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Entgeltliche Tätigkeit

In der migrations- und flüchtlingsrechtlichen Rechtsprechung wird es gefühlt jede Woche ein klein wenig absurder. In dieser Woche geht es um das Landgericht Stuttgart, das einen Verfahrensfehler eines Amtsgerichts damit entschuldigen wollte, dass das Amtsgericht bei einer Haftanhörung von der anwaltlichen Vertretung des betroffenen Ausländers „überrascht worden“ sei, und um ein Zwangsgeld, dass das Verwaltungsgericht Berlin dem Auswärtigen Amt angedroht hat. Das Verwaltungsgericht Hamburg bekräftigt, dass Ehepaare keine Männer sind und dass vorübergehender Schutz etwas anderes als internationaler Schutz ist, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte untersagt Griechenland Abschiebungen ohne vorherigen Zugang zu einem Asylverfahren, das Landgericht Ingolstadt hält, leider nur in einem Obiter Dictum, nichts von einer „unionsrechtskonformen“ Auslegung des Aufenthaltsgesetzes zu Lasten von Inhaftierten und das Verwaltungsgericht Arnsberg will angestellte Volljuristen nicht als Verfahrensbevollmächtigte zulassen. In der kommenden Woche macht der HRRF-Newsletter eine kurze sommerliche Pause und ist in zwei Wochen wieder da, die HRRF-Website wird aber dennoch nach besten Kräften aktuell gehalten.

  • EGMR stoppt griechische Sudan-Abschiebungen

    Berichten im Internet zufolge (siehe etwa hier oder hier) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am 14. August 2025 in acht Verfahren von sudanesischen Schutzsuchenden einstweilige Anordnungen gegen Griechenland erlassen, die es dem Land vorläufig verbieten, die Betroffenen abzuschieben. Griechenland hatte Ende Juli 2025 ein von zahlreichen Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiertes Gesetz verabschiedet, mit dem Schutzsuchenden, die aus nordafrikanischen Staaten nach Griechenland einreisen, für (zunächst) drei Monate das Recht auf Stellung eines Asylantrags genommen wurde. Die griechische Asylbehörde hatte sich unter Berufung auf dieses Gesetz geweigert, Asylanträge der acht Schutzsuchenden entgegenzunehmen, die über Libyen nach Kreta gelangt waren.

    Die Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte war in den acht Verfahren offenbar notwendig geworden, weil zunächst in Griechenland eingelegte Rechtsbehelfe gegen Abschiebungsandrohungen mit Standardformulierungen abgelehnt worden waren. Der ohnehin als rechtsextrem geltende griechische Migrationsminister Athanasios Plevris fiel vor dem Hintergrund der Anordnungen des Gerichtshofs mit Drohungen gegen griechische Nichtregierungsorganisationen auf, die die Schutzsuchenden unterstützt hatten.

  • Keine verwaltungsgerichtliche Vertretungsbefugnis eines Flüchtlingshilfevereins

    Ein bei einem Verein entgeltlich beschäftigter Volljurist ist nicht zur Vertretung Dritter in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten befugt, meint das Verwaltungsgericht Arnsberg in seinem Beschluss vom 5. August 2025 (Az. 9 K 3144/25.A). Eine Vertretungsbefugnis gemäß § 67 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, wonach Personen mit Befähigung zum Richteramt, d.h. Volljuristen, vor den Verwaltungsgerichten vertretungsbefugt sind, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht, sei nicht einschlägig, wenn der Vertreter für seine Tätigkeit ein Gehalt beziehe. Durch die Formulierung „im Zusammenhang“ sei der Ausschluss entgeltlicher Rechtsvertretung weit zu verstehen, so dass eine Prozessvertretung nur dann nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit stehe, wenn sie uneigennützig erfolge, der Vertreter also keine Gegenleistung erhalte, von wem auch immer. Darum komme es auch nicht darauf an, dass eine Vergütung nicht explizit im Hinblick auf die rechtsdienstleistende Tätigkeit, sondern im Zusammenhang mit anderen beruflichen Tätigkeiten des Vertreters anfalle oder auch nur anfallen könne.

    Für die außergerichtliche Rechtsberatung ist Ähnliches in § 6 RDG geregelt, nur dass dort die „Anleitung“ durch Volljuristen ausreichend ist, also nicht zwingend Volljuristen selbst beraten müssen. Das Verwaltungsgericht weist ergänzend auf das historische Bestreben des Gesetzgebers hin, jedenfalls im Rahmen von § 67 VwGO sowohl die Rechtsanwaltschaft als auch die vertretenen Personen zu schützen: Der Rechtsanwalt als berufener unabhängiger Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten unterliege diversen Pflichten, die der Gesetzgeber nicht etwa durch die „Flucht“ in andere Rechtsformen wie Vereine optional werden lassen wollte.

  • Verwaltungsgericht droht Auswärtigem Amt Zwangsgeld an

    Das Verwaltungsgericht Berlin hat dem Auswärtigen Amt laut Medienberichten vom 20. August 2025 (hier, hier und hier) in einem von ihm im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes entschiedenen Verfahren ein Zwangsgeld für den Fall angedroht, dass das Ministerium der klagenden afghanischen Familie mit einer Aufnahmezusage für Deutschland keine Visa erteilt.

    Ob es sich um das Verfahren handelt, in dem die Bundesregierung ihre Beschwerde gegen die erstinstanzliche Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin in der vergangenen Woche zurückgezogen hatte, ist unklar. Die LTO weiß derweil mehr, unter anderem, dass es bislang 22 erfolgreiche Eilanträge zum Afghanistan-Aufnahmeprogramm gegeben hat und dass das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einen Antrag der Bundesregierung auf Aussetzung der Vollziehung eines Eilbeschlusses des Verwaltungsgerichts am 20. August 2025 abgelehnt hat, und zwar ausdrücklich unter Bezugnahme auf Berichte über die kürzlichen Abschiebungen von Afghanen aus Pakistan.

  • Ehepaare sind keine nicht-vulnerablen Männer

    Das Verwaltungsgericht Hamburg geht in zwei Beschlüssen vom 13. August 2025 (Az. 12 AE 5505/25) und vom 15. August 2025 (Az. 12 AE 5717/25) davon aus, dass für Ehepaare, die in Griechenland internationalen Schutz erhalten haben, in Griechenland die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK aufgrund der sie dort erwartenden Lebensbedingungen besteht. Dies gelte zumal, wenn das Ehepaar ein Kind habe (Az. 12 AE 5717/25), aber auch sonst (Az. 12 AE 5505/25), weil für die Ehefrau keine zumutbaren Unterkunfts- und Erwerbsmöglichkeiten bestehen dürften und es zweifelhaft erscheine, dass der Ehemann durch eine Erwerbstätigkeit nicht nur seinen eigenen Lebensunterhalt, sondern zugleich denjenigen seiner Ehefrau sichern könne. Eine getrennte Betrachtung der Eheleute scheide aus, da diese verheiratet seien.

    Das Verwaltungsgericht Aachen hatte das unlängst genauso gesehen.

  • Vorübergehender Schutz ist kein internationaler Schutz

    Ein in Deutschland gestellter Asylantrag darf nicht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG mit der Begründung als unzulässig abgelehnt werden, dass ein anderer EU-Mitgliedstaat (hier: Spanien) bereits internationalen Schutz gewährt hat, wenn dieser andere EU-Mitgliedstaat tatsächlich (nur) vorübergehenden Schutz im Sinne der EU-Richtlinie 2001/55/EG gewährt hat, sagt das Verwaltungsgericht Hamburg in seinem Beschluss vom 5. August 2025 (Az. 12 AE 5719/25).

    In dem Verfahren hatte Spanien mit der Gewährung vorübergehenden Schutzes auch einen (dem § 24 AufenthG entsprechenden) Aufenthaltstitel erteilt. Das Verwaltungsgericht wies zu Recht darauf hin, dass deswegen die Ablehnung des in Deutschland gestellten Asylantrags letztlich auf Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG in Frage gekommen wäre, weil Spanien infolge der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Art. 12 Dublin-III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei.

  • Rechtswidrige Haft vor Afghanistan-Abschiebung

    Die weitere Anordnung von Abschiebungshaft durch das Amtsgericht Ingolstadt Ende Mai 2025 gegen einen afghanischen Staatsangehörigen, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits sechs Monate in Abschiebungshaft befand, war rechtswidrig, sagt nun (und nach der Mitte Juli 2025 erfolgten Abschiebung des Betroffenen nach Afghanistan) das Landgericht Ingolstadt in seinem Beschluss vom 13. August 2025 (Az. 24 T 280/25). Der Haftbeschluss des Amtsgerichts sei rechtswidrig gewesen, weil dem Betroffenen bei seiner Anhörung nicht der gesamte Haftantrag, sondern nur der Tenor des Antrags übersetzt worden sei. Der Verweis des Amtsgerichts darauf, dass der von der zuständigen Ausländerbehörde formulierte Haftantrag nur das umfasst habe, was die Behörde tatsächlich beantragt habe (d.h. den Tenor), nicht aber die vollständige Antragsschrift, sei unerheblich.

    Die Ausländerbehörde hatte in dem nun vom Landgericht beanstandeten Haftantrag offenbar auch eine „unionsrechtskonforme“ Auslegung des § 62 Abs. 4 S. 3 AufenthG ins Spiel gebracht. § 62 Abs. 4 S. 3 AufenthG erlaubt die Inhaftierung über einen Zeitraum von sechs Monaten hinaus, wenn eine Abschiebungsanordnung nach § 58a ergangen ist und sich die Übermittlung der für die Abschiebung erforderlichen Unterlagen oder Dokumente durch den zur Aufnahme verpflichteten oder bereiten Drittstaat verzögert. Diese Voraussetzungen lagen in dem Verfahren anscheinend nicht vor, der Vorschlag einer „unionsrechtskonformen“ Auslegung wäre vor diesem Hintergrund wohl auf eine analoge Anwendung von Art. 15 Abs. 6 der EU-Rückführungsrichtlinie hinausgelaufen, weil Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie eine Inhaftierung für mehr als sechs Monate auch bei „mangelnder Kooperationsbereitschaft“ des betroffenen Ausländers erlaubt. Einer solchen Auslegung hat das Landgericht eine Absage erteilt, auch wenn die Frage nicht (mehr) entscheidungserheblich war.

  • Keine Hauptsache-Haft bei nicht erreichbarem Verfahrensbevollmächtigten

    Wenn im Haftanhörungstermin die telefonische Kontaktaufnahme eines Ausländers zu seinem Verfahrensbevollmächtigten scheitert, weil „kein Freizeichen ertönte“, dann darf das Haftgericht nicht in der Hauptsache Ausreisegewahrsam (oder sonst Abschiebungshaft) anordnen, sondern nur mittels einer einstweiligen Anordnung einen kurzen Gewahrsam, sagt der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 29. Juli 2025 (Az. XIII ZB 6/23). Die Annahme des Landgerichts Stuttgart als Beschwerdegericht, das Amtsgericht sei im Anhörungstermin von der anwaltlichen Vertretung des Betroffenen „überrascht worden“, treffe angesichts der Angaben der beteiligten Behörde in der Antragsschrift schon in tatsächlicher Hinsicht nicht zu. Selbst wenn das Amtsgericht bis zur diesbezüglichen Erklärung des Betroffenen im Anhörungstermin von einer anwaltlichen Vertretung keine Kenntnis gehabt hätte, wäre es nicht von der Pflicht entbunden gewesen, einen neuen Termin anzuberaumen, um die Anwesenheit eines Verfahrensbevollmächtigten zu ermöglichen.

    Es ist ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die Vereitelung der Teilnahme eines Verfahrensbevollmächtigten an einer Haftanhörung durch das Gericht ohne weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft führt, siehe etwa den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 27. September 2018 (Az. V ZB 96/18).

  • Aktuelle EuGH-Urteile vom 1.8.2025

    Etwas zu spät für den HRRF-Newsletter an diesem Freitag hat der Europäische Gerichtshof heute Mittag drei Urteile zum europäischen Flüchtlingsrecht verkündet. Alle drei Urteile sind noch nicht mittlerweile in deutscher Sprache verfügbar, zu zwei der drei Urteile gibt es außerdem…

  • Monatsübersicht Mai 2025

    Die HRRF-Monatsübersicht für Mai 2025 ist zum Download verfügbar und bietet auf zehn Seiten eine praktische Zusammenfassung aller im Monat Mai 2025 im HRRF-Newsletter vorgestellten Entscheidungen. Highlights dieser Monatsübersicht sind:

  • Monatsübersicht April 2025

    Die HRRF-Monatsübersicht für April 2025 ist zum Download verfügbar und bietet auf sechs Seiten eine praktische Zusammenfassung aller im Monat April 2025 im HRRF-Newsletter vorgestellten Entscheidungen. Highlights dieser Monatsübersicht sind:

ISSN 2943-2871