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Eindeutige Aussichtslosigkeit

Wenn ein Gericht mit dem klaren Wortlaut einer Norm argumentiert, dann ist die Auslegung der Norm meist nicht ganz so klar, wie das der vorgeblich klare Wortlaut suggeriert; zu sehen ist dies in dieser Woche am Beispiel des § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG, der die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nach Durchführung eines Folgeverfahrens regelt. Außerdem geht es diese Woche auch sonst um die richtige Auslegung von § 30 AsylG bei der Ablehnung von Asylanträgen als offensichtlich unbegründet, um die Reichweite des von § 80 AsylG angeordneten Beschwerdeausschlusses und um Vergütungsansprüche von Pflichtanwälten, die in Verfahren über die Anordnung von Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam bestellt werden.

  • Automatische Offensichtlichkeit bei Ablehnung eines Folgeantrags

    Ausweislich des klaren Wortlauts von § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag automatisch und zwingend als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer einen Folgeantrag gestellt hat und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wurde, meint das Verwaltungsgericht Kassel in seinem Urteil vom 14. August 2024 (Az. 7 K 1101/24.KS.A). Sofern das Verwaltungsgericht Schwerin in seinem Beschluss vom 19. Juli 2024 (Az. 15 B 1344/24 SN) eine teleologische Reduktion der Vorschrift vornehme und eine „eindeutige Aussichtslosigkeit“ des Antrags fordere, vermöge dies nicht zu überzeugen und karikiere den gesetzgeberischen Willen sowie die bei Erlass des Rückführungsverbesserungsgesetzes im Vordergrund stehende Verfahrensbeschleunigung. Der Gesetzgeber habe die Fälle der Abweisung als offensichtlich unbegründet abschließend und verbindlich in § 30 AsylG geregelt, wohingegen die Lösung des Verwaltungsgerichts Schwerin dazu führe, sie in das Belieben des Richters zu stellen und so die Gewaltenteilung zu missachten.

    Es ist nun allerdings nicht so, dass das Verwaltungsgericht Schwerin seine Ansicht nicht ausführlich (und weit ausführlicher als das Verwaltungsgericht Kassel) begründet hätte (siehe HRRF-Newsletter Nr. 157), nämlich letztlich mit einem Verweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 (Az. 2 BvR 1516/93), in dem die eindeutige Aussichtslosigkeit eines Asylantrags als Voraussetzung für die Ablehnung des Antrags als offensichtlich unbegründet gefordert wurde. In eine ähnliche Richtung haben auch die Verwaltungsgerichte Hamburg (Beschluss vom 11. April 2024, Az. 10 AE 1473/24) und Würzburg (Beschluss vom 5. Juni 2024, Az. W 8 S 24.30857) argumentiert. Vor diesem Hintergrund ist das richterliche Belieben womöglich eher in Kassel zu suchen und zu finden.

  • Zu schwache Eingriffsintensität führt nicht zur Belanglosigkeit

    Eine vermeintlich zu schwache Eingriffsintensität einzelner Umstände im Asylvorbringen führt nicht ohne Weiteres zu einer Belanglosigkeit des Vortrages für die Prüfung des Asylantrages im Sinne von § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, sagt das Verwaltungsgericht Düsseldorf in seinem Beschluss vom 21. August 2024 (Az. 14 L 2208/24.A). Von einer Beurteilung der Eingriffsintensität könne nicht auf die Belanglosigkeit für die Asylantragsprüfung geschlossen werden, da die Gewichtung der Eingriffsintensität als „ausreichend gravierend“ gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG abschließend jedenfalls erst nach einer Gesamtbetrachtung einer möglichen Kumulierung erfolgen könne, sodass eine vermeintlich zu schwache Eingriffsintensität einzelner Umstände im Vorbringen eben nicht ohne Weiteres zu einer Belanglosigkeit des Vortrags für die Prüfung des Asylantrags führen könne. Das ist im Wesentlichen eine Fortführung der bisherigen Rechtsprechung des Gerichts (siehe HRRF-Newsletter Nr. 155).

  • Beschwerdeausschluss gilt auch für Verfahrensduldung

    Das Oberverwaltungsgericht Hamburg geht in seinem Beschluss vom 23. Juli 2024 (Az. 6 Bs 36/24) davon aus, dass der Beschwerdeausschluss des § 80 AsylG in der seit dem 27. Februar 2024 geltenden Fassung auch solche Streitigkeiten erfasst, in denen ein Ausländer die Aussetzung einer Abschiebung begehrt. Maßgeblich sei allein, ob die streitgegenständliche Abschiebung ihre Grundlage in einer asylrechtlichen Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge finde. Dies gelte auch dann, wenn eine sogenannte Verfahrensduldung begehrt werde, weil auch in diesen Fällen die streitgegenständliche Abschiebung ihre Grundlage in einer asylrechtlichen Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung finden könne.

  • Pflichtanwälte müssen nicht umsonst arbeiten

    Anwältinnen und Anwälte, die in Verfahren über die Anordnung von Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam gemäß § 62d AufenthG als anwaltliche Vertreter von Betroffenen bestellt werden, haben für ihre Tätigkeit einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse, sagt das Amtsgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom 10. Juli 2024 (Az. 527 XIV 271/24). Es sei unerheblich, dass es an einer spezialgesetzlichen Regelung hinsichtlich der Vergütung von nach § 62d AufenthG bestellten Rechtsanwälten fehle, weil § 45 Abs. 3 RVG eine Auffangnorm bilde und einen Vergütungsanspruch enthalte. Es sei lebensfremd anzunehmen, dass ein gerichtlich verpflichtend beizuordnender Rechtsanwalt das Mandat ohne gesetzlichen Vergütungsanspruch gegenüber der Staatskasse übernehmen würde.

  • HRRF-Monatsübersicht für August 2024 verfügbar

    Die HRRF-Monatsübersicht für August 2024 ist zum Download verfügbar und bietet auf 7 Seiten eine praktische Zusammenfassung aller im Monat August 2024 im HRRF-Newsletter vorgestellten Entscheidungen.

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ISSN 2943-2871