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Ausgabe 182 • 7.2.2025

Sehr allgemein gehalten

Eine überaus bunte Ausgabe, die von russischen Wehrpflichtigen über Integrationsprüfungen und eine Frontex-Schadensersatzklage bis zu strategischer Prozessführung reicht. Außerdem geht es um Verfolgung in der Türkei, Zurückweisungen, Abschiebungshaft und Auslieferungen.

Materielles Flüchtlingsrecht

Subsidiärer Schutz für russische Wehrpflichtige

Das Verwaltungsgericht Berlin berichtet in einer Pressemitteilung vom 31. Januar 2025 über zwei Urteile vom 20. Januar 2025 (Az. 33 K 504/24 A und 33 K 519/24 A), in denen es davon ausgeht, dass russischen Männern im grundwehrdienstpflichtigen Alter subsidiärer Schutz in Deutschland zu gewähren ist. Sie würden in Russland in absehbarer Zeit gegen ihren Willen zum Grundwehrdienst in der russischen Armee einberufen und in den Ukraine-Krieg entsandt werden, wo sie zwangsweise an völkerrechts- oder menschenrechtswidrigen Handlungen teilnehmen müssten. Der Volltext der Urteile liegt noch nicht vor, das Gericht erwähnt in seiner Pressemitteilung aber, dass es mit diesen Entscheidungen von der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg aus dem Sommer 2024 abweicht (siehe dazu HRRF-Newsletter Nr. 165). Im Verfassungsblog bespricht Valentin Feneberg die beiden Entscheidungen.

Materielles Flüchtlingsrecht

Verfolgung in der Türkei nach regimekritischen Social-Media-Äußerungen

Die Normen des türkischen Strafgesetzbuchs bilden die Grundlage für eine diskriminierende Strafverfolgung und werden zur gezielten Verfolgung politisch Oppositioneller etwa bei regierungskritischen Äußerungen auf Twitter instrumentalisiert, sagt das Verwaltungsgericht Karlsruhe in seinem Urteil vom 9. Januar 2025 (Az. A 12 K 3586/24). Die Normen würden vom türkischen Staat gezielt als Mittel genutzt, um missliebige politische Opposition über das Vehikel des Strafverfahrens mindestens einzuschüchtern, wenn nicht gar gänzlich zum Schweigen zu bringen. Eine diskriminierende Strafverfolgung erfolge dabei nicht nur gegenüber exponierten Personen, wie dies bei Journalisten oder Oppositionspolitikern der Fall sei, sondern auch hinsichtlich einfacher Oppositioneller.

Aufenthaltsrecht

Integrationsprüfungen grundsätzlich zulässig

Der Europäische Gerichtshof hält es in seinem Urteil vom 4. Februar 2024 (Rs. C-158/23) für grundsätzlich zulässig und insbesondere mit Art. 34 der EU-Qualifikationsrichtlinie vereinbar, dass anerkannte Flüchtlinge eine Integrationsprüfung absolvieren müssen, jedenfalls wenn die Prüfung verhältnismäßig ausgestaltet und eine Befreiung bei bereits erfolgter Integration möglich ist. Das Nichtbestehen einer solchen Prüfung dürfe jedoch nicht systematisch mit einer Geldbuße geahndet werden und diese Geldbuße dürfe auch nicht derart hoch sein, dass sie für die betreffende Person in Anbetracht ihrer persönlichen und familiären Situation eine unangemessene finanzielle Belastung darstelle. Außerdem dürfe nationales Recht nicht vorsehen, dass die Kosten von Integrationskursen und Integrationsprüfungen von den Betroffenen selbst zu tragen seien; das gelte auch dann, wenn sie von den Behörden ein Darlehen erhalten könnten, um diese Kosten zu bestreiten, und ihnen die Darlehensschulden erlassen würden, wenn sie ihre Integrationsprüfung innerhalb der vorgesehenen Frist bestehen oder innerhalb dieser Frist von der Integrationspflicht ausgenommen oder befreit würden.

Aufenthaltsrecht

Doppelnatur der Zurückweisung

Entscheidungen nach § 15 Abs. 1 AufenthG über eine Zurückweisung haben einen doppelten Regelungsgehalt und enthalten zum einen die Einreiseverweigerung im Sinne von Art. 14 des Schengener Grenzkodex und zum anderen die Bestimmung eines Zielstaats der Zurückweisung als Grundlage für die Vollstreckung der Zurückweisung, womit in der Zurückweisung auch eine Rückkehrentscheidung im Sinne von Art. 3 Nr. 4 der EU-Rückführungsrichtlinie liegt, meint der Verwaltungsgerichtshof München in seinem Beschluss vom 24. Januar 2025 (Az. 10 CE 25.105, 10 C 25.160, 10 C 25.161).

Abschiebungshaft

BGH entscheidet nach fast fünf Jahren über Rechtsbeschwerde

In einem Beschluss vom 14. Januar 2025 (Az. XIII ZB 48/20) hält der Bundesgerichtshof einen Haftantrag für unzulässig, wenn bei einer geplanten Flugabschiebung nach Italien ohne Sicherheitsbegleitung Abschiebungshaft für eine Dauer von sechs Wochen beantragt wird, ohne dass diese Haftdauer näher erläutert wird. Dies erscheine dermaßen unplausibel, dass eine nähere Erläuterung erforderlich gewesen wäre. An der Entscheidung ist vor allem bemerkenswert, dass die Abschiebung im Herbst 2018 stattfand und das Verfahren offenbar fast fünf Jahre beim Bundesgerichtshof anhängig war.

Abschiebungshaft

Verzögerungen im gerichtlichen Verfahren machen Haft nicht rechtswidrig

Der Bundesgerichtshof meint in seinem Beschluss vom 14. Januar 2025 (Az. XIII ZB 51/23), dass die verzögerte Entscheidung über eine Haftbeschwerde eine rechtmäßig angeordnete Abschiebungshaft nicht rechtswidrig macht. Zwar könne die überlange Dauer eines Beschwerdeverfahrens gegen die Anordnung von Sicherungshaft die von der Haft betroffene Person in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzen, einen Automatismus gebe es aber nicht. Das für Behörden mit Blick auf Abschiebungen geltende Beschleunigungsgebot diene dazu, den Vollzug der Haft auf einen möglichst kurzen Zeitraum zu beschränken, sei indes aber nicht auf vermeidbare Verzögerungen im gerichtlichen Verfahren übertragbar.

Aufenthaltsbeendigung

Auslieferung nach Ungarn war rechtswidrig

In seinem Beschluss vom 24. Januar 2025 (Az. 2 BvR 1103/24) hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der Beschluss des Berliner Kammergerichts, auf dessen Grundlage Ende Juni 2024 eine umstrittene Auslieferung einer deutschen Staatsangehörigen nach Ungarn trotz einer anhängigen Verfassungsbeschwerde vollzogen wurde, rechtswidrig war und die Betroffene in ihrem Grundrecht aus Art. 4 GRCh verletzt hat, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Das Kammergericht hätte die Überstellung an die ungarischen Justizbehörden nicht für zulässig erklären dürfen, weil es seiner aus Art. 4 GRCh folgenden Pflicht zur vollständigen Aufklärung des für die Überstellung erheblichen Sachverhalts nicht in jeder Hinsicht gerecht geworden sei. Zwar habe es sich vermittels der Einholung entsprechender Zusicherungen um eine Aufklärung der Haftbedingungen bemüht, es habe sich allerdings mit den ihm zugegangenen, sehr allgemein gehaltenen Erklärungen der ungarischen Behörden zufriedengegeben, obwohl der ausführliche und substantiierte Vortrag der Betroffenen und insbesondere die Verweise auf Berichte von NGOs und ehemals in ungarischen Justizvollzugsanstalten inhaftierten Personen eine weitere Aufklärung geboten erscheinen ließen. Das Bundesverfassungsgericht hat zu seinem Beschluss auch eine Pressemitteilung veröffentlicht.

Sonstiges

EuGH verhandelt über Frontex-Schadensersatzklage

Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs hat am 4. Februar 2025 über eine Schadensersatzklage gegen die EU-Grenzschutzagentur Frontex mündlich verhandelt (Rs. C-679/23 P), in der Frontex die Mitwirkung an Pushbacks aus Griechenland in die Türkei vorgeworfen wird. In der ersten Instanz hatte das Gericht der Europäischen Union die Klage im September 2023 abgewiesen (siehe dazu HRRF-Newsletter Nr. 112), weil das Verhalten von Frontex-Beamten nicht ursächlich für die Pushbacks gewesen sei, die durch griechische Behörden durchgeführt worden seien. Die Kläger machen vor dem Gerichtshof geltend, dass das erstinstanzliche Urteil rechtsfehlerhaft sei, weil der vom Gericht verneinte Kausalzusammenhang zwischen den Handlungen und Unterlassungen von Frontex und dem von den Klägern erlittenen Schaden doch vorliege. Die Anwältinnen und Anwälte der Kläger informieren in einer Pressemitteilung über die mündliche Verhandlung.

Sonstiges

Strategische Prozessführung im EU-Recht beleuchtet

In einer Ende Januar 2025 erschienenen Sonderausgabe des German Law Journal geht es um strategische Prozessführung im EU-Recht, darunter mit einigen spannenden Beiträgen zum Asyl- und Migrationsrecht, nämlich zu Prozessstrategien gegen automatisierte Einzelfallentscheidungen im Asylrecht (hier), zur Frage, warum griechische Gerichte bislang so gut wie keine asylrechtlichen Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof gerichtet haben (hier) und dazu, wie Gerichte in Österreich, Deutschland und Frankreich das EuGH-Urteil von April 2022 zur Rechtswidrigkeit von länger als sechs Monaten andauernden Binnengrenzkontrollen umgesetzt haben (hier).

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