vorliegendem) Urteil vom selben Tag (Az. 6 B 4/24) abgewiesen hat. Klage bereits unzulässig, weil die Ortskraft schon keinen Visumantrag gestellt habe, sondern im Ortskräfteverfahren nur per E-Mail eine Gefährdung angezeigt habe, was den Visumantrag nicht ersetzen konnte. Abgesehen davon befinde allein die Bundesregierung im Rahmen ihres weiten politischen Entscheidungsspielraums über eine Aufnahme gemäß § 22 S. 2 AufenthG und hätten Ortskräfte kein Recht auf Aufnahme.
Die Aufnahme ehemaliger Ortskräfte als Gnadenakt, sozusagen, weil der behördeninterne politische Meinungsbildungsprozess keine nach außen wirkende Verwaltungspraxis darstellt, die zu einer Selbstbindung der Verwaltung führen könnte. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte das offenbar teilweise anders gesehen (Urteil vom 26. Februar 2024, Az. 33 K 127/22 V). Dieses Urteil habe ich nicht gefunden, dafür aber einen Beschluss vom 25. August 2021 (Az. 10 L 285/21 V) aus einem anderen Verfahren, in dem das Verwaltungsgericht mit einer Selbstbindung der Verwaltung argumentiert hat, der das Ermessen für die Entscheidung über eine Aufnahme auf Null reduziert habe. Ohne Kenntnis der konkreten Umstände des jetzt entschiedenen Verfahrens: Es wurde bereits im August 2022 konstatiert, dass „eines der Hauptprobleme des Ortskräfteverfahrens [..] dessen unklare Rechtsnatur ist“.
Lange Bearbeitungsdauer einer Einbürgerung ist hinzunehmen
Die (befristete) Aussetzung eines gerichtlichen Verfahrens gemäß § 75 S. 3 VwGO nach Erhebung einer Untätigkeitsklage in einem Einbürgerungsverfahren ist rechtmäßig, wenn die zuständige Behörde überlastet ist und eine solche Überlastung auf einer signifikanten sowie zugleich unerwarteten Erhöhung der Antragszahlen beruht, ohne dass gleichzeitig ein strukturelles Organisationsdefizit vorliegt, sagt das Oberverwaltungsgericht Saarlouis in seinem Beschluss vom 21. Mai 2025 (Az. 2 E 16/25). Die zuständige Behörde habe detailliert und schlüssig dargelegt, mit welchen Maßnahmen sie personell und organisatorisch auf ihre unerwartete Überlastung reagiert habe, und habe sowohl eine Umstrukturierung und Optimierung der bisherigen Verfahrensweise geschildert als auch die erfolgte Personalverstärkung nachgewiesen. Unter solchen Umständen sei das Verwaltungsgericht gemäß § 75 S. 3 VwGO zur Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens sogar verpflichtet. Zwar solle § 75 VwGO verhindern, dass die Behörde dem Bürger durch Untätigbleiben die Möglichkeit eines wirksamen Rechtsschutzes nehmen könne, allerdings lasse sich weder aus Art. 19 Abs. 4 GG noch aus § 75 VwGO das Gebot einer von vornherein bestimmten höchstzulässigen Dauer des Verfahrens ableiten.
Der Beschluss beschreibt das ganze Elend des Behördenalltags in Einbürgerungsverfahren in vielen Details, unter anderem geht es um lange Wartelisten, zur Hilfe geholte Praktikanten von Fachoberschulen, „Nachpersonalisierung“, „Aufpersonalisierung“, „haushalterische Zwänge“, kostenintensiven Fachseminare, das unerwartete Ausscheiden mehrerer Sachbearbeiter und natürlich um den allgemeinen Fachkräftemangel.
AG Ingolstadt: Grundlose längere Sicherungshaft
Das Amtsgericht Ingolstadt nimmt es in seinem Beschluss vom 28. Mai 2025 (Az. 1 XIV 170/25 (B)) mit den zeitlichen Höchstgrenzen der Sicherungshaft gemäß § 62 Abs. 3, 4 AufenthG nicht so genau. Der Betroffene, ein afghanischer Staatsangehöriger, der sich nach Verbüßung seiner Strafhaft seit Ende November 2024 und damit mittlerweile länger als sechs Monate in Abschiebungshaft befindet, soll nach Afghanistan abgeschoben werden; das Amtsgericht ordnet drei weitere Monate Abschiebungshaft an, weil der Betroffene eine Abschiebung „durch seine Weigerung“ vereitelt habe und die Voraussetzung des § 62 Abs. 4 S. 2 AufenthG für die Anordnung von mehr als sechs Monaten Haft damit vorliege.
Worin die konkrete Weigerung des Betroffenen liegen soll, die dem Gericht zur Rechtfertigung seiner weiteren Inhaftierung diente, erläutert der Beschluss nicht mit einem einzigen Wort. Die bloße Weigerung, freiwillig auszureisen, kann ja schon wegen der einschlägigen BGH-Rechtsprechung (Beschluss vom 6. Mai 2010, Az. V ZB 193/09) nicht gemeint sein, und die vom Gericht angenommene Fluchtgefahr genügt ebenso nicht.
Bundesländer beklagen mehr Klagen
Allerorten wird offenbar nicht nur geklagt, sondern auch gejammert, nämlich aktuell über eine Anfang 2025 in vielen Bundesländern steigende Zahl neuer asylgerichtlicher Klagen. Jammern gehört zwar sozusagen zum Geschäft (siehe zuletzt HRRF-Newsletter Nr. 186), diesmal soll aber das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schuld sein, weil es zuletzt über mehr Asylanträge entschieden hat. Jedenfalls sehen Verwaltungsrichter in Thüringen die Asylrechtsprechung „kurz vor dem Kollaps“ und soll sich die Zahl der Asylklagen in Sachsen „fast verdoppelt“ und in Mecklenburg-Vorpommern „mehr als verdoppelt“ haben, ist aber immerhin die Situation in Sachsen-Anhalt „noch nicht so dramatisch“. Kreativer Umgang mit Statistik zahlt sich wie üblich aus, weil die Zahl der Asylklagen in Niedersachsen im Vergleich zum Vorjahr wahlweise entweder um 120% oder um 190% gestiegen sein soll.
Es bleibt bei der vergleichsweise einfachen Wahrheit, dass doch vor allem qualitativ bessere Bundesamtsbescheide einen Beitrag zur Entlastung der Verwaltungsgerichte leisten würden. Das ist freilich aus mehreren Gründen praktisch nicht möglich.
Mehr Respekt für Gerichtsentscheidungen gefordert
Die Welt am Sonntag berichtet in ihrer Ausgabe vom 1. Juni 2025 (Paywall) über einen mangelnden Respekt in der Politik, wenn es um die Verbindlichkeit migrationsrechtlicher Gerichtsentscheidungen in Deutschland geht. Thomas Oberhäuser (Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein) wird mit der Aussage zitiert, dass „Recht und Justiz [..] durch die Politik offen infrage gestellt [werden]“. So habe der Verwaltungsgerichtshof München etwa kürzlich festgestellt, dass Binnengrenzkontrollen europarechtswidrig seien, was aber niemanden interessiere, weil die Kontrollen einfach fortgesetzt würden. Constantin Hruschka (Evangelische Hochschule Freiburg) bemängelt eine „Situation, in der Gerichtsentscheidungen eher als Meinungsbeitrag im Diskurs angesehen werden, denn als verbindliche Urteile“, und hält es nicht für einen Zufall, dass das gerade im Migrationsrecht passiert. Ein Problem sei auch, so der Artikel, dass Behörden in Teilen nicht mitarbeiteten oder gerichtliche Anordnungen ignorierten.
Ob es wohl einen Zusammenhang zwischen der allseits beklagten Be- und Überlastung der Verwaltungsgerichte und einer behördlichen Perspektive gibt, Gerichtsentscheidungen stets nur für den Einzelfall als verbindlich zu betrachten?
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