Das Bundesverwaltungsgericht bekräftigt in dieser Woche seine Griechenland-Rechtsprechung aus dem Frühling und meint, dass sich informelle Schlafplätze in Griechenland doch finden lassen müssten. Neuigkeiten gibt es auch zum Dublin-Leistungsausschluss, den der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof für europarechtswidrig hält und zu dem der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte bei der Bundesregierung nachfragt. Außerdem geht es um die obligatorische Anschlussversicherung von Asylbewerbern in der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem Ende einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, um eine vor vier Jahren abgelegte Sprachprüfung und um eine inländische Fluchtalternative für Homosexuelle in einzelnen Stadtteilen türkischer Großstädte.
Geringe Anforderungen an Schlafstellen in Griechenland
Wenn man als nichtvulnerabler männlicher Schutzberechtigter in Griechenland keine Schlafstelle hat, dann muss man sich halt eine suchen, sagt das Bundesverwaltungsgericht in seiner Pressemitteilung vom 23. Oktober 2025, in der es über sein noch nicht im Volltext vorliegendes Urteil vom selben Tag (Az. 1 C 11.25) berichtet. In dem Urteil geht es um eine weitere Tatsachenrevision zur Situation männlicher Schutzberechtigter in Griechenland, immerhin leugnet das Bundesverwaltungsgericht darin nicht, dass es für Schutzberechtigte nicht unbedingt möglich sein wird, einen Schlafplatz in einer von hoheitlichen Trägern oder gesellschaftlichen Organisationen betriebenen Einrichtung zu erhalten, nur stellt es an die alternativ selbst zu organisierende Schlafstelle wohl keine besonders hohen Anforderungen: Solche Schlafstellen könnten notfalls auch in behelfsmäßigen Unterkünften, Wohncontainern, Zeltstädten, faktisch geduldeten Siedlungen oder in sonstigen einfachsten Camps mit einem Minimum an erreichbaren sanitären Einrichtungen zu finden sein.
Ob es solche informellen Schlafstellen in Griechenland in ausreichender Zahl tatsächlich gibt, ist eine Frage, die nicht geklärt ist, und die wohl auch nicht abschließend geklärt werden kann, weil es sich wohl eben gerade nicht um Schlafplätze handeln muss, die (nur) von bestimmten Trägern angeboten werden. Dass diese Art von Schlafstellen ausreicht, hatte das Bundesverwaltungsgericht bereits in seinen Urteilen aus dem April 2025 gesagt (dort Rn. 40 bzw. Rn. 41), auch wenn es dort dann zumindest missverständlich auch wieder nur von bestimmten Trägern gesprochen hatte (Rn. 43 bzw. Rn. 44). Die Frage der Verfügbarkeit der von bestimmten Trägern angebotenen Schlafplätze, auf die sich etwa der aktuelle Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg bezieht, dürfte aber jedenfalls für Schutzberechtigte relevant sein, die keine nichtvulnerablen Männer sind.
Inländische Fluchtalternative für Homosexuelle in der Türkei
Das Verwaltungsgericht Würzburg geht in seinem Beschluss vom 26. September 2025 (Az. W 8 S 25.34549) davon aus, dass für homosexuelle Männer in der Türkei eine inländische Fluchtalternative in einzelnen Stadtteilen von Großstädten wie Ankara, Izmir, Adana und Istanbul sowie in einigen Gegenden an der Südküste existiert. Soweit in der Rechtsprechung teilweise die Auffassung vertreten werde, dass eine solche inländische Fluchtalternative nicht bestehe, weil einzelne Stadtteile keinen Teil des Zielstaates im Sinne des § 3e Abs. 1 AsylG darstellten, so sei dem nicht zu folgen. Der Begriff des Landesteils in § 3e AsylG sei nicht legaldefiniert und auch wenn es üblich sei, bei der Subsumtion an vorhandene geopolitische Untergliederungen, wie etwa an einzelne Regionen oder Provinzen anzuknüpfen, sei eine solche Anknüpfung nicht zwingend. Entscheidend sei vielmehr, dass der dem Betroffenen faktisch als verfolgungssicherer Ort zur Verfügung bestehende Bereich eine hinreichende Größe aufweise, um eine nachhaltige Sicherheit zu bieten und eine Lebensgrundlage zu gewährleisten.
Das Verwaltungsgericht Würzburg argumentiert paternalistisch im sozusagen wohlverstandenen Interesse des Klägers, der in einem der genannten Stadtviertel doch von „Gleichgesinnten der LGBT-Community“ umgeben wäre, die ihm ihrerseits „mit Rat und Tat“ zur Seite stehen könnten. Um ein einzelnes „Ghetto“ gehe es dabei nicht, weil angesichts der verschiedenen geographischen Bereiche noch ein akzeptabel großer Raum verbleibe, in dem Homosexuelle entsprechend ihrer sexuellen Orientierung leben und sich entfalten könnten, ohne dass ihre Menschenwürde verletzt werde. Das sehen andere Verwaltungsgerichte zumindest im Ergebnis durchaus anders, etwa das Verwaltungsgericht Berlin im März 2025 oder das Verwaltungsgericht Köln im Juni 2025.
Neues vom Dublin-Leistungsausschluss
Über den in § 1 Abs. 4 AsylbLG geregelten Leistungsausschluss bei Zuständigkeit eines anderen Dublin-Staats ist hier schon einige Male berichtet worden (das letzte Mal vor zwei Wochen hier), jetzt hat sich mal wieder etwas getan, und zwar gleich zweifach.
Zum einen hat der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen die deutsche Bundesregierung mit Schreiben vom 17. Oktober 2025 dazu aufgefordert, dem in Thüringen lebenden Beschwerdeführer in dem UN-Individualbeschwerdeverfahren gegen die Dublin-Leistungseinstellung umgehend eine Unterkunft, Gesundheitsversorgung und jedenfalls Leistungen zu gewähren, die dem Existenzminimum entsprechen. Außerdem wurde die Bundesregierung aufgefordert, zu der Individualbeschwerde Stellung zu nehmen. Die Individualbeschwerde wird von der Gesellschaft für Freiheitsrechte unterstützt.
Zum anderen hat der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache C-621/24 am 23. Oktober 2025 argumentiert, dass die EU-Aufnahmerichtlinie es nicht erlaubt, Antragsteller auf internationalen Schutz automatisch von Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Kleidung und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts auszuschließen, nur weil in ihrem Fall eine Überstellungsentscheidung gemäß der Dublin-III-Verordnung erlassen wurde. Das Verfahren geht auf ein Vorabentscheidungsersuchen des deutschen Bundessozialgerichts aus dem September 2024 zurück.
Damit nicht vergessen wird, wo die absehbar verfassungs-, menschenrechts- und europarechtswidrige Regelung in § 1 Abs. 4 AsylbLG herkommt: Das war ein Gesetzentwurf der Ampel-Regierung im September 2024, der als Teil des „Sicherheitspakets nach Solingen“ die innere Sicherheit und das Asylsystem verbessern wollte. Es ist ja bald Halloween – wer sich einmal gruseln möchte, der möge doch die Begründung für die Überarbeitung von § 1 Abs. 4 AsylbLG noch einmal nachlesen (BT-Drs. 20/12805, S. 31).
Obligatorische Anschlussversicherung in Baden-Württemberg umstritten
Die 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe wirft in vier Beschlüssen vom 21. Juli 2025 (Az. S 12 AY 1152/25 ER, S 12 AY 1183/25 ER, S 12 AY 1347/25 ER sowie S 12 AY 1381/25 ER) nicht nur dem baden-württembergischen Ministerium der Justiz und für Migration die „Duldung exekutiven Ungehorsams“ vor, sondern der beklagten Leistungsbehörde auch noch „irreführende Initiativauskünfte“. Mit diesen Auskünften wolle die Behörde die Empfänger von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz „in wirtschaftliche Not“ bringen und sich ihren Leistungspflichten durch einen „kühl kalkulierten Rechtsbruch“ entziehen. In den Verfahren, über die die KONTEXT:Wochenzeitung am 15. Oktober 2025 ausführlich berichtete, ging es um die obligatorische Anschlussversicherung von Asylbewerbern in der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem Ende einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und um die Frage, wer die Beiträge für diese Anschlussversicherung bezahlen muss. Anders als in anderen Bundesländern scheint in Baden-Württemberg die Rechtsansicht vertreten zu werden, dass die Asylbewerber selbst die monatlichen Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von etwa 250 Euro zahlen müssten, was aber wohl nicht nur das Sozialgericht Karlsruhe für falsch hält.
Alle vier Beschlüsse driften auf den letzten Seiten leider vom Thema ab, wenn die Kammer des Sozialgerichts dem Landesjustizministerium vorwirft, Rechtsbrüche der seiner Aufsicht unterstehenden Stellen lieber dulden als ahnden zu wollen, weil eine faktische dienstrechtliche und strafrechtliche Immunität „asylrechtsfeindlich agierender“ öffentlicher Bediensteter aus Sicht des Ministeriums ein effektives Mittel darstelle, um eine rechtswidrige Politik exekutiv umsetzen zu lassen. So habe das Ministerium etwa auch niemanden dafür zur Rechenschaft gezogen, dass die Gerichtsleitungen des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts Karlsruhe am 29. September 2020 eine bewusst illegale Corona-Party veranstaltet hätten.
Keine pauschal verblassenden Sprachkenntnisse
Ein vier Jahre altes Zertifikat über deutsche Sprachkenntnisse kann in einem Visumverfahren nicht pauschal mit der Begründung zurückgewiesen werden, dass es zu alt ist, sagt das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 26. September 2025 (Az. OVG 3 S 60/25). In dem Verfahren hatte das Auswärtige Amt argumentiert, dass die in dem 2021 im Senegal ausgestellten Zertifikat bescheinigten Sprachkenntnisse mangels anschließender Sprachpraxis verblasst sein würden, dieses Argument fand das Oberverwaltungsgericht, anders als zuvor noch das Verwaltungsgericht Berlin, für zu pauschal. Immerhin habe der Kläger die Sprachprüfung nach dem vorgelegten Zertifikat nicht nur knapp, sondern mit „gut“ bestanden, nämlich mit 86 von 100 Punkten. Außerdem seien die Verzögerungen im Visumverfahren maßgeblich auf die beteiligten deutschen Behörden zurückzuführen, so dass ohnehin nicht nachvollziehbar sei, warum der Kläger eine erneute Sprachprüfung ablegen solle.
Das Oberverwaltungsgericht hat das Auswärtige Amt im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Kläger ein Visum zur Familienzusammenführung zu erteilen, soweit eine erneut durchzuführende Sicherheitsabfrage keine der Visumerteilung entgegenstehenden Erkenntnisse ergibt. Einen ebenfalls gestellten Parallelantrag der deutschen Ehefrau des Klägers wies das Oberverwaltungsgericht dagegen zurück, weil ein solcher eigener Anspruch einer in Deutschland lebenden Familienangehörigen auf Erteilung des Visums an den Angehörigen, der den Zuzug im Wege der Familienzusammenführung erstrebe, weder aus dem Aufenthaltsgesetz noch aus der Familienzusammenführungsrichtlinie folge noch sich unmittelbar aus Art. 6 GG ergebe.
GEAS-Reform von A bis Z: Lieblingsbegriffe gesucht
So eine Reform wie die GEAS-Reform besteht ja nicht zuletzt aus rechtlichen Begriffen, die im Rahmen der Reform neu etabliert werden oder eine neue Bedeutung erhalten. Es soll darum von HRRF demnächst ein kleines Rechtswörterbuch zur GEAS-Reform geben, in dem die wichtigsten Rechtsbegriffe rund um die Reform vorgestellt und erklärt werden: Von „angemessener Kapazität“ über „Migrationsdruck“ und „Verrechnung der Verantwortlichkeiten“ zur hin zum „Zuständigkeitsbestimmungsverfahren“. Da das deutsche GEAS-Anpassungsgesetz in dem Wörterbuch auch berücksichtigt werden soll, muss dessen Verabschiebung abgewartet werden, ein paar Wochen wird es also noch dauern.
Haben Sie eigentlich rechtliche oder rechtlich geprägte Lieblingsbegriffe rund um die GEAS-Reform, die Sie in so einem Wörterbuch gerne nachschlagen und wiederfinden würden? Schreiben Sie mir unter newsletter@hrrf.de!
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Textausgabe Deutsches Migrationsrecht (nach der GEAS-Reform)
Es ist zu erwarten, dass der Deutsche Bundestag in den kommenden Wochen die beiden deutschen Umsetzungsgesetze zur GEAS-Reform von 2024 verabschieden wird, nämlich das GEAS-Anpassungsgesetz, und, gemeinsam mit dem Bundesrat, das GEAS-Anpassungsfolgengesetz. Diese Umsetzung wird zu umfangreichen Änderungen unter anderem…
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Links zur GEAS-Reform
Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) im Mai 2024 wird den Flüchtlingsschutz in Deutschland und Europa verändern, zumindest in unzähligen Details, vermutlich aber jedenfalls auf einer faktischen Ebene auch im Grundsätzlichen. Die GEAS-Reform soll im Juni 2026 in Kraft…
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Aktuelle EuGH-Urteile vom 1.8.2025
Etwas zu spät für den HRRF-Newsletter an diesem Freitag hat der Europäische Gerichtshof heute Mittag drei Urteile zum europäischen Flüchtlingsrecht verkündet. Alle drei Urteile sind mittlerweile in deutscher Sprache verfügbar, zu zwei der drei Urteile gibt es außerdem deutschsprachige Pressemitteilungen…
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