Die tagesschau berichtet am 11. November 2024 ausführlich und kritisch über ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. August 2024 (Az. 12 B 17/23, in der das Gericht (wie auch in einer Parallelentscheidung vom selben Tag, Az. 12 B 18/23) keine Bedenken gegen eine Abschiebung von tschetschenischen Wehrdienstverweigerern nach Russland hatte (siehe ausführlich HRRF-Newsletter Nr. 165). Die Entscheidung werde nun in der Rechtsprechung als Präzedenzfall aufgegriffen; in einem weiteren Fall eines grundwehrdienstpflichtigen Tschetschenen habe das Verwaltungsgericht Halle in Sachsen-Anhalt „vollumfänglich Bezug“ auf das Urteil genommen. Das Oberverwaltungsgericht habe argumentiert, dass in Tschetschenien zwar eine Zwangsrekrutierung zum Einsatz in der Ukraine drohe, es könne Betroffenen aber zugemutet werden, sich anderswo in Russland niederzulassen. Am Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg allein seien derzeit, bezogen auf „junge Männer russischer Staatsangehörigkeit, die bei einer Rückkehr eine Einziehung zum Wehrdienst befürchten“, ein gutes Dutzend Verfahren anhängig. Eine Revision gegen sein Urteil aus dem August habe das Oberverwaltungsgericht nicht zugelassen, eine Entscheidung über die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde stehe noch aus.
Andere deutsche Gerichte sehen in Russland übrigens landesweit die Gefahr einer zwangsweisen Rekrutierung zum Kriegseinsatz in der Ukraine, etwa das Verwaltungsgericht Magdeburg in seinem Urteil vom 24. April 2024 (Az. 3 A 249/22 MD).
Das Tribunale di Roma hat es schon wieder getan: In einer Entscheidung vom 11. November 2024 hat es erneut (siehe HRRF-Newsletter Nr. 168) entschieden, dass Italien die Asylverfahren von Schutzsuchenden aus Bangladesch und Ägypten nicht in Albanien durchführen darf, weil weder Ägypten noch Bangladesch sichere Herkunftsstaaten seien. Außerdem hat es, wie zuvor schon das Tribunale di Bologna (siehe HRRF-Newsletter Nr. 169), ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof übermittelt und ihm die Frage vorgelegt, ob das Gesetzesdekret der italienischen Regierung vom 23. Oktober 2024, in dem unter anderem Ägypten und Bangladesch als sichere Herkunftsstaaten definiert wurden, mit den Vorgaben der EU-Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU vereinbar ist. Offenbar wird der italische Oberste Gerichtshof am 4. Dezember 2024 in einem anderen Verfahren eine Entscheidung treffen, in es am Rande wohl auch um die Durchführung von Asylverfahren in Albanien geht; es wird spekuliert, dass es dann zu einem weiteren Vorabentscheidungsersuchen aus Italien kommen könnte.
Wenn ein Asylantrag in Deutschland wegen der Zuständigkeit eines anderen Dublin-Staats gemäß § 29 Abs. 1 Nr. a AsylG als unzulässig abgelehnt wird, dann ist ein später erneut in Deutschland gestellter Asylantrag kein Folge- oder Zweitantrag, sagt das Verwaltungsgericht Düsseldorf in seinem Beschluss vom 24. Oktober 2024 (Az. 15 L 2751/24.A). Der in Deutschland erneut gestellte Asylantrag dürfe daher im Falle seiner Unbegründetheit nicht gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden.
Es hinterlässt bereits keinen besonders guten Eindruck, wenn ein Rechtsanwalt einen Anhörungstermin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (erst) am Tag vor der Anhörung verlegen lassen will, weil er einen auswärtigen Gerichtstermin wahrnehmen müsse, den auswärtigen Gerichtstermin dann aber gar nicht wahrnimmt. Wenn das Bundesamt das Asylverfahren daraufhin wegen des Nichterscheinens (auch) des Anwalts einstellt, der Anwalt sich im anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren zur Entschuldigung des Nichterscheinens aber ausgerechnet auf die vermeintliche Terminkollision beruft, dann ist das schon grob. Während ein solches Vorgehen im Regelfall unentdeckt bleiben dürfte, hatte das Verwaltungsgericht Würzburg wohl so eine Ahnung, über die es in seinem Beschluss vom 6. November 2024 (Az. W 8 S 24.32190) berichtet. Es fragte nämlich beim auswärtigen Gericht (dem Verwaltungsgericht Berlin) nach, ob der Anwalt den dortigen Termin wahrgenommen hatte, was nicht der Fall war. Bei dieser Rechts- und Sachlage, so das Verwaltungsgericht Würzburg, erübrigten sich weitergehende Ausführungen.
Es geschehen noch wundersame Dinge im deutschen Migrationsrecht, nämlich weil das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 29. August 2024 (Az. 1 C 9.23) die gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 13. März 2023 (Az. 36 K 176/21 V) eingelegte Sprungrevision zurückgewiesen hat und einen unmittelbar aus Art. 4 der EU-Familienzusammenführungsrichtlinie 2003/86/EG folgenden Anspruch auf Kindernachzug zu anerkannten Flüchtlingen auch dann annimmt, wenn ein Antrag auf Familienzusammenführung nicht innerhalb von drei Monaten nach Anerkennung des zusammenführenden Elternteils als Flüchtling gestellt wurde.
Eine verspätete Antragstellung könne dem nachzugswilligen Familienmitglied nämlich ausnahmsweise nicht entgegengehalten werden, wenn eine hinreichende Information über die Frist und die zu ihrer Einhaltung erforderlichen Maßnahmen nicht erfolgte und die Überschreitung der Frist aufgrund besonderer Umstände objektiv entschuldbar sei. Dies ergebe sich aus einer entsprechenden Anwendung der im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 RL 2003/86/EG geltenden Grundsätze; eine andere Handhabung wäre mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz nicht zu vereinbaren, nach dem verfahrensrechtliche Regelungen die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürften.
Soweit das Auswärtige Amt auf die Möglichkeit verwiesen habe, einen Visumantrag während des Laufs der dreimonatigen Frist auch anders als im Rahmen einer persönlichen Vorsprache bei einer Auslandsvertretung - etwa per E-Mail oder Telefax - zu stellen, seien die Klägerinnen hierüber nicht hinreichend deutlich und unmissverständlich informiert worden. Vielmehr hätte für die Klägerinnen mangels verlässlicher anderweitiger Informationen der Eindruck nahegelegen, alles zur Fristwahrung Erforderliche getan zu haben. Eine unterbliebene rechtzeitige persönliche Antragstellung bei der Auslandsvertretung sei objektiv entschuldbar, wenn äußere Umstände das Erreichen der Auslandsvertretung unmöglich gemacht hätten, etwa wenn wie im entschiedenen Verfahren ein zum Erreichen der deutschen Auslandsvertretung erforderlicher Grenzübertritt aufgrund des Bürgerkriegs in Syrien sowie des Grenzkonflikts der Türkei mit Syrien nicht möglich gewesen sei.
Eine Beschwerde ehemals Asylsuchender, die aufgrund einer Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG vollziehbar ausreisepflichtig sind, gegen die gerichtliche Anordnung der Durchsuchung ihrer Wohnung zwecks Auffindens von Urkunden, sonstigen Unterlagen und Datenträgern, die für die Feststellung ihrer Identität und Staatsangehörigkeit von Bedeutung sein können, ist nicht nach § 80 AsylG ausgeschlossen, sagt das Oberverwaltungsgericht Schleswig in seinem Beschluss vom 30. Oktober 2024 (Az. 6 O 22/24). Es handele sich nicht um eine Rechtsstreitigkeit nach dem Asylgesetz (§ 80 Var. 1 AsylG), weil die gerichtliche Anordnung einer Durchsuchung der Wohnung ihre Rechtsgrundlage in § 48 Abs. 3 Satz 3 AufenthG finde. Ob es sich um eine Maßnahme nach dem Aufenthaltsgesetz zum Vollzug der Abschiebungsandrohung handelt (§ 80 Var. 2 AsylG), könne dahinstehen, weil der Anwendungsbereich des § 80 AsylG dann aus verfassungsrechtlichen Gründen einzuschränken wäre. Da die von einer Wohnungsdurchsuchung Betroffenen vor Durchführung der Durchsuchung nicht angehört worden seien und ihnen keine andere Möglichkeit des Gehörs und des Rechtsschutzes als die der nachträglichen Beschwerde gegen die Anordnung des Gerichts zur Verfügung stehe, sei die Zulassung der Beschwerde ein Gebot des Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG.
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 29. Oktober 2024 (Az. XIII ZB 76/24) klargestellt, dass § 62d AufenthG auf die Zurückweisungshaft nicht anwendbar und somit kein anwaltlicher Vertreter zu bestellen ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 62d AufenthG und nach dessen systematischer Stellung im Aufenthaltsgesetz finde die Vorschrift keine Anwendung auf die Zurückweisungshaft, die gemäß § 15 Abs. 5 AufenthG gegenüber einem an der Grenze zurückgewiesenen Ausländer angeordnet wurde. Eine analoge Anwendung sei ebenfalls nicht möglich, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke des Gesetzes fehle. Auch Art. 3 Abs. 1 GG gebiete keine Gleichbehandlung von Abschiebungshaft und Zurückweisungshaft bei der Anwendung des § 62d AufenthG, weil der Gesetzgeber bei einer generalisierenden Betrachtung für die Verfahren der Zurückweisungshaft von einer geringeren Komplexität ausgegangen sei und von einer § 62d AufenthG entsprechenden Regelung abgesehen habe, was nicht zu beanstanden sei.
Im August 2024 (siehe HRRF-Newsletter Nr. 166) war (in einem anderen Verfahren) bereits das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg davon ausgegangen, dass eine Eheschließung im Rahmen einer Online-Videokonferenz unwirksam ist, wenn einer der Verlobten sich dabei in Deutschland aufhält. Nun sieht das auch der Bundesgerichtshof so, der in seinem Beschluss vom 25. September 2024 (Az. XII 244/22) ebenso darauf abstellt, wo sich die Verlobten bei Eingehung der Ehe tatsächlich aufhalten. Sofern sie die Erklärungen zur Eingehung der Ehe von Deutschland aus abgäben, sei gemäß Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB deutsches Recht anwendbar, das die zwingende Mitwirkung eines deutschen Standesbeamten (§ 1310 BGB) und die gleichzeitige persönliche Anwesenheit der Eheschließenden (§ 1311 BGB) verlange. Daher könne eine Ehe von sich in Deutschland befindenden Verlobten nicht wirksam in einer Videokonferenz eingegangen werden, selbst wenn die Formerfordernisse des Staates erfüllt seien, der die Videokonferenz durchführe (hier: Utah/USA).