Der Europäische Gerichtshof informiert in drei Pressemitteilungen (hier, hier und hier) sowie auf seiner Website darüber, dass die Große Kammer des Gerichtshofs am 12. Februar 2025 Anhörungen in drei anhängigen Verfahren durchgeführt hat, in denen es um Pushbacks an der EU-Außengrenze zu Belarus geht. Jeweils ein Verfahren betrifft Polen (Az. 42120/21, R.A. u.a. gg. Polen), Lettland (Az. 42165/21, H.M.M. u.a. gg. Lettland) und Litauen (Az. 17764/22, C.O.C.G. u.a. gg. Litauen). In allen Verfahren machen die Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK (Verbot der Folter) und Art. 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde) sowie aus Art. 4 des 4. Zusatzprotokolls zur EMRK (Verbot der Kollektivausweisung) geltend. Videoaufzeichnungen der drei Anhörungen können auf der Website des Gerichtshofs abgerufen werden.
Nicht-vulnerablen Schutzsuchenden droht in Frankreich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung in Form von Obdachlosigkeit, sagt das Verwaltungsgericht Hannover in seinem Urteil vom 14. Januar 2025 (Az. 15 A 4188/24). Alleinstehende männliche Asylbewerber machten den größten Anteil der Schutzsuchenden in Frankreich aus, würden jedoch gegenüber Familien mit Kindern und anderen vulnerablen Personengruppen bei der Vergabe von staatlichen Unterkünften, die ohnehin in nicht ausreichender Zahl vorhanden seien, als nachrangig behandelt. Die französische Regierung sei außerdem bemüht, die materiellen Aufnahmebedingungen für nicht vulnerable Asylbewerber weiter einzuschränken. Es wäre verwunderlich, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht versuchen würde, diese Entscheidung vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg anzufechten, das erst im Oktober 2024 die Berufung gegen ein Urteil derselben Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover zugelassen hat, in dem es ebenfalls um Frankreich ging (siehe HRRF-Newsletter Nr. 170).
In allen Fällen, in denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG begehrt wird und bei denen alle Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm vorliegen, ist die Durchführung eines Visumverfahrens nicht zumutbar, sagt der Verwaltungsgerichtshof Mannheim in seinem Beschluss vom 30. Januar 2025 (Az. 12 S 1070/24). Entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts könne es bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG unter keinen Umständen auf die Erfüllung der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG ankommen, da eine solche Aufenthaltserlaubnis allein aufgrund eines im Inland gestellten Antrags erteilt werden könne. Sofern eine vorübergehende Abwesenheit vom Bundesgebiet und Anwesenheit im Herkunftsstaat zumutbar sei, sei auch die Ausreise nicht deswegen rechtlich unmöglich und demnach der Tatbestand der Vorschrift bereits nicht erfüllt.
Mit Beschluss vom 26. September 2024 (Az. B 8 AY 1/22 R) hat das Bundessozialgericht ein bei ihm anhängiges Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG im Wege der konkreten Normenkontrolle die Frage vorgelegt, ob § 3a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b sowie § 3a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b AsylbLG mit dem Grundgesetz vereinbar sind. In diesen Bestimmungen werden gekürzte Bedarfssätze der Grundleistungen angeordnet, wenn Betroffene in einer Aufnahmeeinrichtung oder Gemeinschaftsunterkunft leben (müssen) – Stichworte „gemeinsames Wirtschaften“ und „Zwangsverpartnerung“. Hintergrund des Verfahrens ist, dass das Bundesverfassungsgericht eine vergleichbare Sonderbedarfsstufe für Analogleistungen gemäß § 2 AsylbLG in seinem Beschluss vom 19. Oktober 2022 (Az. 1 BvL 3/21) für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt hatte. Die in dem neuen Verfahren beteiligte Sozialbehörde lehnt es offenbar ab, diese Entscheidung auch auf Grundleistungen gemäß § 3 AsylbLG zu übertragen, was das Bundessozialgericht aber anders sieht, weil es das Bundesverfassungsgericht sonst nicht angerufen hätte.
Europäisches Recht steht der Abschiebung von in einem anderen Mitgliedsstaat anerkannten Schutzberechtigten in den Herkunftsstaat nicht entgegen, wenn diese in einem zweiten Mitgliedsstaat internationalen Schutz beantragt haben, dieser den Antrag nicht als unzulässig ablehnen konnte, weil im ersten Mitgliedsstaat die Gefahr einer Art. 4 GRCh widersprechenden Behandlung bestand und die Prüfung durch den zweiten Mitgliedsstaat ergeben hat, dass ein Anspruch auf internationalen Schutz nicht besteht, meint das Verwaltungsgericht Hamburg in seinem Urteil vom 29. November 2024 (Az. 8 A 2694/23). Die beiden Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 18. Juni 2024 (Rs. C-352/22 und C-753/22, siehe dazu ausführlich HRRF-Newsletter Nr. 150) stünden dem nicht entgegen.
Soweit in der Literatur unter Bezugnahme auf das EuGH-Urteil in der Rs. C-352/22 gefordert werde, dass der zweite Mitgliedstaat vor einer Abschiebung zunächst den ersten Mitgliedsstaat bitten müsse, eine Entscheidung über die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft zu treffen, so überzeuge das nicht. Der Schutzsuchende habe im Fall einer Ablehnung durch den zweiten Mitgliedsstaat etwa in aller Regel noch die Möglichkeit, in den ersten Mitgliedsstaat zurückzukehren und dessen Schutz in Anspruch zu nehmen, wenn er diesen für „werthaltig“ erachte. Sofern diese Möglichkeit nicht bestehe, weil der rechtlich gewährte Schutz durch den ersten Mitgliedsstaat für den Berechtigten aufgrund der Aufnahmebedingungen vollständig wertlos sei, werde ihm nicht durch die Abschiebung seitens des zweiten Mitgliedsstaates faktisch der Schutz durch den ersten Mitgliedsstaat entzogen.
Ähnlich wie das Verwaltungsgericht Hamburg (siehe oben) geht auch das Verwaltungsgericht Köln in seinem Urteil vom 20. Januar 2025 (Az. 27 K 6361/20.A) davon aus, dass das Unionsrecht eine Bindung Deutschlands an die Zuerkennung subsidiären Schutzes durch einen anderen EU-Mitgliedstaat nicht vorsieht. Wenn in Deutschland ein Asylantrag gestellt worden sei, dann könne Deutschland selbst prüfen, ob der Antragsteller Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes habe; nach dem negativen Abschluss einer solchen Prüfung sei der Erlass einer Abschiebungsandrohung für das Herkunftsland mit Unionsrecht vereinbar. Dabei könne dahinstehen, ob die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs in seinem Urteil vom 18. Juni 2024 (Rs. C-362/22) von vornherein auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nicht übertragbar seien, weil diese anders als die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft möglicherweise nicht nur deklaratorischen Charakter habe.
Jedenfalls unterscheide sich die hier vorliegende Konstellation von einem Auslieferungsverfahren grundlegend dadurch, dass eine mögliche Umgehung der Vorschriften über die Aberkennung des internationalen Schutzes nicht drohe, wenn die zuständige Behörde auf Antrag des Betroffenen die Zuerkennung internationalen Schutzes neu geprüft habe. Soweit das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 13. September 2020 (Az. 2 BvR 2082/18) entschieden habe, dass eine Abschiebung in den Herkunftsstaat im Falle einer bereits erfolgten Schutzgewährung durch einen anderen Mitgliedstaat untersagt sei, habe es zur Begründung lediglich auf zwei Literaturstellen verwiesen. Da es in dieser Entscheidung primär um die Frage ging, ob ein Asylantrag als unzulässig statt als unbegründet hätte abgelehnt werden müssen, nicht aber um die Bindungswirkung einer Zuerkennung subsidiären Schutzes, wenn ein zulässiges Asylverfahren in Deutschland durchgeführt wurde, sei aus der Entscheidung nichts ableitbar.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bejaht in seinem Beschluss vom 23. Januar 2025 (Az. OVG 12 N 23/24) die Frage, ob bei der Entscheidung über eine Abschiebungsandrohung eines Ausländers, dessen Schutzbegehren negativ beschieden ist, familiäre Bindungen auch dann entgegenstehen können, wenn der weitere Aufenthalt des betreffenden Familienmitglieds im Bundesgebiet lediglich gemäß § 55 AsylG zur Durchführung seines Asylverfahrens gestattet ist. Das OVG beruft sich auf die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und schließt sich mit seiner Entscheidung einer Reihe anderer Obergerichte an, die das genauso sehen, siehe zuletzt etwa in HRRF-Newsletter Nr. 172.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge muss sich gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AsylG bereits vor Erlass einer Abschiebungsandrohung die Überzeugungsgewissheit davon verschaffen, dass die Übergabe eines unbegleiteten Minderjährigen an ein Mitglied der Familie, eine zur Personensorge berechtigte Person oder eine geeignete Aufnahmeeinrichtung nicht nur möglich ist, sondern tatsächlich auch erfolgen wird, sagt das Verwaltungsgericht Hamburg in seinem Urteil vom 4. Dezember 2024 (Az. 8 A 470/24). Zwar regele § 58 Abs. 1a AufenthG, dass (erst) die Ausländerbehörde sich vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers vergewissern müsse, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben werde. Aus der EU-Rückführungsrichtlinie folge jedoch darüber hinaus, dass der betreffende Mitgliedstaat bereits vor Erlass einer Rückkehrentscheidung gegen einen unbegleiteten Minderjährigen eine umfassende und eingehende Beurteilung der Situation des Minderjährigen vornehmen und sich dabei vergewissern müsse, dass für den Minderjährigen eine geeignete Aufnahmemöglichkeit im Rückkehrstaat zur Verfügung stehe.