Es geschehen noch wundersame Dinge im deutschen Migrationsrecht, nämlich weil das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 29. August 2024 (Az. 1 C 9.23) die gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 13. März 2023 (Az. 36 K 176/21 V) eingelegte Sprungrevision zurückgewiesen hat und einen unmittelbar aus Art. 4 der EU-Familienzusammenführungsrichtlinie 2003/86/EG folgenden Anspruch auf Kindernachzug zu anerkannten Flüchtlingen auch dann annimmt, wenn ein Antrag auf Familienzusammenführung nicht innerhalb von drei Monaten nach Anerkennung des zusammenführenden Elternteils als Flüchtling gestellt wurde.
Eine verspätete Antragstellung könne dem nachzugswilligen Familienmitglied nämlich ausnahmsweise nicht entgegengehalten werden, wenn eine hinreichende Information über die Frist und die zu ihrer Einhaltung erforderlichen Maßnahmen nicht erfolgte und die Überschreitung der Frist aufgrund besonderer Umstände objektiv entschuldbar sei. Dies ergebe sich aus einer entsprechenden Anwendung der im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 RL 2003/86/EG geltenden Grundsätze; eine andere Handhabung wäre mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz nicht zu vereinbaren, nach dem verfahrensrechtliche Regelungen die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürften.
Soweit das Auswärtige Amt auf die Möglichkeit verwiesen habe, einen Visumantrag während des Laufs der dreimonatigen Frist auch anders als im Rahmen einer persönlichen Vorsprache bei einer Auslandsvertretung – etwa per E-Mail oder Telefax – zu stellen, seien die Klägerinnen hierüber nicht hinreichend deutlich und unmissverständlich informiert worden. Vielmehr hätte für die Klägerinnen mangels verlässlicher anderweitiger Informationen der Eindruck nahegelegen, alles zur Fristwahrung Erforderliche getan zu haben. Eine unterbliebene rechtzeitige persönliche Antragstellung bei der Auslandsvertretung sei objektiv entschuldbar, wenn äußere Umstände das Erreichen der Auslandsvertretung unmöglich gemacht hätten, etwa wenn wie im entschiedenen Verfahren ein zum Erreichen der deutschen Auslandsvertretung erforderlicher Grenzübertritt aufgrund des Bürgerkriegs in Syrien sowie des Grenzkonflikts der Türkei mit Syrien nicht möglich gewesen sei.