In noch einem Urteil vom 18. Juni 2024 (Rs. C-753/22) hat der Europäische Gerichtshof eine weitere Spielart einer Bindungswirkung von Schutzgewährung in einem anderen EU-Staat definiert, die man vielleicht als „schwache“ Bindungswirkung bezeichnen könnte, nämlich mit Bezug auf die Statusentscheidung im zweiten EU-Staat: Wenn in einem EU-Staat bereits internationaler Schutz gewährt wurde und danach im Rahmen eines in einem weiteren EU-Staat gestellten Asylantrags erneut eine inhaltliche Prüfung des Schutzbegehrens stattfindet, dann muss dieser weitere EU-Staat die Anerkennung grundsätzlich berücksichtigen. Das bedeutet nicht, dass der zweite EU-Staat automatisch internationalen Schutz gewähren müsste, er muss die Anerkennung im ersten EU-Staat und die ihr zugrundeliegenden Anhaltspunkte bei seiner Prüfung aber jedenfalls „in vollem Umfang“ berücksichtigen.
Der Europäische Gerichtshof begründet sein Urteil erneut mit dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten, außerdem solle vermieden werden, dass die Behörden mehrerer Mitgliedstaaten zu unterschiedlichen Einschätzungen bezüglich der Schutzgewährung kommen. Der EuGH mahnt etwa einen Informationsaustausch zwischen den Behörden an, so dass der später entscheidenden Asylbehörde im zweiten EU-Staat alle Informationen vorliegen müssen, die im ersten EU-Staat zur Gewährung internationalen Schutzes geführt haben. Das sollte zumindest eine breitere Diskussion über die Bewertung von Herkunftsländerinformationen auslösen, und womöglich sogar über die Kriterien, die bei der Bewertung der Glaubwürdigkeit von Schutzsuchenden angelegt werden. Das Urteil wird nationalen Asylbehörden aber auch unabhängig davon sicherlich noch viel Freude bereiten, etwa in Hinblick auf die großen Unterschiede bei den Anerkennungsquoten für bestimmte Herkunftsländer in unterschiedlichen EU-Staaten, oder wenn eine nicht ausreichende Berücksichtigung der ersten Asylentscheidung im zweiten Asylverfahren ohne Weiteres zu angreifbaren Verfahrensmängeln führen dürfte.