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Normative Anknüpfungsgrundlage

In Kroatien gibt es immer noch systemische Mängel im Asylsystem, Ausländer sind nicht zu sinnlosen Passbeschaffungsbemühungen verpflichtet und eine Zeugung von Kindern spricht nicht gegen Homosexualität. Außerdem sind die Anforderungen an die Einbeziehung von Erkenntnismitteln in asylgerichtliche Verfahren niedrig anzusetzen und sind Härten hinzunehmen, die sich aus der Einleitung eines Widerrufsverfahrens und der daraus folgenden Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten ergeben.

  • Immer noch systemische Mängel in Kroatien

    Das Verwaltungsgericht München bleibt in seinem ausführlichen Beschluss vom 29. Juli 2024 (Az. M 10 S 24.50732) bei seiner bisherigen Rechtsprechung (siehe etwa das Urteil vom 22. Februar 2024, Az. M 10 K 22.50479), wonach in Kroatien in mehrfacher Hinsicht systemische Mängel im dortigen Asylsystem vorliegen. Die nunmehr bekanntgewordenen Informationen zur Vollzugspraxis des bilateralen Rückübernahmeabkommens zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina im Jahr 2023 stützten und verstärkten die allgemeine Lageeinschätzung zu Kettenabschiebungen in den Urteilen des Gerichts vom 22. Februar 2024. Außerdem handele es sich bei entwürdigenden Behandlungen durch die kroatische Polizei entgegen der Darstellung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nicht um „Einzelfälle“ durch übergriffige Beamte, sondern um ein systemisch bestehendes Phänomen und Problem.

    Sofern andere Verwaltungsgerichte ein Beweiserfordernis annähmen, dass die Vollzugspraxis des bilateralen Rückübernahmeabkommens zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina sich nicht nur allgemein auf Asylsuchende, sondern explizit auch auf rückgeführte Personen nach Kroatien im Weg der Dublin-III-Verordnung erstrecken müsse, überspanne dies nicht nur die vom Bundesverwaltungsgericht zusammengefassten Gefahrenmaßstäbe zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit, sondern messe damit zugleich auch Rückgeführten nach der Dublin-III-Verordnung im Vergleich zu anderen Asylsuchenden in Kroatien einen höherwertigeren Rechtsstatus zu, der keine normative Anknüpfungsgrundlage finde. Außerdem sehe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 23. März 2017 (Az. 13a B 17.50003) beim regelhaften Stattfinden von Abschiebungen vom Dublin-Zielstaat in einen Nicht-EU-Drittstaat die Beweislast für die Behauptung, eine im Weg des Dublin-Systems rückgeführte Person sei von einer derartigen Vollzugspraxis nicht betroffen, beim Bundesamt.

  • Zeugung von Kindern spricht nicht gegen Homosexualität

    Die Zeugung von Kindern spricht nicht gegen die Homosexualität eines Schutzsuchenden und darf nicht maßgeblich für die Annahme einer aus Sicht des Gerichts vorgetäuschten Homosexualität verwendet werden, sagt das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 6. August 2024 (Az. OVG 3 N 52/24). Außerdem müsse ein Gericht, das von einer vorgetäuschten Homosexualität ausgehe, zumindest den Lebenspartner des Betroffenen anhören.

  • Niedrige Anforderungen an Einbeziehung von Erkenntnismitteln

    Für eine Einführung von Erkenntnismitteln in ein asylgerichtliches Verfahren reicht es grundsätzlich aus, dass das Gericht den Beteiligten eine Liste der betreffenden Erkenntnismittel übersendet, sagt der Verwaltungsgerichtshof Mannheim in seinem Beschluss vom 12. August 2024 (Az. A 13 S 506/24). Darüber hinaus sei es zulässig, Erkenntnismittel in der Weise in das gerichtliche Verfahren einzuführen, dass die vom Gericht geführte Erkenntnismittelliste auf einer allgemein zugänglichen, den Beteiligten bekannten Internetseite veröffentlicht werde und denjenigen, die nicht über einen Internetzugang verfügten bzw. diesen nicht nutzen wollten, die Liste auf Anforderung gesondert zugeleitet und gleichzeitig angegeben werde, dass und wie die darin aufgeführten Erkenntnismittel beim Gericht eingesehen werden könnten.

  • Keine Zweifel an Aussetzung des Familiennachzugs

    Dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG im Rahmen des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr in Betracht kommt, sobald die Referenzperson volljährig geworden ist, steht der in § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG angeordneten Aussetzung der Entscheidung über den Familiennachzug, die ab der Einleitung eines Widerrufs- und Rücknahmeverfahrens nach § 73b AsylG gilt, nicht entgegen, meint das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 2. August 2024 (Az. OVG 3 S 45/24). Es sei nicht zu erkennen, dass § 79 Abs. 3 AufenthG mit grund- oder menschenrechtlichen Gewährleistungen unvereinbar wäre, außerdem könne besonderen familiären Belangen im Rahmen einer Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 22 Satz 1 AufenthG Rechnung getragen werden.

  • Keine Verpflichtung zu sinnlosen Passbeschaffungsbemühungen

    Einem Ausländer kann nicht entgegengehalten werden, dass er keine zumutbaren Handlungen zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht im Sinne von § 60b Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 AufenthG vorgenommen hat, wenn solche Handlungen von vornherein keinen Erfolg haben können, meint das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 13. August 2024 (Az. OVG 3 S 22/24). Das sei etwa der Fall, wenn ein Passersatzpapier von einer Auslandsvertretung in Deutschland ausschließlich bei Vorlage einer Flugbuchung ausgestellt werde, weil betroffene Ausländer nicht zur Buchung eines Flugs verpflichtet seien.

  • Vermischtes vom Bundesverwaltungsgericht

    Das Bundesverwaltungsgericht hat den Volltext seines Urteils vom 13. Juni 2024 (Az. 1 C 5.23) veröffentlicht, in dem es das Bestehen eines unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts neben einem anderweitigen Aufenthaltsrecht für möglich hält. Das abgeleitete Freizügigkeitsrecht aus Art. 21 AEUV, das einem drittstaatsangehörigen Elternteil eines Unionsbürgerkindes unter bestimmten Voraussetzungen zur Führung eines normalen Familienlebens im Aufnahmemitgliedstaat des Unionsbürgers zustehe, bestehe unabhängig davon, ob der Elternteil ein anderweitiges Aufenthaltsrecht aus nationalem Recht oder abgeleitetem Unionsrecht besitze. Das Gericht hatte zu diesem Urteil bereits 13. Juni 2024 eine Pressemitteilung veröffentlicht (siehe HRRF-Newsletter Nr. 149).

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ISSN 2943-2871